56.

480 45 34
                                    

Eric

Song: Antichrist - The 1975

Meine Gabel kratzt kreischend über den halbleeren Teller. Ich ziehe das Besteck mit zu viel Gewalt durch das Steak. Als ich es ablegen will, bemerke ich, wie sehr meine Hände zittern.
Ich werfe einen schnellen Blick in die Runde und stelle erleichtert fest, dass mir niemand seine Aufmerksamkeit schenkt.

Ich wische mir über die Stirn und trinke einen großen Schluck Wasser. Nach gestern Nacht und dem Kater, den ich heute früh versucht habe, auszuschlafen, verzichte ich nur zu gerne auf den Wein, den mein Vater, Aron und seine Frau sich pausenlos nachschenken.
Unser gemeinsames Essen ist auf einen Montagabend gefallen. Eine gelungene Krönung des ersten Arbeitstages der Woche.

Aron hat seine Frau ein vier Gänge Menü zaubern lassen. Jedenfalls glaube ich wirklich, dass sie alles, was auf dem Tisch steht, auch wirklich selbst gekocht hat. Mittlerweile traue ich es mir zu, den Unterschied zwischen Catering und Hausgemacht zu bestimmen.
Dad sitzt Aron gegenüber und wann auch immer ihm oder meinem Vorarbeiter ein weiterer Meilenstein in der Firmengeschichte einfällt, prosten sie sich zu.

Mir gegenüber sitzt Arons Frau Lilia, eine nette, junge Frau mit dunklen Haaren, die ihr fast bis an die Hüften reichen.
Ihr Lächeln wirkt wirklich offen und einladend, wenn sich unsere Augen ab und an begegnen, aber wir haben uns nicht viel zu sagen.

Ich bin eigentlich auch nur hier, weil Aron mich und meinen Vater eingeladen hat und ich keinen triftigen Grund für eine Absage gefunden habe.
Zumal Dad mich aus Prinzip mitgeschleppt hätte. Immerhin ist er sich von Tag zu Tag mehr im Glauben, dass ich für immer in Fitchburg und an seiner Seite bleiben werde.

Ich versuche ein weiteres blutiges Stück Fleisch in den Mund zu nehmen.
Lilia hat uns nicht nach unseren Vorlieben betreffend der Fleischzubereitung gefragt und uns einfach die Teller vor die Nase gestellt, sonst hätte sie gewusst, dass ich rohes Fleisch grundsätzlich ablehne.

"Eric, was sagst du dazu?"
Ich blicke unberührt auf. Es ist mir nicht mal peinlich, dass es für jeden am Tisch offensichtlich sein muss, dass ich ihrem Gespräch nicht gefolgt bin.
"Wozu?"

Aron lacht verhalten.
"Na, zu dem Vorschlag, dass wir ein zweites Großraumbüro anmieten und du dort mit mir zusammen den Chef spielst. Natürlich, solange dieser Herr hier nicht im Haus ist."
Wieder lacht Aron.

Man merkt, wie sehr er versucht, einen guten Eindruck bei meinem Vater zu machen, beinahe krampfhaft.
Er will sich noch weiter hocharbeiten, sein Gehalt auf Dauer absichern und sich unersetzlich machen. Wahrscheinlich planen er und Lilia, bald eine Familie zu gründen, in ein größeres Apartment zuziehen.

In Parknähe natürlich, damit man mit dem Kinderwagen auch vernünftig spazieren gehen könnte.
Ich kann mir die beiden so richtig gut vorstellen; das klassische Leben.
"Eric, wir warten schon noch auf eine Antwort. Ganz schwierig wird das doch wohl nicht sein", brummt jetzt mein Vater, immer noch liebevoll, aber drängend. So wie immer.

Ich lege meine Gabel erneut beiseite, dankbar über die Möglichkeit mein Essen zu unterbrechen.
"Na ja, ich finde schon. Immerhin hört sich das ganze nicht wie ein Gedankenexperiment an, sondern nach greifbaren Plänen. Und ich möchte doch nicht, dass ihr auf mich baut, wenn ich gar nicht mehr da bin."

Die junge Frau vor mir räuspert sich und streicht ihre braunen Haare hinter das rechte Ohr.
Ich begegne Arons aufrichtigem Blick. Er ist wirklich ein netter Kerl und ich wünschte, ich hätte gerade mehr Manieren, aber ich krieche buchstäblich auf dem Zahnfleisch.
"Es tut mir leid, wenn dir diese Frage zu persönlich oder unangemessen war."

"Ist schon in Ordnung."
Ich versuche ein Lächeln, das höchstwahrscheinlich furchtbar verklemmt rüberkommt.
"Eric, was soll das heißen?", fragt mein Vater und dreht sich zu mir.
Ich wende den Kopf zu ihm und blicke in die blaugrauen Augen, die am Rand von einem schwarzen Kreis zusammengehalten werden und die ich schon seit meiner Kindheit nicht richtig einschätzen kann.

