22. Die Zigarette und das Bier

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Valentinos Blick ist geradeaus ins Leere gerichtet, die Rauchwolke, die aus seiner Nase dringt, lässt mich ahnen, dass er gerade tief ein- und ausgeatmet hat.

Er raucht nur, wenn es ihm schlecht geht.

Ich erinnere mich plötzlich an eines unserer Gespräche, die für mich schon so weit zurückliegen.

Ob er überhaupt noch weiß, dass er das zu mir gesagt hat? Ob er überhaupt noch weiß, wer ich bin?

Ich räuspere mich und halte ihm die Bierflasche an einem weit ausgestreckten Arm hin. „Du fährst heute aber hoffentlich nicht mehr."

Der hübsche Taxifahrer zuckt merklich zusammen und reißt verblüfft seine braunen Augen auf, als er mich entdeckt. „Adam!"

Offenbar weiß er noch, wer ich bin. Da habe ich wohl einen nachhaltigen Eindruck als Fahrgast hinterlassen.

Ich schmunzle verlegen und fuchtle etwas unbeholfen mit der Flasche in der Luft herum, bis er sie mir abnimmt. „Anthony wollte gern, dass ich dir das hier rausbringe." Ich deute auf die Kippe in seiner Hand. „Ist ... ist alles okay bei dir?"

Er stutzt und blickt auf den qualmenden Stummel. Schnell schüttelt er den Kopf und drückt den Rest in den großen, silbernen Aschenbecher, der neben ihm an der Hauswand steht. „Ich ... danke für die Bier", sagt er und prostet mir kurz zu, ehe er an der Flasche nippt.

Ich stehe einfach nur da und sehe ihn an.

Wie lange ist es jetzt her, dass ich mit ihm in dieser Bar war und danach zum ersten Mal diesen abgefahrenen Traum von ihm und mir hatte?

Zwei ... drei Monate?

Er sieht noch so gut aus wie ich ihn in Erinnerung hatte. Wieder trägt er eines dieser eng anliegenden, kurzärmeligen Hemden, heute zu einer hellen, ausgewaschenen Jeans. Seine dunkelbraunen Haare sind etwas länger als bei unserer letzten Begegung und in seinem Nacken und über seinen Ohren kräuseln sich die Spitzen schon leicht.

Eigentlich sieht er sogar noch besser aus als in meiner Erinnerung.

„Und?", fragt er und reißt mich damit aus meinen unerwarteten Gedanken über ihn und seine Erscheinung. „Was machst du hier?" Seine Finger fahren in eine seiner hinteren Hosentaschen und fischen eine Schachtel hervor. Er steckt sich eine neue Zigarette in den Mund, lässt die Packung wieder verschwinden und zieht eine kleinere Schachtel heraus.

Gebannt beobachte ich, wie er ein Streichholz herausnimmt, es an der Seite anreißt und schützend seine Hände darum hält, die Bierflasche umständlich zwischen Zeige- und Mittelfinger geklemmt.

Ein aufsteigendes Rauchwölkchen zeigt, dass der Versuch missglückt ist und sogleich zieht Valentino ein weiteres Hölzchen hervor.

Als auch dessen Flamme erstirbt, ehe er seine Zigarette anzünden kann, trete ich vor ihn, stelle mein Weinglas neben mir auf dem Boden ab und nehme beherzt die Schachtel aus seinen Händen. Im Nu habe ich eines der Hölzchen angerissen und im Schutz unserer beider Hände bleibt das Feuer am Leben.

Valentino nimmt einen kräftigen Zug, ehe er sich wieder mit dem Rücken gegen die Wand lehnt und den Rauch langsam ausstößt.

Ich entsorge das halb abgebrannte Hölzchen im Aschenbecher neben ihm und nehme mein Glas wieder hoch. „Ich ... äh ... bin mit ein paar Kollegen hier. Einer von ihnen hat Geburtstag."

„Ah", macht er und nimmt einen weiteren Zug von seiner Zigarette, sieht mich dabei aber nicht an. „Zeit mit Freunde ist schön."

Kurz linse ich durch das Fenster in die Bar, wo meine Kollegen sich inzwischen über die von Anthony gereichte Antipastiplatte hermachen. Von hier draußen wirkt es fast, als würde ich in eine andere Welt sehen.

Ich schaue zurück zu Valentino und kaue auf meiner Lippe, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll oder befürchte, das zu sagen, was mir auf der Zunge liegt.

„Du rauchst wieder?", platze ich heraus und zucke peinlich berührt zusammen, als die Worte an mein Ohr dringen.

Woher soll ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage?, ist einer der liebsten Sprüche von Eves Vater. Ich hätte nie gedacht, dass ich ihm einmal recht geben würde. Wenn auch nur in meinem Kopf.

Was habe ich mir dabei gedacht? Der Mann hat mich höchstens dreimal mit dem Auto von einem Ort zum anderen gefahren und ich rede so mit ihm, als hätten wir eine Beziehung gehabt, nur weil ich so einen Trunkenheitstraum von ihm hatte!

Am liebsten würde ich meine Stirn gegen die Hauswand schlagen, halte mich aber noch rechtzeitig zurück. Stattdessen hebe ich entschuldigend die Hände. „Ent- Entschuldige, das geht mich wirklich nichts an. Ich ... du hast nur mal gesagt, dass–"

Valentino zieht ein weiteres Mal an der Zigarette und lacht trocken, als er den Rauch in kleinen Kringeln nach oben pustet. „Dass ich nur rauche, wenn es mir schlecht geht? Ja, das ist auch so. Und wenn es ganz schlecht geht, trinke ich auch." Demonstrativ hebt er die Flasche an seine Lippen und trinkt einen Schluck.

Fasziniert beobachte ich, wie sein Adamsapfel sich beim Schlucken auf und ab bewegt.

„Kann ... kann ich irgendwas tun?", frage ich dümmlich.

Valentino dreht den Kopf langsam zu mir, seine braunen Augen mustern mich, während er mich auf so eine traurig-melancholische Weise anlächelt, dass ich das unbändige Bedürfnis habe, ihn in den Arm zu nehmen. Er schüttelt den Kopf und hält mir die nun leere Flasche hin. „Bring die einfach wieder rein zu Antonio."

Zögerlich greife ich nach der Flasche und betrachte ihn noch etwas länger.

Ich würde gern nachfragen, warum es ihm schlecht, nein, ganz schlecht geht, aber hätte er es mir nicht auf meine erste Frage beantwortet, wenn er wollte, dass ich es weiß?

„Sicher, dass ich nicht noch mehr tun kann?", starte ich einen weiteren Versuch.

Er lässt seinen Kopf zurück an die Hauswand fallen und schließt die Augen, während er den Kopf schüttelt und die Zigarette ein weiteres Mal zu seinen Lippen führt.

Obwohl er es nicht sehen kann, winke ich ihm unbeholfen zu, ehe ich die Tür zur Bar aufziehe und ihn hier draußen zurücklasse. Die Lautstärke der Musik und der fröhlichen Gespräche der Gäste sind plötzlich unangenehm laut und drückend in meinen Ohren, als ich die Bar durchquere und die leere Flasche auf dem Tresen abstelle.

„Anthony!", rufe ich den Gastgeber.

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