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Ben

Song: Miserable Man - David Kushner

Die ganze Fahrt über starre ich nur geradeaus auf die Straße, lasse mich nicht von den anderen Fahrern neben mir oder den Passanten vor den Fensterscheiben ablenken.
Ihre Blicke stören mich gerade nicht, ich will ihre hässlichen Visagen nicht sehen und es ist mir auch egal, wie asozial einige von ihnen an den örtlichen Bushaltestellen herumhängen.

Ich fahre einfach zurück, bis die Viertel wieder heller werden, die Häuser weißer und die Straßen breiter. Ich biege nach links und sehe nach der Kurve das Anwesen der Coopers am Ende der Sackgasse.
Ich war ewig nicht mehr hier, fühle mich plötzlich wie in der High School, als ich mit Eric noch des Öfteren hierher gekommen bin.

Die Tore sind offen und ich fahre bis vor die Haustür. Erneut habe ich keine Ahnung, was ich gleich sagen werde, wenn mir die Tür geöffnet wird.
Ich kann nur inständig hoffen, dass mir jemand öffnen wird, der mir Auskunft geben kann, sonst drehe ich durch und schlage vielleicht noch eine Scheibe ein.

Ich lasse die Schlüssel stecken, weil ich Ophelias beschissenen Fellball nicht noch mal in der Hand halten will und steige aus. Der Hauseingang der Coopers ist überdacht und ebenerdig, man muss lediglich auf eine breite Steinplatte treten.
Ich lasse den Blick schweifen, während die Klinge durch das Innere des Hauses hallt. Neben der Tür steht ein kleiner Buchsbaum. Der Brunnen auf dem Vorplatz plätschert fröhlich in der sengenden Sonne dahin.

Etwas im Haus regt sich und ich drehe mich mit zusammengekniffenen Augen um. Ich hätte eine verdammte Sonnenbrille einpacken sollen.
Jemand drückt die Klinke herunter und im nächsten Moment erblicke ich das Gesicht von Erics Dad. Er ist ein bisschen faltiger geworden, seine Schläfen werden von einem silbernen Grau geziert, doch ansonsten fängt sich das Sommerlicht in seinen nach wie vor pechschwarzen Haaren.

"Ben? Was für eine Überraschung."
Er zieht die breite Tür ganz auf und mustert mich einmal von oben bis unten.
"Mit dir hätte ich wirklich nicht gerechnet", lacht er.
Seine ausgeprägten Wangen formen sich zu kleinen Golfbällen, als er mich anlächelt.

"Hallo, Mr. Cooper."
Wir schütteln uns die Hände und Dean Cooper klopft einmal herzlich auf meinen Rücken.
"Junge, dich habe ich ja lange nicht gesehen, gut siehst du aus. Wie geht es dir?"
Ich weiß, dass er lügt. Ich habe mich praktisch aus dem Bett gerollt und gerade ist mein rechtes Auge vollständig von Haaren bedeckt. Ich kann nicht gut aussehen.

"Mir?", frage ich perplex, es scheint eine Ewigkeit her zu sein, dass sich jemand so unbefangen nach meinem Wohlbefinden erkundigt hat. "Gut, Sir. Ich glaube, ich darf nicht klagen."
Verlegen blicke ich über meine Schulter, die Einfahrt hinunter, die doppelt so breit ist wie unsere.
Hier ist der Vorgarten in einem offenen Konzept gestaltet und nicht wie bei uns durch Hecken abgrenzt.

"Na, vielleicht bist du ein bisschen blass um die Nase. Willst du etwas trinken?"
Er deutet ins Innere des Hauses. Ich erkenne einen großen Flügel am anderen Ende des Erdgeschosses, der vor einer großen Glasfront steht, hinter der sich ein Garten erstreckt. Erst beim zweiten Hinsehen erkenne ich, dass sie einen Wintergarten angebaut haben, in dem Palmen und Farne in der Sonne schmoren.

"Nein, vielen Dank, nicht nötig. Dean, ich wollte fragen, ob Eric hier ist."
"Eric?" Die Falten auf seiner Stirn vertiefen sich. "Eric ist abgereist."
Meine Welt bleibt stehen. Und dann dreht sie sich mit einem Rucken weiter, als ich realisiere, dass ich immer noch vor Mr. Cooper stehe und nicht allein in meinem abgedunkelten Zimmer liege.

"Hat er dir das etwa nicht gesagt?", fährt er fort, doch ich nehme seine tiefe Stimme nur entfernt wahr, so als ob er am Anfang eines Tunnels stehen würde, in dem ich Kilometer weit drinnen stecke.
"Er hat mir doch erzählt, dass ihr wieder Kontakt habt und euch auch ein paar Mal getroffen habt, ich kann mir nicht vorstellen, dass er dir das nicht sagen würde."

Sein wachsamer Blick ruht schwer auf mich, während ich versuche, mich zu sammeln und die Fassung zu bewahren. Ich beiße die Zähne fest zusammen und versuche, an gar nichts zu denken.
"Ja, ich ... Ich habe ein paar seiner Anrufe verpasst, da hat er es mir wahrscheinlich sagen wollen..."
Mein Satz hängt zwischen uns in der Luft und Erics Vater gibt einen missbilligenden Laut von sich.

