8. Der beste Kaffee außerhalb Italiens

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„Das ist Mariella", stellt der Taxifahrer mir die Frau mit der Schürze vor. „Sie macht beste Caffè außerhalb Italiens."

„Ach, Valentino." Sie schlägt ihm lachend gegen den Arm und zieht mich vollkommen unerwartet in eine Umarmung. „Ciao! Ich bin Mariella." Auch mir legt sie die Hände an die Wangen und betrachtet mich prüfend.

Wie ich es bei dem Taxifahrer später erwarte, sind die Falten in ihrem Gesicht vom vielen Lachen bereits deutlich ausgeprägt, doch ihre dunklen Augen funkeln mit einer ähnlichen Lebensfreude und eines zwinkert mir zu. „Ah, viel besser als dieser ... dieser ..."

„Oh", geht der Mann dazwischen und legt mir behutsam die Hände auf den Arm, um mich von ihr wegzuziehen. „No, no, no, Mariella. Er ist ein Gast."

Ich blicke verwundert zwischen den beiden hin und her und reiche der Frau meine Hand. „Adam Carpenter", stelle ich mich höflich vor.

Sie greift meine Finger und ihre ledrige Haut fühlt sich rau und weich zugleich an. „Ah, Adam ist eine schöne Gast, Valentino", erklärt sie, ohne den Blick von mir abzuwenden. „Besser als diese Idiota Jeffrey."

Bei der Erwähnung des Namens geht mir endlich ein Licht auf.

Jeffrey war der Mann, mit dem ich den Taxifahrer – ich bin mir inzwischen sehr sicher, dass sein Name Valentino ist – heute Vormittag im Supermarkt gesehen habe.

Und jetzt denkt Mariella, dass ...

Oh!

Ich kratze mir verlegen den Nacken und schüttle lachend den Kopf. „Oh, nein. Ich ... ich brauchte nur ein Taxi und Mr.–" Meine Hände zeigen in die Richtung von Valentino.

„Fiore", erklärt er. „Valentino Fiore."

Ich nicke dankbar. „Mr. Fiore war so freundlich, mich zu transportieren. Ich habe heute noch keinen Kaffee getrunken, aber er sagte, bei Ihnen gibt es guten Kaffee?" Hoffnungsvoll lächle ich sie an, auch weil ich mir wünsche, dass das Gespräch eine weniger unangenehme Richtung einschlägt.

Die Frau schaut prüfend zwischen mir und Valentino hin und her, ehe sie ein Handtuch aus ihrer Schürzentasche zieht und ihn damit schlägt. "Non ti sei nemmeno presentato, Valentino? Du hast dich nicht einmal vorgestellt?", zetert sie in beiden Sprachen los. „Mamma mia, deine arme Mutter!"

Lachend wehrt er ihre Schläge mit den Händen ab und ruft immer wieder „Scusa! Scusa!" und die ganze Situation ist so unerwartet, dass auch ich loslache.

Als Mariellas Angriffe abebben, wendet er sich mir zu, zieht sein kurzärmeliges Hemd straff und verbeugt sich allen Ernstes vor mir. „Valentino Fiore, es freut mich, Sie kennenzulernen, Adam."

Ich grinse übers ganze Gesicht und verbeuge mich ebenfalls. „Es freut mich ebenfalls, Valentino."

Mariella neben uns klatscht begeistert in die Hände und eilt zurück zur Eingangstür der Tankstelle. „Kommt, ich mache euch Caffè!", ruft sie und winkt uns heran.

•••

Valentino hat nicht übertrieben, als er sagte, dass Mariella den besten Kaffee macht. Ich habe noch nie Kaffee in Italien getrunken – was hauptsächlich an der Tatsache liegen wird, dass ich den amerikanischen Kontinent noch nie verlassen habe, aber der Espresso, den sie in einem kleinen blechernen Kännchen auf einem Gasherd zubereitet, ist der mit Abstand aromatischste Kaffee, den ich in meinem ganzen Leben getrunken habe.

