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Song: Fine Line - Harry Styles (I'm sorry but I'll use this song as long as I am alive and writing!)

Eric

"Ich bin dir nicht böse, wenn es das ist, was du hören willst. Nicht mehr", sagt er dann leise.
Ben knickt seinen Nacken, sieht mich aus verschlafenen Augen an.
"Du hattest diese unglaubliche Chance nach Europa zu gehen und ich war für so eine Reise einfach nicht gemacht. Ich hätte dir wahrscheinlich alles verdorben, du weißt, dass ich vor elf Uhr nicht aufstehen kann."

Ich verkneife es mir, mit ihm darüber zu diskutieren, dass das eine Sache der Einstellung ist und dass er kann, wenn es will.
Aber es würde nichts geändert. Ben ist ein Dickschädel, er passt nicht in die Welt, die seine Familie aufgebaut hat. Seine Versuche sich als Teenager anzupassen, habe ihn zerbrochen. Wir alle haben dabei zugesehen.

Er konnte noch nie jemandem die Hand schütteln, der den Klimawandel öffentlich leugnet oder vor zwei Tagen mit derselben Hand die Umsiedlung von einer unschuldigen Dorfgemeinschaft in Venezuela unterzeichnet hat, nur um ihren Boden auszubeuten.
Er bleibt seinem Gewissen treu und vertraut auf seine Prinzipien und Überzeugungen.

Deswegen habe ich mich in ihn verliebt. Weil er ein verdammter Rebell war, der seinen Vater zur Weißglut und seine Mutter zur Verzweiflung getrieben hat. Weil er all das war, was ich sein wollte und mich in seinem Alter nie getraut habe.
Bis er es übertrieben und sich selbst ins Abseits geschossen hat.

So einen Kampf kann man nicht allein kämpfen. Und als ich ihn dann allein gelassen habe ...
Ich weiß, dass es meine Schuld ist. Ich habe ihn aufgegeben. Der einzige Mensch, der vorgegeben hat, ihn zu verstehen, hat ihn verlassen und im Stich gelassen, weil er reisen wollte, die Welt erkunden und nicht im verfluchten Fitchburg versauern wollte.

"Du hast jedes Recht, sauer auf mich zu sein", bring ich heiser hervor. "Ich verdiene keine Vergebung von dir. Ich war egoistisch und selbstverliebt. Verdammt!"
Bens Hand legt sich auf meine Wange, sein Daumen kreist einmal, zweimal, dann streicht er mir die Haare hinter das Ohr.

"Was passiert ist, ist passiert."
Alles nur dumme Sprüche. Er will mich davon überzeugen, dass er nicht um Hilfe schreit. Seine verdammten Mauern, die ihn schützen, sind zu hoch für mich geworden. Ich bin nicht mehr berechtigt, sie zu erklimmen und Ben schützend in den Armen zu halten. Dieses Privileg habe ich verspielt, als ich gegangen bin.

Er sagt nichts mehr und in diesem schrecklich stillen Moment lasse ich meine Augen über seinen Arm wandern. Und ich sehe sie.
Die lange, dünne Narbe, die sich über die Innenseite seines Unterarms schlängelt. Es ist keine gerade Linie, aber sie ist senkrecht, genau über und neben der Pulsader platziert.

Ich weiß nicht, warum ich nicht aufschreie, seinen Arm vor mein Gesicht ziehe, ihn anschreie, Erklärungen verlange. Wahrscheinlich, weil ich keine brauche.
Ich kann einfach nur starren, meine Augen scheinen wie in Stein gemeißelt, sie bewegen sich keinen Millimeter.

Es ist keine OP-Narbe und sie stammt auch nicht von seinem letzten Autounfall.
Diese Narbe ist fein und präzise, kaum sichtbar, wenn sie sich nicht direkt vor meinem Gesicht befinden würde. Wie eine Wüstenschlange schlängelt sie sich über Bens blasse Haut, ihr Ziel scheint sein Herz zu sein.
Der einzige Grund, warum er hier bei mir liegt, wird die unruhige Hand gewesen sein, die dieses Mal hinterlassen hat.

