21. Der vorübergehende Job als Aushilfskellner

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Wie schon bei meinem letzten Aufenthalt vor einer gefühlten Ewigkeit ist die Bar gut besucht. Allerdings scheint einer meiner Kollegen vorsorglich Plätze für uns reserviert zu haben, denn ein paar der kleinen Tische sind zusammengeschoben und mit einem Reserviert Schild versehen. An diesen sitzen bereits Glenn, der heute Geburtstag hat, und Vivian, die wie er in der Personalabteilung arbeitet.

Zu meiner Überraschung halten die beiden Händchen.

Unter lautem „Hey" und „Alles Gute zum Geburtstag" begrüßen wir uns alle untereinander und quetschen uns auf die kleinen Holzstühle, wobei ich mich gekonnt am Rand platziere.

Ich lasse meinen Blick durch die gemütliche Bar schweifen, mustere die anderen Gäste, doch niemand kommt mir bekannt vor.

„Hey, guten Abend." Plötzlich steht ein gut gelaunter und wieder einmal atemberaubender Anthony neben mir, schaut jedoch über mich hinweg. Heute trägt er ein hautengendes, schwarzes T-Shirt, dessen Ärmel so stark an seinen Oberarmen spannen, dass ich meine, das Reißen des Stoffes hören zu können. „Ich nehme mal an, ihr wollt Vino für alle?"

Heather klatscht von allen am lautesten und fast rechne ich damit, dass sie noch wild durch die Zähne pfeift.

„Machst du uns noch eine Antipastiplatte, Anthony?", ruft ihm Jenna zu.

„Na klar", erwidert unser Gastgeber mit einem Zwinkern und legt mir überraschend die Hand auf die Schulter. „Alles schon vorbereitet, ich weiß doch, was ihr mögt. Hilfst du mir einmal beim Tragen, Adam?"

Während mir beinahe die Augen aus dem Kopf fallen, da ich nicht damit gerechnet hatte, dass er sich an mich, geschweige denn auch noch meinen Namen, erinnern kann, grinsen Heather und Jenna so breit, dass ich davon ausgehe, dass ihnen ihre Gesichter morgen sehr wehtun werden.

Unbeholfen stehe ich von meinem Stuhl auf, der viel zu laut über den Boden knarzt, als ich ihn mit meinen Beinen zurückschiebe. Ich stolpere Anthony schon fast hinterher und bemühe mich, die anfeuernden „Whoohoo"-Rufe meiner Kolleginnen zu ignorieren.

Ich trete von einem Fuß auf den anderen, während ich in gebührendem Abstand vor dem Tresen stehenbleibe und Anthony dabei beobachte, wie er mehrere Weingläser hervorholt und vor mir stapelt.

„Wenn du sie dir so zwischen die Finger klemmst", erklärt er mir und demonstriert mir mit einem Glas, dessen Stiel er zwischen seinen Zeige- und Mittelfinger klemmt, was er meint, „kannst du mehrere tragen."

Ich nicke ergeben und nehme die Gläser einzeln auf, darauf bedacht, keines zu zerbrechen.

Er holt drei Weinflaschen aus einem Kühler und positioniert sie gekonnt auf einem Tablett. „Wie geht es dir, Adam?", will er von mir wissen.

„Äh ... ganz gut ...", gebe ich zurück und konzentriere mich weiterhin auf die leise klirrenden Gläser an meinen Fingern.

Mehr als vier traue ich mir an einer Hand doch nicht zu.

„Gut", erwidert er lächelnd und hebt das Tablett mühelos auf seine Fingerspitzen. „Gut, gut."

Zu gern würde ich ihn nach Valentino fragen, doch er geht bereits schnellen Schrittes zurück zu unserem Tisch und bedeutet mir mit dem Kopf, ihm zu folgen.

Eilig flitze ich hinterher und werde lautstark von meinen Kollegen begrüßt, als ich die Weingläser mit einer kleinen Verbeugung präsentiere.

Anthony entkorkt fachmännisch die erste Flasche und ich reiche ihm nach und nach die Gläser, die er füllt und in die ausgestreckten Hände gibt.

„Auf Glenn!", rufen wir schließlich alle und stoßen gemeinsam an. „Happy Birthday!"

Nachdem wir die erste Runde getrunken haben und Anthony die anderen Bargäste, die drinnen und offenbar auch draußen vor der Tür sind, bedient hat, steht er wieder hinter dem Tresen und nickt mir auffordernd zu.

„Na?", kichert Jenna neben mir und zwinkert in seine Richtung. „Wäre der heiße Anthony nichts für dich, Adam?"

Ich folge ihrem Blick und mustere den nordischen Donnergott wieder einmal.

Er sieht unwahrscheinlich gut aus, keine Frage. Aber wenn ich ihn ansehe, ist da kein ...

Feuer.

„Ich denke eher nicht", gebe ich zurück und gehe mit meinem noch halb gefüllten Weinglas zu ihm an den Tresen.

Er schneidet gerade ein herrlich duftendes Ciabattabrot in Scheiben und drapiert diese in einem kleinen Körbchen. „Könntest du mir einen Gefallen tun, Adam?"

Ich nippe an meinem Wein und verkneife mir ein „Soll ich den Tisch am Fenster abkassieren?", denn ich möchte nicht schnippisch erscheinen.

Einerseits fühle ich mich geschmeichelt, dass er sich an mich erinnert und mich eher wie einen ... Freund oder zumindest Bekannten behandelt.
Andererseits bin ich auch Gast und vorrangig hier, um einen schönen, lustigen Abend mit meinen Kollegen zu verbringen und nicht, um Kellner zu spielen.

Vielleicht trinke ich gleich erst mal ein Wasser, der Wein hat es in sich. Oder ich vertrage einfach nichts.

„Was denn?", frage ich nach einer gefühlten Ewigkeit und schnappe mir eines der Brotscheibchen.

„Könntest du kurz mal rausgehen und dort nach dem Rechten sehen?", fragt Anthony.

Empört reiße ich die Augen auf.

Habe ich mich gerade verhört? Er will, dass ich nach draußen gehe? Hat er mitbekommen, dass ich mit Bekannten hier bin?

Anthony öffnet eine Flasche Bier und reicht sie mir mit einem hoffnungsvollen Lächeln. „Bitte? Nur das hier einmal rausbringen. Dann lasse ich dich in Ruhe, okay?"

Energisch stopfe ich mir die Brotscheibe in den Mund, nehme die Flasche in die eine und mein Weinglas in die andere Hand und begebe mich zum Ausgang, während ich mit einem „Fragt nicht"-Blick in Heathers und Jennas Richtung sehe.

Der hat vielleicht Nerven! Wenn es ihm zu viele Gäste sind und er nicht hinterher kommt mit dem Service, muss er eben Leute wegschicken. Er kann doch nicht einfach jemanden, den er kaum kennt, einfach als Kellner einspannen!

Schwungvoll stoße ich die Tür mit meiner Schulter auf und stolpere nach draußen in die kühle Abendluft. Noch immer kaue ich mühevoll auf dem Brot in meinem Mund und überlege, woran ich wohl erkennen soll, welcher der Gäste hier draußen ein Bier bekommt.

Die Auswahl fällt erstaunlich leicht.

Es ist exakt eine Person hier draußen und das ist Valentino Fiore, der mit dem Rücken an der Hauswand lehnt und eine Zigarette raucht.

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