42.

532 52 18
                                    

Eric

Song: ode to a conversation stuck in your throat - chris lanzon (cover)

Ich bleibe noch eine Weile neben der Couch stehen, bis ich einen Schritt zurück und nach vorne mache, auf Ben zu.
"Ich wollte dich nicht allein lassen. Aber du hast recht, das habe ich dennoch getan."
Den zweiten Satz kann ich kaum noch über die Lippen bringen, weil ich sehe, wie die Wut und der Widerstand im Schwarzhaarigen aufsteigen wie Rauchfontänen.

"Ich bin ..."
"Du bist mit mir nicht mehr fertig geworden und die weite Welt hat dich gerufen und ich konnte nicht mitmachen; beim Kofferpacken und Verabschieden von allem Vertrauten, das weh tut", seufzt er und blickt nur kurz scheu zu mir auf.

So etwas Ehrliches habe ich selten aus seinem Mund gehört. Und um ehrlich zu sein, hat dieser Satz gerade all meine eben gefundenen Worte verblassen lassen, jetzt habe ich erneut nichts zu sagen.
Früher konnte mir Benny nicht so den Wind aus den Segeln nehmen, er hat eher zu Wutanfällen geneigt oder ist einfach aus dem Raum gestürmt, wenn es unangenehm wurde.
Dinge scheinen sich doch zu ändern.

"Hat es dir die Sprache verschlagen?", schnaubt er.
Entkräftet lasse ich mich neben ihn fallen.
"Du machst es mir einfach zu schwer. Vielleicht bin ich auch einfach nicht der Richtige hierfür. Du hasst mich, wir kennen uns gar nicht mehr und wenn du nicht über unsere Vergangenheit reden willst, willst du wahrscheinlich auch keine Zukunft hiervon."

Ich mache eine ausladende Bewegung, die den gesamten Raum mit einschließt, obwohl dieser Raum rein gar nichts mit der Sache zu tun hat, über die ich gerade versuche zu reden.
Ich könnte schwören, dass sich Ben für den Bruchteil einer Sekunde anspannt, ein sichtbarer Ruck scheint durch seinen Körper zu gehen, doch als ich meinen Kopf ganz zu ihm drehe, sitzt er kühl und ungerührt neben mir und starrt immer noch zu den Elefanten.

"Worüber willst du denn reden?"
Seine Stimme beherbergt keinerlei Emotionen. Entweder, er unterdrückt sie oder er hat wirklich keine zu diesem Thema.
"Darüber, wie wir als Jugendliche rumgemacht haben und du dich in mein Zimmer geschlichen hast? Oder willst du mich daran erinnern, wie wir unser gegenseitiges, erstes Mal waren?"

Ich spüre seine Augen auf mir und blicke von meinen gefalteten Händen auf.
"Denn an all das erinnere ich mich. Ich verstehe allerdings nicht, warum wir darüber reden müssen. Ich weiß genauso gut wie du, was damals zwischen uns war. Oder glaubst du, dass mir das Koks mein Langzeitgedächtnis genommen hat?"

"Koks?", frage ich und meine Augen vergrößern sich spürbar in meinem pochenden Schädel.
Ben winkt ab, schüttelt den Kopf und schaut geradeaus, weg von mir und zieht den Vorhang aus schwarzem Haar vor sein Gesicht, versperrt mir die Sicht.
Jetzt bleibt mir nur noch seine Körpersprache.

Sein rechtes Knie wippt in einem schnellen Achteltakt auf und ab. Im letzten Moment hindere ich meine Hand daran, sich darauf abzulegen und seinen Rhythmus auch in meinem Körper zu spüren.
Es wäre unangebracht, ihn jetzt so anzüglich anzufassen. Außerdem würde er dann wieder seinen Dickschädel durchsetzen können und mich davon überzeugen, den Rest des Redens unseren Körper zu überlassen und unsere Zungen anderweitig einzusetzen.

