17. Die stille Fahrt im falschen Taxi

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Es ist heiß. Hilfe, ist es heiß.

Dieses Feuer ist anders als vorher.

Das andere Feuer kam von innen, aber jetzt habe ich das Gefühl, von außen zu glühen. Als würde ich in einem Backofen sitzen.

Ich blinzle und ein gleißend heller Strahl trifft mein Auge.

Was zur Hölle?

Ächzend lege ich den Unterarm über meine Augen und stelle fest, dass die Hitze von der Bettdecke kommt, die meinen Körper umhüllt.

Wann ist das passiert?

Mühsam strample ich den Stoff von mir und linse durch zusammengekniffene Augen an mir herunter. Ich trage noch immer mein T-Shirt und meine Boxershorts.

Ich kann mich nicht erinnern, sie angezogen zu haben. Vorhin war sie noch–

Oh Gott!

Abrupt setze ich mich im Bett auf und ein dumpfer Schmerz durchfährt meinen Schädel.

Fuck! Valentino!

Das Hämmern hinter meiner Stirn ignorierend krabble ich vom Bett und stürze ins Badezimmer.

Keine Spur von ihm.

Zurück im Motelzimmer blicke ich mich suchend um, doch auch hier ist nichts von ihm zu sehen. Hektisch reiße ich die Tür des Zimmers auf und halte schützend die Hand gegen die blendende Sonne. Ich beuge mich nach vorn, um einen Blick auf die Einfahrt zu werfen, doch kein Taxi ist in Sicht.

Fuck, fuck, fuck!

Erschöpft und resigniert gehe ich zurück ins Zimmer und lasse mich auf das Bett plumpsen. Meine Hose liegt auf dem Boden davor und ich fummle mühsam mein Handy aus einer der Taschen.

Selbst das Telefon verweigert mir jegliche Hilfe, zeigt mir lediglich ein schwarzes Display, so dass ich erst das Ladekabel aus meinem Nachttisch fischen und es anschließen muss.

Mein Blick wandert nach draußen und wenn ich der Sonne Glauben schenke, wird es schon beinahe mittags sein.

Gedankenverloren starre ich vor mich hin. Ist das gestern Abend wirklich passiert? Habe ich wirklich den süßen Taxifahrer geküsst und ihn mit in mein Motelzimmer genommen?

Oh Gott! Bin ich wirklich in seinem Mund gekommen und dann offensichtlich auf dem Bett eingeschlafen, während er im Bad Gleitgel suchen wollte?

Die Scham trifft mich so hart in die Magengegend, als hätte mir jemand seine Faust hineingerammt. Schockiert halte ich mir die Hand vor den Mund und stürze gerade noch rechtzeitig ins Bad, wo ich mich würgend in die Toilette übergebe.

•••

Mit zwei Kopfschmerztabletten im Bauch, einem frisch geduschten Körper und viel zu lichtempfindlichen Augen stehe ich eine Stunde später an der Rezeption, um die mittelfreundliche, ältere Dame, die heute wieder da ist, darum zu bitten, mir ein Taxi zu bestellen.

Hoffe ich, dass es Valentino ist, der kommt?

Ich bin mir nicht ganz sicher.

Ein Teil in mir, nämlich der, der vorhin vor Scham kotzen musste, wünscht sich, dass wir den lustigen Italiener nie wiedersehen.

Der andere Teil in mir, der unsere feurige Begegnung gestern Abend nicht vergessen kann, wünscht sich, dass wir diese am besten sofort in meinem Motelzimmer zu Ende bringen.

Beide Teile liefern sich in meinem Kopf ein wildes Wortgefecht darüber, wer die Oberhand hat und dazwischen sitze ich und frage mich, seit wann ich Stimmen höre, ob ich das Ganze nur geträumt habe und mir mein Unterbewusstsein auf diese Weise sagen wollte, dass ich eigentlich schwul bin.

„War noch was?", will die Alte hinter dem Tresen genervt wissen und ich zucke beim Klang ihrer Stimme zusammen.

Kopfschüttelnd bewege ich mich auf den Ausgang zu, um vor dem Motel auf das Taxi zu warten.

Um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung, warum ich ein Taxi bestellt habe, außer natürlich, um Valentino zu sehen.

Aber wo will ich hin, wenn er nicht kommt?

Wollte ich nicht eigentlich auch mit dem Joggen anfangen?

Oh Gott, allein bei dem Gedanken, jetzt schneller als Schrittgeschwindigkeit zu gehen, wird mir schon wieder übel.

Ich sollte mir dringend einen Kaffee organisieren, vielleicht kann ich danach klarer denken.

Als ich schon fast nicht mehr damit rechne, dass hier noch irgendein Taxi kommt und mich wieder zurück in meinem Motelzimmer verkriechen will, fährt ein gelbes Fahrzeug vor und meine Herzfrequenz erhöht sich rasant.

Zögerlich blicke ich an mir hinab und streiche mein Shirt noch einmal gerade, ehe ich möglichst lässig auf das Taxi zugehe.

Die Fahrertür öffnet sich und ich erstarre.

Der dünne Mann, der mich gestern vom Supermarkt hierher gefahren hat, steigt aus, in seinem Mundwinkel eine qualmende Kippe. „Sie schon wieder", lässt er mich wissen, dass auch er sich an mich erinnert. „Sie wollen jetzt aber nicht nur zum Walmart rüber, oder?"

Ich räuspere mich und überlege kurz, ob ich ihn einfach wieder wegschicken soll, entscheide mich aber dagegen. „Ähm ... kennen sie eine Mariella?", frage ich stattdessen und er schüttelt ungläubig den Kopf.

„Hören Sie mal, Mister", meckert er. „Ich kenne nicht Ihre Bräute, die Sie mal aufgerissen haben, ich bin nur Taxifahrer. Soll ich Sie jetzt irgendwohin bringen oder kann ich wieder fahren?" Eine genervte Rauchwolke strömt aus seinen Nasenlöchern und er erinnert mich an einen dieser Stiere aus den alten Bugs Bunny Cartoons.

Dass er die sympathische Mariella nicht kennt, hätte mir fast klar sein sollen. Dummerweise habe ich keinen Schimmer, wo sich die Tankstelle befindet, an der ich den fantastischen Espresso bekommen habe und ehrlicherweise möchte ich auch keine allzulange Fahrt in dieser Räucherkiste auf mich nehmen.

„Dann würde ich gern zum Einkaufszentrum nach Katy, geht das?"

Er zuckt mit den Schultern, nickt und klopft einmal auf das Dach seines Taxis, ehe er durch eine Rauchwolke zurück auf den Fahrersitz klettert.

Innerlich wappne ich mich auf eine Fahrt mit wenig Sauerstoff und beeile mich, hinter ihm einzusteigen und das Fenster herunterzukurbeln.

Die Fahrt verläuft weitaus stiller und schweigsamer als die Fahrten mit Valentino.

Einmal frage ich den qualmenden Mann, ob er einen Taxifahrer namens Valentino Fiore kennt, woraufhin er nur seine Kippe aus dem Fenster schnippt und mit einem schnippischen Unterton meint, ob ich mit seinen Fahrdiensten nicht zufrieden wäre.

Danach sehe ich davon ab, weitere Unterhaltungsversuche zu unternehmen und besinne mich stattdessen darauf, die Fahrt ohne eine schwere Rauchvergiftung zu überleben.

Als ich schließlich vor dem Eingang des Einkaufszentrums stehe und nur noch die Abgase seines davonfahrenden Taxis einatmen muss, fühlt sich das für mich fast schon wie ein Spaziergang durch den Wald an.

Halbherzig klopfe ich meine Klamotten ab, als ob das helfen würde, den Gestank loszuwerden.

Der Schmerz in meinem Kopf ist glücklicherweise nur noch ein dumpfes Brummen, das ich ganz gut verdrängen kann. Allerdings sind meine Augen immer noch total lichtempfindlich und vielleicht finde ich in diesem Einkaufszentrum neben einem Kaffee auch eine geeignete Sonnenbrille, bevor ich mich auf die Suche nach einem Mietwagen, einer Wohnung und einem gewissen, italienischen Taxifahrer mache.

Das alles nicht zwingend in dieser Reihenfolge.

Richtungswechsel | ✓Where stories live. Discover now