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Ben

Song: Ghost Town - Benson Boone

Warmer Wind weht mir draußen ins Gesicht und hebt mein Schutzschild eine Sekunde zu lang an, setzt mich den Blicken von vorbei eilenden Passanten aus.
Ein Mann mittleren Alters scheint mein Gesicht ausgiebiger zu mustern, als der Rest. So als könnte er nicht begreifen, was er da vor sich sieht.

Ich streiche über meine Haare und drehe mich noch einmal zur jetzt geschlossenen Eingangstür von Erics Wohnkomplex.
Wenn er erstmal bemerkt, dass ich abgehauen bin, wird er mir hinuntergelaufen kommen. Wenn er es bemerkt.

Sein Anruf hat ja anscheinend seine gesamte Aufmerksamkeit beansprucht. Immerhin hat er nach Annehmen des Anrufs wirklich keinerlei Notiz von meiner Anwesenheit genommen. Und schlussendlich eben auch nicht von meinem Gehen.
Hätte ich bloß nichts gesagt, dann würde ich jetzt mit hoher Wahrscheinlichkeit wissen, wie sein Schlafzimmer aussieht und mich unter seinen frisch gewaschenen Laken befinden.

Aber es hätte den Anruf nicht verhindert. Es tut merkwürdigerweise weh, mitzuerleben, wie ein dummer Gegenstand wichtiger zu sein scheint als ich.
Ich nutze mein Handy, um mich zu verstecken, nicht um plötzlich all meinen Fokus darauf zu setzten. Auch jetzt spiele ich mit dem Gedanken, es hervorzuziehen und den Blick darauf zu senken.

Aber ich muss mich beeilen und einen Vorsprung gewinnen, bevor Eric aus der Tür gestürmt kommt. Jedenfalls wünsche ich mir, dass er das tut, dass er wenigstens diesen Aufwand für mich betreibt.
Und ich hasse mich für diesen Gedanken. Er ist so verweichlicht und hilflos. Dabei brauche ich diesen Lackaffen nicht.

Sein Bett zu erkunden, wäre zwar schön gewesen, aber ich kann meinen Sonntag auch anderweitig verbringen.
Ich jogge bis zur nächsten Hausecke. Nicht nur, um Distanz zwischen mich und Eric zu bringen, sondern auch um den seltsamen Mann und seine stierenden Augen hinter mir zu lassen.

Reden. Er will reden. Ich schnaube.
Ich will aber nicht reden. Warum versteht er nicht, dass ich vergessen, mich normal fühlen will, wenn ich bei ihm bin? Weil er der einzige ist, bei dem ich das Gefühl von Normalität bekomme. Und jetzt will er alles kaputt machen.
Warum versteht er nicht, dass es mir nicht helfen wird, alte Wunden immer und immer wieder aufzureißen?

Alles, was Eric damit erreichen wird, ist, dass ich in ihm nicht mehr das sehen kann, was ich jetzt in ihm sehe - was auch immer das ist.
Er würde sich in all die anderen Menschen verwandeln, die mich quälen, mit ihren Blicken, Fragen und ihren Verurteilungen.

Wenn ich ihm alles erzählen würde, darüber, wie ich mich fühle, wenn ich ihm die Wut und den Hass in mir schildern würde und wie ich mir augenblicklich vorstelle, den Schädel desjenigen einzuschlagen, der draußen den Blick zu mir hebt - so wie ich es jetzt am liebsten mit dem Typen hinter mir machen würde -, dann würde Eric mich angewidert und besorgt ansehen.

Wenn ich ihm all das erzählen würde, dann würde er mich genauso ansehen wie meine Familie, wie die Menschen, die einst dasselbe Gelübde abgelegt haben, mich zu lieben, egal, was ich gleich erzählen würde. Dass sie mich nie anders ansehen würden, auch wenn ich ehrlich wäre und ihnen einen Einblick in mein abscheuliches Inneres ermögliche.

Eric würde den gleichen Ausdruck in den Augen tagen, wenn er mich ansieht. Der Blick ist schon in der Entstehungsphase und damit bin ich bereits dabei, den einzigen Menschen zu verlieren, an dem ich mich lächerlicher Weise immer noch ein bisschen festgehalten habe, wie eine Ratte auf offener See, die dem Tod in die Augen blickt, aber der tief verankerte Instinkt in ihr will es nicht zu lassen, dass sie ihre Qualen verkürzt.

Ich lehne mich gegen eine schattige Wand, nachdem ich um die nächste Straßenecke gebogen bin. Ich bin wirklich außer Form. Meine Lungen rasseln und ich ringe gierig nach Luft, Schweiß rollt über meine Stirn.
Ich schiebe es auf meinen Untätigkeit nach dem Armbruch, obwohl ich weiß, dass das nicht wahr ist.

Erneut ernte ich Blicke von den Menschen um mich herum.
Aus irgendeinem Grund müssen sie mich registrieren, den Eindringling in ihre Gesellschaft, der ich nun mal bin, wahrnehmen, als könnten sie meinen Angstschweiß riechen. Warum können sie mich nicht behandeln, wie Eric eben? Warum kann ich nicht unsichtbar werden?
Ich möchte diesen Gedanken aus meinem Bewusstsein löschen, ein für alle Mal.

Aber ich weiß es besser und lasse mein Handy da, wo es ist, in meiner Hosentasche.
James oder einen der Jungs jetzt zu kontaktieren und einen Amnesie-Trip ins Leben zu rufen, wäre kontraproduktiv. Ich muss erstmal zusehen, dass ich von der Straße herunterkomme.
Das Sonnenlicht ist zu hell, die Strahlen, die vom Himmel fallen, viel zu warm. Ich mag es nicht zu schwitzen, jedenfalls nicht, wenn der Grund die beschissene Sonne ist.

Ein Taxi zieht meinen scheuen Blick auf sich. Doch mir fällt ein, dass ich kein Geld dabei habe. Außerdem kann ich mich jetzt nicht dazu durchringen, mit einem Fremden Small Talk zu halten.
Und so setze ich einen Fuß vor den anderen, solange bis ich die Innenstadt von Fitchburg erreiche und noch eine gute halbe Stunde von meinem Elternhaus entfernt bin.
Wenn ich doch wenigstens meine Kopfhörer dabei hätte.

Ich naiver Idiot habe mir einen entspannten Nachmittag mit Erics Lippen vorgestellt. Erics Lippen auf meinem Körper. Nicht Erics Lippen, die versuchen, meine Probleme auseinanderzupflücken und in meinen Kopf einzudringen.
Ich kneife die Augen zusammen, als ich eine sonnige Passage der Straße durchqueren muss, um auf die andere Straßenseite in den rettenden Schatten zu gelangen.

Erics Stimme hallt durch meinen Kopf. Mit meiner Willenskraft allein bin ich nicht stark genug, sie abzuschotten, sie zu übertönen und zum Schweigen zu bringen.
Er würde mir helfen wollen. Was das zwischen uns sei und dass es aufhören müsse, dass wir so nicht weiter machen könnten.

Ich kann mich nicht kontrollieren. Der nächste Mülleimer bekommt einen Schlag.
Die erschrockenen Blicke, um mich herum und die junge Mutter, die ihr kleines Kind verzweifelt an der Hand auf die andere Seite des Bürgersteigs zerrt, sind mir dabei egal.
Der süße Schmerz, der sich von meiner Faust über meinen Unterarm ausbreitet wie ein loderndes Feuer, lenkt mich ab und gibt mir gleichzeitig die nötige Kraft, den restlichen Weg zurück zu überstehen.

Durch die Straßen von Fitchburg. Mal wieder allein. Und mit einer blutenden Hand.
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Hi und gleich auch wieder bye (a lot is going on, aah)

Unser heutiger Kapi-Song ist ein Leser-Vorschlag :) Was sagen wir? I strongly agree that the lyrics fit Benno like a seconds skinn!

All my Love,
Lisa xoxo

almost Love [boyxboy]✔Kde žijí příběhy. Začni objevovat