Plötzlich beginnen meine Hände zu schwitzen und ich muss sie an den Hosenbeinen abwischen.
"Ben, du bedeutest mir viel. Ob wir nun ein Bett teilen oder nicht. Und mit Menschen, die ich mag, unterhalte ich mich auch gerne. Ich möchte wissen, wie es ihnen geht und Probleme mit ihnen teilen, hören, was ihnen am Tag zuvor passiert ist, bevor wir uns gesehen haben. Doch all diese Dinge schließt du vor mir weg. Und ich kann nie mit dir reden, weil du mich nie richtig reinlässt. Ich stehe vor dir wie der letzte Idiot und versuche dir jede noch so kleine Information aus der Nase zu ziehen. Und zu alldem sehe ich, weiß ich, dass es dir nicht gut geht, dass du Probleme hast."

Wir drehen uns im Kreis. Ich drehe mich im Kreis.
"Was willst du hören?"
Er meint es nicht ernst. Ich kann es hören.
"Was hat dich dazu gebracht, dir in eurem Badezimmer die Pulsadern durchzuschneiden?"

"Eine Überdosis", antwortet er monoton.
"Schwachsinn! Kein Junkie unternimmt einen Suizidversuch, nur weil er sein Limit überschritten hat! So funktioniert unser Gehirn nicht."
Ich habe keine Kontrolle über mein Temperament. Ben macht mich in diesem Moment so unglaublich wütend.

Er muss doch verstehen, dass ich ihm helfen will. Warum nimmt er diese Hilfe nicht einfach an?
Ich vergrabe das Gesicht in den Händen und bohre meine Fingernägel in meine Gesichtshaut.
"Ist es dein Vater? Sein Verhalten, dass er dich nicht so akzeptieren kann, wie du bist? Dass er -"
"Hast du ihm etwa von uns erzählt?"

Ich kitzle die erste echte, deutbare Emotion der letzten Minuten aus ihm und es ist Panik. Sein Körper schaltet in Überlebensmodus, Pupillen geweitet, Herzschlag erhöht, Atmung flach.
"Was? Nein, natürlich nicht", sage ich und blinzle ihn zwischen meinen Fingern hindurch an.
"Er würde das nie akzeptieren, alles, was ihm keine Erben bescheren kann, ist kategorisch abzulehnen, er hasst mich so schon genug."

Die Anspannung fällt von den schmalen Schultern neben mir ab und Ben nimmt wieder das Wippen seines Beines auf.
"Das würde ich nie über deinen Kopf hinweg tun", flüstere ich getroffen.
Ich weiß noch, was er für eine Angst davor hatte, dass sein Vater uns erwischen würde. Er hasst Paul und er will ihn zur Weißglut, ja sogar zu einem Herzinfarkt bringen, aber nicht so.

Ich kann nicht wirklich beurteilen, ob seine Angst berechtigt ist, aber so wie ich Paul einschätze, wäre er alles andere als begeistert, zu erfahren, dass sein drogenabhängiger, suizidgefährdeter Sohn obendrein auch noch schwul ist.
Er tut mir leid. Niemand sollte so einen Vater haben.

Ich muss an meinen Vater denken und realisiere, dass ich fast dieselbe Art von Vater habe. Auch mein Vater würde meine Sexualität nicht verstehen, er würde sie weder mit offenen Armen begrüßen, noch an die große Glocke hängen. Es würde unser Geheimnis werden, dessen bin ich mir sicher.

___________________________________

Good evening :)

Immer dieser Väter, nicht wahr...? xD
Dieses Gespräch ist echt lang, aber echt wichtig, sooo... :)
Next part tomorrow

Morgen ist Freitag, das bedeutet neue Musik von Wallows & Machine Gun Kelly!!!

All my Love,
Lisa xoxo

almost Love [boyxboy]✔Where stories live. Discover now