Wahrscheinlich glaubt er jetzt, sein Sohn ist ein Arschloch. Soll er ruhig.
Eric ist ein Arschloch, wenn das stimmt, was Dean da gerade sagt. Und ich weiß, dass es stimmt. Warum sollte dieser alte Mann mich anlügen.
"Hat er gesagt, wo er hin will?", spreche ich die Frage aus, die nicht nur meine Zunge, sondern mein ganzes Leben verbrennen könnte.

Dean blickt mich aus seinen blaugrauen Augen an und stützt sich am Türrahmen ab.
"Er wollte nach Atlantic City. Einer seiner Freunde hat dort ein Boot, das er erwischen wollte, damit soll es dann entweder in die Dominikanische Republik oder runter nach Südafrika gehen."
Er kratzt sich am Hinterkopf.

In meinem Brustkorb breitet sich die altbekannte Dumpfheit aus, die mich in ihre süße Trauer hüllt, mir eine zärtliche Umarmung gibt.
Ich erwidere Deans Blick und versuche weiterhin aufrecht und gerade zu stehen, nicht zur Seite zu taumeln.

Südafrika. Das ist ganz schön weit weg. Was, wenn er nie wieder kommt? Oder wenn er wiederkommt, mir aber nicht Bescheid gibt und ich nie wieder ein Lebenszeichen von ihm erhalte?
Ich hätte es verdient. Immerhin habe ich ihm in den letzten Wochen klar vermittelt, dass ich kein Lebenszeichen mehr von ihm erhalten will.

Ich fahre durch meine Haare, streiche sie hinter meine Ohren und ziehe meine Hose hoch, nur damit meine Hände etwas zu tun haben.
"Ah. Das hört sich nach einer schönen Reise an. Ich will auch nicht länger stören."
"Nein, auf keinen Fall. Die Einladung steht, wenn du auf ein Gläschen hereinkommen möchtest."

"Nein, danke. Ich will gleich weiter, ich -"
"Was wolltest du denn überhaupt von Eric?"
Diese Frage trifft mich härter, als sie sollte.
"Das weiß ich nicht", murmle ich.

"Was?"
Mr. Cooper ist sichtlich irritiert.
"Ich meinte, ich wollte ihn nur fragen", krampfhaft suche ich nach einer plausiblen Erklärung, nach etwas, das ich von Eric gewollt haben könnte, "ob er am Wochenende mit zum Segeln kommen will."

Mein Mund verzieht sich zu einem Grinsen.
Mein Gegenüber lacht.
"Tja, Junge, ich glaube, da wird er auf einem anderen Schiff sein."
Mein eigenes Lachen klingt fremd und hohl in meinen Ohren.

"Kann man wohl nichts machen", lache ich und streiche eine Strähne auf meinem verschwitzen Gesicht. "Dann werden es wohl nur ich und der Wind auf dem offenen Wasser sein."
"Dann hast du wenigstens deine Ruhe. Ben, ich wünsche dir was und grüß bitte deine Eltern ganz lieb von mir. Ich hoffe, deiner Mutter geht es besser, habe gehört, dass sie mit dem Krankenwagen abgeholt worden ist."

Ich kann nicht genau sagen, ob seine Sorge ernst gemeint ist oder er nur an billige Informationen kommen will.
"Alles bestens im Hause Rosethorns", grinse ich.
Wie immer.

Ich höre mir das ganze noch mal an; wie schön es ist, mich wiederzusehen und dass ich gerne noch mal vorbeikommen soll, dass der alte Cooper nicht so langweilig sei, wie es der junge vielleicht behauptet.
Und dann gehe ich.

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Hey :)

Wir versuchen hier den Smiley aufrecht zu erhalten!

Aber wisst ihr was Scheiße ist? Wenn ihr echte Angst bekommt, weil plötzlich eure Eltern wegen dieser ganzen Situation Angst bekommen!

Ich hoffe, wir können ganz, ganz bald hierauf zurückblicken & halbwegs erleichtert feststellen, dass die ganze Sache noch mal glimpflich ausgegangen ist - für die Welt. Die Ukrainer tun mir so schrecklich leid. Die Bilder, die man sieht .... Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie schrecklich man sich fühlen muss, in den U-Bahn-Schächten zu sitzen oder auf den Straßen um sein Land zu kämpfen - diese Leute bewundere ich übrigens zu tiefst!!!!

Und in unserer Geschichte geht ja gerade auch nicht alles so rund...

In unserer Zeitung stand heute übrigens, dass einige Politiker fordern, dass Merkel sich mit Putin trifft. Und da bin ich sowas von für! Sie ist die einzige, die mit diesem Psycho reden kann!

Nun bis morgen. Wenigstens hatten wir heute Sonne.

All my Love,
Lisa xoxo

almost Love [boyxboy]✔Where stories live. Discover now