Die Pulsader wurde nicht präzise getroffen, obwohl es sich um einen vertikalen Schnitt handelt.
Nach meinem nächsten Atemzug, der meine Lungen quälend langsam mit Sauerstoff füllt, kann ich nur Dankbarkeit verspüren. Dankbarkeit, dass er es nicht geschafft hat, dass er zu ungeschickt für einen geraden, tiefen Schnitt war. Es grenzt an ein Wunder.
Meine Augen kribbeln und ich blinzle die Tränen zurück.

Ben muss wieder an die Decke starren, sonst hätte er sich längst unter mir geregt und würde aufhören mir durch die Haare zu streichen.
Ich überlege nicht. In meinem Oberkörper scheint ein Vakuum aus Verzweiflung und Erleichterung zu bestehen.
Ich schließe einfach die Augen und drücke meine Lippen auf die dünne Narbe.

Ben scheint im ersten Moment gar nicht zu realisieren, was ich da tue. Doch dann scheint es ihm aufzugehen und er zuckt zusammen, will seinen Arm zurückziehen, doch ich bin schneller, packe sein Gelenk und ziehe ihn noch näher an mich.
"Wir müssen nicht darüber reden", sage ich leise.

"Darf ich auch nicht, großes Familiengeheimnis", entgegnet er und zerrt seinen Arm aus meinem unerbittlichen Griff.
In seinen Augen ist so viel Schmerz. Er braucht jemandem, der ihm zuhört, ihn ernst nimmt und keine Familie, die ihn versteckt. Oder einen Freund, der ihn alleine lässt.

Ich lege meine Stirn gegen seine Brust, fast verwundert darüber, dass er mich noch nicht abgeschüttelt hat.
Er riecht nach Rauch und Seife.
"Es tut mir leid, so verdammt leid."

Seine helle Haut wird nass und seine Finger finden meine Haarsträhnen im Nacken.
"Mir auch", wispert er.
Die Sonnenstrahlen, die durch die Fenster in den Raum fallen, passen nicht zu der Atmosphäre, die zwischen uns herrscht.

Es sollte regnen oder noch besser; ein Schneesturm sollte draußen an den Fenstern rütteln und alles in Sichtweite mit einer Eisschicht überziehen. Wir sollten in einem ausgekühlten, alten Haus liegen, alleine, mitten im Nirgendwo, völlig auf uns gestellt.
Doch stattdessen wird die Wand hinter uns illuminiert.
Die wilden Männer verziehen ihre Gesichter, man könnte beinahe meinen, sie kneifen die Augen vor der Sonne zusammen, die doch so selten in dieses Zimmer eindringen kann.

Ich vermute jedenfalls, dass Ben seine Rollläden nicht häufiger nach oben zieht als früher.
Heute ist wahrscheinlich eine Ausnahme.
Wir reden nicht weiter darüber. Er streichelt meinen Hinterkopf, ich fahre über die köstliche Haut an seiner Taille. Und genau das ist der Fehler. Darin liegt er die ganze Zeit, auch bevor ich gegangen bin.

Wir reden nicht darüber. Ich lasse Ben mit seinen Gedanken alleine, weil ich mich nicht dazu in der Lage fühle, mit ihm über seinen Selbstmordversuch zu sprechen.
Es erschreckt mich, dass ich nicht schockierter reagiere. Als hätte ich in meinem Inneren immer etwas gewusst, geahnt. Weil genau das der Fall ist. Und deswegen habe ich mir auch Sorgen um ihn gemacht, weil ich die ganze Zeit über wusste, dass es ihm nicht gut geht.

Aber dennoch versuche ich ihm zu vermitteln, dass er eben doch nicht mit seinen Gedanken allein ist.
Ich ziehe seine Hand von meinem Kopf, platziere sie auf seiner nackten Brust und lege meinen kleinen Finger über seinen.

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Ich muss jetzt leider zum Essen xD

Ich hoffe, ihr habt einen schönen Tag. Morgen geht die Schule wieder für mich los, ich heule! Ferien sollten für immer sein!

Was sagt ihr zu Erics Reaktion?

All my Love,
Lisa xoxo

almost Love [boyxboy]✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt