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Ben

Song: Follow The Sun - Xavier Rudd


Ophelia hat ihren Kaffee relativ schnell ausgetrunken und als sie sich dann zögerlich und dennoch bestimmt von mir verabschiedet, frage ich mich, ob sie vor mir Reißaus nehmen will oder ob sie einfach weiter muss.
Mir ist von vornherein klar gewesen, dass dieses Treffen zwischen uns kein rührendes Wiedersehen werden würde.

Ich habe mir auch nicht versprochen, dass wir zurückgehen, in die Zeit bevor ich angefangen habe, mich gegen alles und jeden zu wehren.
Ich habe auch nicht damit gerechnet, dass wir ein weiteres Treffen ausmachen und so verlässt meine Schwester das kleine Café nach einer schnellen Umarmung und einem schmallippigen Lächeln.

Aber ich habe einen weiteren, wichtigen Schritt unternommen. Ich habe Stück weit versucht, mit ihr Frieden zu schließen, ich bin auf sie zugegangen, mehr kann ich nicht machen.
Und es fühlt sich unglaublich gut an, die Verantwortung für den weiteren Verlauf unserer Geschichte in ihre Hände abgelegt zu haben. Es liegt an ihr. Nun bestimmt sie den Kurs.

Ich warte geduldig auf die Bedienung, um zu bezahlen und spiele nebenbei auf dem Handy herum. Hier draußen ist es sowas wie mein neuer Rettungsanker. Wenn ich auf das Display schaue, erwartet niemand von mir, fremden Blicken zu begegnen.
Der Sichtkontakt, die Verbindung zu Dingen weit weg von mir macht mich zu einem gewissen Grad unsichtbar.

Und diesen Fluchtpunkt nutze ich in Situationen wie diesen gerne. In Situationen, in denen ich ganz allein bin und jeder Mensch um mich herum scheinbar eine Begleitung hat, jemanden, mit dem man lachen kann, Sorgen und Freuden teilen kann.
Und ich habe nur mich und die Stille um mich herum, die mich wie eine mit Rauch gefüllte Kuppel umgibt.

Nachdem mein fünf Dollarschein und ein paar Münzen in das Portmonee des jungen Mädchens gewandert sind, erhebe ich mich. Dieses Mal schaffe ich es auch, ihren Blick zuhalten, während ich bis drei zähle.
Ich habe nichts bei mir, also kann ich den engen Gastraum verlassen, ohne einen prüfenden Blick über die Schulter zu werfen.

Ich drücke die Glastür auf, die Klingel über meinem Kopf verabschiedet mich mit einem schrillen Ton.
Draußen schlägt mir warme Sommerluft entgegen, stickig, feucht und doch irgendwie trocken.
Die Sonne blendet mich, als ich ebenfalls das Café verlasse, aber im Gegensatz zu dem Ben, der ich noch vor einem Jahr war, muss ich meine Augen jetzt nur noch halb so stark vor der lichtdurchfluteten Welt verschließen.

Ich ziehe meine Sonnenbrille aus der Hosentasche, schiebe sie mir auf die Nase und seufze auf, als die knalligen Farben abebben und von einem beruhigenden Grauton gedämpft werden.
Und dann setze ich mich in Bewegung, laufe die Einkaufsstraße entlang, wohlwissend, dass sich Ophelia in die entgegengesetzte Richtung aufgemacht hat.

Mein Handy in meiner Hand, aber meine Augen sind geradeaus gerichtet. Ich habe ein Ziel.
Ein Ziel, das mich nervös macht und Fantasie-Versprechungen bedeutet. Ich will mich nicht freuen, mir keine Hoffnungen machen und dennoch kann ich es nicht ändern, dass meine Schritte an diesem Nachmittag schwunghaft und von Leichtigkeit sind.

Ich muss Eric vom Flughafen abholen, ich habe ihm versprochen, da zu sein, wenn sein Flieger aus New York kommt.
Auch ihn habe ich lange nicht gesehen und es gibt vieles, was ich ihm erzählen und zeigen will.
Meine Wohnung zum Beispiel. All die Sachen, die ich von meinem Sparkonto gekauft habe.

Außerdem will ich mich neben ihn setzen, ihm in die Augen schauen und mit ihm reden, richtig reden. Wer weiß, vielleicht schaffe ich, das, was ich eben mit Ophelia erlebt habe, innerhalb eines Tages noch mal zu wiederholen.
Und selbst wenn nicht; auf die Fortschritte konzentrieren, auf die kleinen Dinge, die gut gelaufen sind.

Ich stelle mich an die Bushaltestelle und warte.
Ein eigenes Auto habe ich nicht. Ich glaube, diese Tatsache wird Eric beruhigen.
Ich kann seine weiche Stimme schon in meinen Ohren hören und wie mein Name von seiner Zunge rollt und an meinem Trommelfell zerschellt.

Ich kann es gar nicht erwarten, ihm in die Arme zufallen, wie ich es schon so viele hunderte Male zuvor getan habe.
Angefangen als ich sechzehn und er zweiundzwanzig war und er damit begann, sich in mein Zimmer zu schleichen.

Nur dieses Mal werde ich ihn vor allen Leuten am Flughafen umarmen, auch wenn mein Magen gegen diese Idee schon jetzt rebelliert. Aber das haben ich und mein Körper wohl an sich; wir rebellieren gerne.
Ich lege den Kopf in den Nacken und schaue zum fast wolkenlosen Himmel hinauf.

Ich hätte nie gedacht, dass ich diesen Punkt in meinem Leben erreiche und doch stehe ich hier und stelle mir nicht vor, wie ich die lärmenden Kinder neben mir mit einem Tritt zum Schweigen bringe.
Ich wippe mit den Beinen und stelle mir stattdessen einen großen, gutaussehenden, jungen Mann vor, der am Terminal drei ankommt.

Ob da immer noch dieses Etwas in seinen Augen liegt, an dem ich mich immer festklammern konnte?
Ich rolle einen Kiesel unter meiner Schuhsohle, so wie er es immer getan hat und wahrscheinlich immer noch tun wird.
Manche Dinge ändern sich nie. Und ich glaube, das zwischen uns - was auch immer es sein mag - wird sich ebenfalls nie ändern.

Als ich wieder von meinen Füßen aufblicke, frage ich mich, ob Eric über die Elefantenbilder an meiner Wand lachen wird.

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:)   :.(

Ich habe leider keine guten Nachrichten.
Kilian ist am Dienstag gestorben. Auf dem Weg zum Tierarzt. Er hat sich im Auto so aufgeregt, dass er einen Herzschlag bekommen hat :(
Aber die Katzen-Retterin hat sowieso gemeint, dass er es nicht geschafft hätte. Er hatte wirklich sichtbare Probleme mit dem Herzen. War ab und an ordentlich am Pumpen. Und er hatte auch keine gute Verdauung.

Ganz ehrlich, ich glaube, ich hätte ihn früher eingeschläfert (das soll kein Vorwurf sein, immerhin war er ja nicht bei uns & ich kann seinen Zustand nur aus Erzählungen beurteilen). Es ist einfach nur Schade, dass er in Panik sterben musst. Das hat er nicht verdient, wer weiß, wie beschissen sein Leben vorher war.

Tja... was Besseres kann ich heute leider nicht berichten.

All my Love,
Lisa xoxo

almost Love [boyxboy]✔Where stories live. Discover now