Wir sitzen gemeinsam an einem kleinen Tisch im hinteren Bereich des Tankstellenhäuschens, ein riesiger Ventilator, der in der Ecke steht, bläst uns die schwüle Luft um die Nasen und Mariella reicht uns kleine, selbstgebackene Biscotti zu unseren Espressi.

Ich lehne mich zufrieden auf dem Plastikstuhl zurück und seufze genüsslich auf, als ich den letzten Tropfen aus der winzigen, weißen Tasse schlürfe. „Ich wünschte, ich könnte in diesem Kaffee baden, Mariella."

Sie lacht amüsiert, nimmt mir die Tasse samt Unterteller ab und legt mir ein weiteres Biscotti hin. „Baden nicht so gut. Caffè muss heiß, nicht gut für baden."

Sie watschelt zurück zum Herd und setzt eine weitere Kaffeeportion auf.

„Ah, machst du zwei, Mariella", ruft Valentino ihr hinterher. „Ich bin heute sehr müde."

„Du bist immer müde." Sie wackelt mit ihrer Hand, den Zeige- und Mittelfinger an den Daumen gehalten, wie eine richtige Italienerin eben. „Junge Männer immer müde. Nix schlafen."

Valentino lacht und lehnt sich lässig auf seinem Stuhl zurück, die Arme hinter dem Nacken verschränkt, so dass sein kurzes Hemd den unteren Teil seines gebräunten Bauches über dem Bund seiner Jeans entblößt. „Schlafen ist für alte Menschen."

Ich bin irgendwie fasziniert davon, wie gelassen und fröhlich dieser Mann ist. Wieder einmal habe ich das Gefühl, ihn mitten in seinem Heimatland vor mir zu sehen. Gingen wir jetzt nach draußen, wäre da keine texanische Einöde, sondern vielleicht rankende Weinberge.

„Und Sie, Adam?", richtet Mariella das Wort an mich und kommt mit meiner erneut gefüllten Espressotasse zurück, um sogleich Valentinos Tasse, die er ihr mit einem Lächeln hinhält, engegenzunehmen. „Sind Sie auch immer müde?"

Ich setze das Tässchen an meine Lippen an und grinse, als ich den herben Geruch in meine Nase sauge. „Nach diesem Schätzchen hier werde ich das ganz sicher nicht sein."

Beide lachen herzlich und Valentino klopft mir begeistert auf die Schulter. „Lachen ist immer gut. Lustig ist immer gut." Er hebt den Kopf und ruft Mariella hinterher: „Eh Mariella, wann kommt deine Tochter wieder?"

Erschrocken reiße ich die Augen auf und verschlucke mich prompt an der heißen Flüssigkeit. Ich huste reflexartig, während Valentino mir lachend auf den Rücken klopft.

„Mamma mia, Valentino", ruft die ältere Frau. „Was machst du? Du darfst nicht erschrecken unsere Gäste! Was will er mit meiner Tochter? Giulia ist nix für ihm."

„Perché no, Mariella?" Valentinos Hand liegt noch immer auf meinem Rücken, an der Stelle, wo er eben noch sorgfältig geklopft hat.

Meine Haut wird ganz heiß an der Stelle, wo seine Finger über meinem T-Shirt liegen.

„Er ist geschieden! Er braucht neue Amore!"

Mariella stemmt die Hände in die Hüften und schüttelt den Kopf, ihre Stirn in Falten gezogen. „Du bist ein Idiota, mio caro. Adam, möchten Sie etwas Acqua?"

Ich nicke und räuspere mich angestrengt.

Die untersetzte Frau watschelt zu einem der Kühlschränke, um Wasser zu suchen, während Valentino mir weiter über den Rücken streichelt. „Keine Sorge", murmelt er mir zu. „Wir finden Amore für dich."

Ich blicke in seine dunklen Augen, die mich wie immer so verschmitzt anfunkeln und irgendwie glaube ich ihm, dass er für mich eher Amore findet als den Ort, an den er mich eigentlich bringen sollte.

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