17.

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Eric

"Hallo?", frage ich in die Dunkelheit.
Ich richte mich auf und fahre über mein Gesicht. Ich habe keine Ahnung wie spät es ist.
Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen, ich habe mir das Klingeln meines Handys eingebildet, aber aus der Ferne höre ich Stimmengewirr durch den Lautsprecher zu mir dringen.

"Hallo?"
Ich räuspere mich und werfe zum ersten Mal einen Blick auf den grellen Bildschirm.
"Ben?!"
Plötzlich bin ich hellwach.
"Ben, bist du noch dran?"

Eine Art Rascheln ist zu hören.
"Verdammte Scheiße, ist etwas passiert?"
"Wer ist da?"
Eine gedämpfte Stimme dringt leise zu mir durch.

"Ich bin's. Eric."
Ein warmer Schauer überkommt mich.
Er hat immer noch meine Nummer, denke ich und schwinge die Füße über die Bettkante.
Die Kälte greift nach meiner nackten Haut und ich besinne mich.

Wahrscheinlich hat er einfach die unbekannte Nummer zurückgerufen, die ihm vor ein paar Tagen zwei Nachrichten geschickt hat. Und das vermutlich auch noch aus Versehen. Denn so wie er sich anhört, wusste er bis eben nicht, mit wem er am anderen Ende rechnen konnte.
Zitternd seufze ich und umklammere meine noch warme Bettdecke.

"E-Eric?"
Seine Stimme hört sich erschrocken an.
"Wo bist du? Ist etwas passiert?", will ich erneut wissen.
"Warum soll immer gleich etwas passiert sein? Bin ich so ein verdammtes Problemkind, dass alle immer gleich vom Schlimmsten ausgehen müssen, wenn sie mich sehen oder von mir hören? Fuck!"

Ich kneife meine Nasenwurzel und presse die Augen zusammen.
"Nein, so habe ich das natürlich nicht gemeint. Ich wollte nur -"
"Lass gut sein."
Wir schweigen und ich starre in die Schwärze vor mir, in der sich mein Schreibtisch verbirgt.

Ich würde ihn gerne fragen, warum er mich jetzt angerufen hat. Aber ich taue mich nicht.
Jedes mit Unbedacht gewählt Wort könnte ihn aufschrecken und zur Folge haben, dass er sich zurückzieht.
"Was mache ich hier überhaupt?", höre ich ihn sagen.

"Was?"
Im nächsten Moment balle ich die Faust.
Was? Man sollte mich wirklich nicht mitten in der Nacht anrufen. Um diese Zeit bin ich nicht gerade sehr eloquent.

"Ich ... Du hast mich angerufen", füge ich stockend hinzu.
"Was? Ja, das weiß ich."
Nach einer verzweifelten Pause sagt er: "Ich weiß gar nicht, wie ich hier rausgekommen bin."
"Wo raus?"

"Na, hier raus."
Ich knips die milchige Glaskugel auf meinem Nachttisch an.
"Benny, wo bist du?"
"Warum mussten mir meine behinderten Eltern so einen beschissenen Namen geben, den jeder nach Belieben verschandeln kann?"

Wenn er so oft in nur einem Satz flucht, ist er mit großer Wahrscheinlichkeit high.
Ein kleiner Stich durchfährt meine Brust.
Er hat mich also nicht aus freien Stücken und mit klarem Verstand angerufen. Ich schlucke und streiche über meinen Oberschenkel, um meiner freien Hand etwas zu tun zu geben.

"Soll ich dich lieber Benedikt nennen?"
Ich bin mir sicher, er kann mein Grinsen durch den Hörer sehen.
"Ich warne dich", knurrt eine kratzige Stimme in mein Ohr.
Warum muss er etwas eingenommen haben? Warum kann er mich nicht einfach anrufen?

Verzweiflung macht sich in mir breit.
Doch dann beschließe ich, die Sache akribisch und sachlich zu betrachten, es hat keinen Sinn.
"Wo bist du? Soll ich dich abholen kommen?"
Eine lange Pause entsteht.

Dann: "Nein." Dann ein 'Ja'.
"Was jetzt?"
"Scheiße. Ja."
Ich seufze lang und tief, stehe auf und ziehe meine Jogginghose vom Schreibtischstuhl.

"Schaffst du es, mir deinen Standort zu senden oder muss ich deine Nummer orten lassen, Raudi?"
"Das werde ich wohl noch hinkriegen", keift er, ganz offensichtlich beleidigt.
"Da wäre ich mir nicht so sicher", lache ich leise, aber da hat er schon aufgelegt.
Wenige Sekunden später empfange ich seinen Standort und schleiche aus meinem Zimmer

Barfuß laufe ich über die Teppichböden bis in die Garderobe, zurück in eine Zeit katapultiert, in der ich das hier fast jede Nacht gemacht haben, ebenfalls wegen Ben.
Ich rolle aus der Garage und stelle die Sitzheizung auf die höchste Stufe. Die Luft draußen ist beißend kalt.