"Ich möchte einfach nicht, dass du auf mich zählst, wenn ich vielleicht andere Pläne habe, das ist alles."
"Das heißt, du weißt noch nicht, ob du final in Fitchburg bleiben wirst?"
Er runzelt die Stirn, wenn wir allein wären, würde er noch mehr an diese Frage anschließen. Aber das sind wir zum Glück nicht.

"Exakt", nicke ich.
"Nun, gut zu wissen", sagt er lachend und tupft sich den Mund an.
Er lacht nicht mich an, sondern das Paar, das uns gegenüber sitzt.
Die Situation hätte peinlicher sein können. Ich höre ab diesen Worten nicht mehr zu und schaufle ein paar Bissen Kartoffelbrei in mich hinein.

Während einem besonders lauten Teil des Tischgespräches bin ich kurz davor, mein Handy unter dem Tisch hervorzuziehen und es nach Nachrichten von Ben zu checken. Aber wenn er mir auf meine blamablen Nachrichten geantwortet hätte, hätte ich das gespürt. Unser Chat ist auf Vibration gestellt.

Wenn ich mir dabei nicht so schwach und unreif vorkommen würde, würde ich die dutzenden Nachrichten der letzten Nacht allesamt löschen.
Ich habe mich wie ein anhänglicher Teenager verhalten.
Geh endlich ans Handy!
Dann war's das.
Nein, das war so nicht gemeint. Es tut mir leid.
Ben?
Benny, bitte, komm schon, ich halte es ohne dich nicht aus.

Ich meine, was habe ich mir gedacht?
Das traurige ist, dass ich kaum Rechtschreibfehler gemacht habe. Nur die allerletzten Nachrichten benötigen etwas Fantasie, um entschlüsselt zu werden. Das weiß ich, weil ich lange genug auf sie gestarrt habe, während ich am Morgen danach fieberhaft überlegte, was zur Hölle ich machen sollte.
Was, wenn Ben nicht kapiert, dass ich betrunken war und für diese Worte nicht zur Verantwortung gezogen werden kann?

Aus diesem Grund trinke ich nur noch selten Alkohol. Ab einem gewissen Alter ist der witzige, leichtsinnige Eric einem lebensmüden, gefühlsduseligen Mann gewichen, dem man nicht mehr als Mitleid entgegenbringen kann.
Alles hat damit angefangen, dass ich nicht schlafen konnte. Ich habe mich angezogen und in irgendeine Bar bei mir um die Ecke gesetzt, die ich zuvor noch nicht kannte.

Und von da an ging es Berg ab. Ich bin in eine nette Runde geraten, mit der ich um die Häuser gezogen bin, als der Wirt uns um Mitternacht rausschmiss.
Sie können mich unmöglich für einunddreißig gehalten haben, dachten wahrscheinlich, ich sei Mitte zwanzig. Sonst hätten sie mich sicherlich nicht in ihre Mitte aufgenommen.

Ich habe Erinnerungsfetzen an mindestens zwei weitere Bar oder Clubs.
Aber keinerlei Erinnerung daran, diese verdammten Nachrichten verfasst und schlussendlich auch gesendet zu haben.
Vom ganzen Haare raufen, habe ich schon Kopfschmerzen bekommen. Also ermahne ich mich, die Unterarme auf der Tischkante liegenzulassen und weiterhin so zu tun, als ob ich den beiden Männern am Tisch zuhören würde.

Könnte die Möglichkeit bestehen, dass Ben die Nachrichten noch nicht gelesen hat?
Niemals. Er hängt beinahe jede Sekunde des Tages an seinem Handy und wenn er nicht auf dessen Bildschirm starrt, sitzt oder liegt er daneben.
Nein, er wird sie gelesen haben. Und er hat nicht geantwortet. So wie auf die vorherigen Nachrichten, die ich ihm nach seinem unnötigen Abgang geschrieben habe.

Ich schlucke und lege meine Finger an die Lippen.
Es wäre schön, wenn Ben aus meinem Kopf verschwinden würde. Aber er scheint nicht mal daran zu denken.

___________________________________

hii ^^

sieht ja so aus, als ob weder Ben noch Eric einen tollen Montagabend hatten...

Dafür hoffe ich, dass ihr alle einen umso besseren Freitagabend haben werdet! Vielleicht ist heute für mich wieder etwas Lese- & Malzeit drin. Das wäre toll, mal sehen, bis jetzt bin ich ja vor meinem Zeitplan. :)

Hoffentlich wird der Sturm morgen nicht ganz so schlimm, aber das soll er ja. Was bedeutet, dass von unserem Dach noch mindestens eine Schindel runterkommen wird. Ach ja... xD

All my Love,
Lisa xoxo

almost Love [boyxboy]✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt