Freetime

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Nachdem Yeji sich ein Cappy aufgesetzt und einen Mundschutz umgemacht hatte, gingen wir nebeneinander die Straße entlang. Als ein Klingeln zu hören war, drehte ich mich um. Schnell rückten Yeji und ich ein Stück zur Seite, damit eine Radfahrerin an uns vorbeifahren konnte.

Ihr folgte ein kleiner Junge mit Stützrädern a den Seiten. Seine Mutter schaute ab und zu über ihre Schulter nach dem Rechten, doch der Kleine trat ganz vergnügt in die Pedale und strampelte ihr hinterher. Wie niedlich.

„Lass uns das auch machen!", rief Yeji plötzlich aus und ich sah sie verständnislos an. „Das? Was?" Doch sie hatte mich schon an der Hand gefasst und so trottete ich ihm ein paar Meter hinterher bis wir vor einem Schild mit der Aufschrift Fahrradverleih standen.

„M-Moment mal...du willst doch nicht etwa welche ausleihen!" Sie grinste mich nur an, verschwand dann kurz im Laden und kam mit einem Mann mittleren Alters wieder. „Diese dort sind Ihre.", er deutete auf zwei Stadträder.

Er überreichte uns zwei Helme. „Falls eins der Fahrräder zu hoch oder niedrig ist, sagen Sie mir einfach Bescheid. Ansonsten wünsche ich viel Spaß." Damit verschwand er wieder. Ich war immer noch geschockt.

Es war ewig her, dass ich das letzte Mal gefahren bin...und das nicht ohne Grund. „Gelb oder Rosa?", riss mich Yeji aus meinen Gedanken. Ich sah auf die beiden Helme in ihrer Hand und deutete dann auf den in Rosa.

Sie reichte ihn mir und schritt dann zu den Rädern. „Rosa erinnert mich immer an Hyunjin..." Yeji drehte sich um. „Hast du was gesagt?" Ups! Hatte ich das gerade laut vor mich hin genuschelt? „Äh nein." Schnell folgte ich ihr.

Wir drehten eine kleine Proberunde, um zu schauen, dass die Sattelhöhe stimmte. Yeji hatte sichtlich Spaß, während ich noch ein wenig wacklig war. „Ob die auch Knieschützer haben...?", murmelte ich.

„Oh! Jin, sag bloß, du bist noch nie Fahrrad gefahren?" Ich sah sie an. „Doch natürlich...ist nur schon etwas her." Um genau zu sein, war es eine Knieverletzung her, wenn ich es mal so formulierte. An sich war es für mein Knie zwar nicht belastender als das normale Gehen, aber würde es dazu kommen, dass ich stürzte...naja andererseits hatte ich das Inliner fahren auch überlebt. „Bist du bereit?", fragte mich Yeji, „Fahr mir einfach immer nach."

Zum Glück verlernt man sowas wie Fahrradfahren nicht. Wir folgten einem Radweg am Fluss, welcher um diese Uhrzeit erstaunlich leer war. Nach ein paar Minuten war ich voll in Fahrt und genoss es, wie der Wind meine Haare durchwirbelte.

Ich überholte Yeji und ging in Führung. „Aish! Häng mich nicht einfach ab!" Sie trat in die Pedale, sodass wir nun gleich auf waren. Ich grinste sie an.

„Na du lahme Ente, auch schon da?" Sie verzog den Mund. „Pass bloß auf. Gleich wirst du nur noch meinen Rücken aus der Ferne sehen!" Sie wurde immer schneller. Pff, so einfach wird sie mich nicht los!

Wir lieferten uns ein Wettfahren bis keiner mehr Puste hatte. Wir ließen uns ins Gras plumpsen und versuchten beide möglichst viel Sauerstoff in unsere Lungen zu füllen. „Du bist gar nicht so unsportlich wie ich dachte.", jappste Yeji.

Ich sah sie von der Seite an. „Das nehme ich jetzt mal als Kompliment." Von Nahem drang Musik zu uns herüber.Yeji setzte sich auf und lauschte. Ich richtete mich ebenfalls auf. „Lass uns näher heran gehen.", schlug ich vor und Yeji  nickte.

Vorsichtig schoben wir unsere Fahrräder durch die Straßen bis sich vor uns ein größerer Marktplatz eröffnete. Eine kleine Traube von Menschen hatte sich bereits um die Straßenmusiker versammelt.

Nachdem wir unsere Räder am Rand abgestellt hatten, drängten wir uns ebenfalls näher heran. Ein Drummer gab den Rhythmus vor, während ein Keyboarder und ein Gitarrist die Melodie unterstützten. Sie trugen die klare Stimme der Leadsängerin, welche mit Leib und Seele ins Mikro sang.

Dennoch war es ein ruhiges Lied, welches schon fast ein wenig melancholisch klang. „Wovon handelt das Lied?", fragte ich Yeji, denn ich hatte Mühe den koreanischen Text zu verstehen.

„Es ist ein sehr altes koreanisches Lied und handelt von einem jungen Mädchen, dessen Bruder schwer krank ist. Um ihn zu retten, geht sie einen Pakt mit einem mächtigen Dämon ein. Am nächsten Tag ist der Bruder wie durch ein Wunder geheilt, aber seine Schwester ist unauffindbar. Er macht sich auf die Suche nach ihr. Nach Jahren ohne Erfolg kehrt er in sein Heimatdorf zurück und findet dort seine große Liebe. Sie heiraten und gründen eine Familie. Bis zum Tag seines Todes sieht er seine Schwester nie wieder. An dem Tag als diese den Dämonen um Hilfe bat, blieb eine Seele, die die Erde verlassen sollte zurück, doch dafür musste eine andere gehen. Seine Schwester war dem Dämon in seine Welt gefolgt. Sie sah nach all den Jahren noch genauso aus wie früher. Wie gerne hätte auch sie ihren Bruder noch einmal gesehen, doch sie war glücklich mit dem bloßen Gedanken, dass er am Leben war.", endete Yeji und ich musste mich zusammenreißen nicht laut zu schluchzen, denn das Lied war zu Ende und alle Umstehenden klatschten laut Beifall.

Dennoch war ich nicht die Einzige mit Tränen in den Augen. Im nächsten Moment klingelte Yejis Handy. „Ja?", meldete sie sich, als wir uns ein Stück von den Musikern entfernt hatten. „...ach war das heute?...Okay, okay beruhig dich...ja bin unterwegs...." Sie legte auf und räusperte sich.

„Okay Planänderung! Ich hab verpennt, dass wir heute ein Meeting haben und mein Manager macht mir Feuer unterm Hintern, wenn ich nicht in zehn Minuten da bin...also sollten wir uns beeilen!" Schon zog sie mich wieder hinter sich her.

„Also, erst bringen wir die Fahrräder zurück und dann geht's mit nem Taxi zur Gemeinschaftswohnung..." Ah ja...hä?

„Warte...heißt das, ich soll mit!" Yeji sah mich an. „Na logisch!", war alles, was er sagte als wäre es selbstverständlich. Dann blieb sie stehen. „Es sei denn, du hast keine Lust auf die anderen...dann würde ich das Meeting schwänzen." Keine Lust? Ich war schon fast am Hyperventilieren bei dem Gedanken, sie wieder zu sehen!

505-Stray KidsWhere stories live. Discover now