Die Uhr im Armaturenbrett zeigt mir an, dass es bereits weit über Mitternacht ist. Und ich bin auf dem Weg, Ben aus einem miesen Club abzuholen.
Seine Eltern können nicht wissen, wo er gerade ist. Ich bin mir sicher, Paul hätte ihn eher an eine Heizung gekettet, als ihn - ein paar Tage nach seinem Unfall - ins Nachtleben stürzen zu lassen.

Ich fahre durch die leeren Straßen Fitchburgs, vorbei an neonfarbenen Leuchtschildern, die einen frischen Burger oder eine Schönheitsbehandlung versprechen.
Einige dieser Schilder sind so alt wie die Geschichte von Ben und mir.
Ich umfasse das Lenkrad fester, als ich mich an den einen Abend erinnere, als alles irgendwie angefangen hat. Oder jedenfalls alles irgendwie anders geworden ist und etwas Neues angefangen hat.

Es war der Abend, an dem Ben und ich unten in der Eingangshalle gestanden haben, nach einem wunderbaren Tag des gemeinsamen Nichtstuns und Faulenzen in der Sonne.
Noch heute spüre ich die Wärme in meinem Nacken, die ich an diesem Abend noch nach Sonnenuntergang nachempfunden habe.

Ben und ich standen in der Dunkelheit des hohen Raumes. Unsere Fußspitzen haben sich beinahe berührt und ich erinnere mich noch daran, wie viele zusammenhanglose Gedanken durch meinen Kopf gewirbelt sind.
Ich habe mich vorlehnt, geduldig darauf gewartet, dass er sich zu mir bewegt.

Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe. Ich war es einfach leid, auf irgendetwas zu warten, auf ein eindeutiges Zeichen, auf seinen ersten Schritt.
Ich konnte die Füße nicht mehr stillhalten, ich musste alles herausfordern und in diesem Moment wäre es nicht weniger offenbarender gewesen, wenn ich mich komplett ausgezogen und mich ihm in meiner natürlichsten Form präsentiert hätte.

Nur war diese eine kleine Bewegung viel intimer, sie gab mein Inneres preis. Und bis zu diesem Tag war ich mir nie wirklich sicher, ob Ben dieses Innere erahnen konnte.
Ich wusste, dass er sich in der Dunkelheit schon immer etwas sicherer gefühlt hat und mutiger wurde, sobald die Sonne oder künstliche Lichtquellen erloschen waren.

Mein Handy dirigiert mich zu einem großen Gebäude außerhalb der Stadt.
Licht dringt aus den verbarrikadierten Fenstern. Selbst zu dieser späten Stunde befindet sich noch eine kleine Schlang Feierlustiger vor dem Eingang.
Ich kann Ben nirgendwo entdecken. Niemand steht alleine und abseits vom Geschehen.

Ich kann kleine Gruppen ausmachen, Paare, aber keinen einsamen Jungen mit eingegipstem Arm und langen Haaren vor dem Gesicht, als ich langsamer die Straße entlangfahre.
Entnervt zerre ich mein Handy aus der Navi-Halterung und rufe seine Nummer zurück. Wenn er tatsächlich die Frechheit besessen hat, anderweitig weggekommen zu sein oder gar wieder rein zum Feiern gegangen ist, würde er sein blaues Wunder erleben.

"Wo zur Hölle bist du?", zische ich ins Telefon.
"Auf der anderen Straßenseite, du super Coop", antwortet die vertraute Stimme gelangweilt.
Ich fluche und lege auf.
Und tatsächlich. Aus dem schwarzen Schatten der Backsteinwand gegenüber des Clubeingangs löst sich eine Gestalt.

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Song: Paradigms - Sam Fender

Hello, ich habe gerade einfach so einen proud-mom-moment! Sam Fender spielt nächstes Jahr in Deutschlang einfach schon in Hallen mit 12.000 Menschen!!! Ich habe das erst jetzt rausgefunden, weil ich leider zur Berlin Show nicht hinkann (can't tell u how SAD i am) :( Und ich dachte, es spielt weiterhin so kleine Venues... but no! So proud :) okay.

Habt ihr schon einen Plan, was ihr Weihnachten esst?

Zum Glück übernimmt meine Mum das Kochen, ich bin für den Nachtisch verantwortlich. Dieses Jahr mache ich mal eine Australische Spezialität :)

Was ich wegen der Musik hier unternehme, weiß ich noch nicht, werde am Wochenende mal schaun.... 

All my Love,
Lisa xoxo

almost Love [boyxboy]✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt