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Eric

Song: Crack the Shutters - Snow Patrol

Der Kies knirscht unter den Reifen, als ich die Handbremse anziehe. Ein tiefes Seufzen erfüllt die eingekehrte Stille im Wagen und ich lehne mich vor, schaue über das Lenkrad zum Hauseingang.
Ein letztes Mal, sage ich mir, ein einziges, letztes Mal.
Ich fluche und reiße die Fahrertür mit einem Ruck auf, knalle sie so laut zu, dass ein Hund in der Nachbarschaft zu bellen beginnt.

Als ich aus dem Schatten der Hecken in das grelle Sonnenlicht trete, das von den weißen Wänden auf äußerst unangenehme Weise zurückgeworfen wird, schiebe ich mir eine Sonnenbrille auf die Nase.
Unsere letzte Chance.
Ich lege den Kopf in den Nacken und blicke hoch in den ersten Stock des Hauses.

"Jetzt oder nie", seufze ich und setze einen Fuß vor den anderen.
Es kommt mir so vor, als ob ich das hier erst gestern gemacht habe, dabei liegt mein letzter Besuch im Hause Rosethorn ein paar Wochen zurück. Damals habe ich draußen auf Ben gewartet und er ist freiwillig zu mir gekommen. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir das zwischen uns noch nicht vollständig verspielt.

Ich drücke die Klingel, augenblicklich verspannen sich meine Schultern.
Ich werde nicht umdrehen. In keiner Weise. Ich werde nicht zurück nach Hause fahren. Hiernach geht es auf den Highway und Richtung Osten.
Hier nach werde ich Ben in Frieden lassen, ich werde ihn gehen lassen oder er mich - wie man es betrachte.

Eigentlich wollte ich ihn gar nicht mehr aufsuchen. Meine Entscheidung galt für mich eigentlich als getroffen; Ben endgültig in Ruhe zu lassen.
Aber ich muss mich verabschieden. Um unser beider Willen. Damit wir einen Schlussstrich ziehen und vielleicht ein bisschen böses Blut aufsaugen können, damit die Blutlache, die sich mit der Zeit um uns ausgebreitet hat, etwas verkleinert.

"Ja bitte?"
Mirella mit ihren dunklen Haaren und dem rundlichen Gesicht öffnet mir die Tür und schaut mich fragen aber freundlich an.
"Hallo. Ich, ich ähm, ich wollte zu Ben."

Sie tritt hinter der Tür hervor und wischt sich die Hände in ihrer hellblauen Schütze ab.
"Ja. Einen Moment bitte, ich werde mal nachsehen, ob er da ist", sagt sie, nickt mir kurz zu und entfernt sich dann von der Tür.
"Kommen Sie gerne rein, Mister."

Ich bedanke mich und setze einen Fuß über die Türschwelle.
Ich weiß bis jetzt noch nicht wirklich, was ich mir hiervon verspreche, außer einen eindeutigen, melancholischen Schlussstrich ziehen zu können. Denn die Gefahr besteht schließlich, dass Ben mich gar nicht anhören will, dass mein Auftauen und Einfallen in sein Reich alles nur noch schlimmer macht.

Mirella verschwindet in der Eingangshalle, kurz darauf ich höre ihre flinken Schritte auf der Treppe.
Ich ziehe die Haustür hinter mir zu, um die Hitze auszusperren, als ich realisiere, dass sie mich nicht erkannt hat. Genau wie Ophelia.
Diese Tatsache tut mir weh. Immerhin war Mirella immer da, als ich und Ben hier noch Zeit verbracht haben und im Garten unter den Bäumen lagen.

Habe ich mich denn so verändert?
Ich fahre über meinen Dreitagebart. Und dann kenne ich die Antwort. Sie lautet: Ja. Ja, ich habe mich so sehr verändert. Ich bin erwachsen geworden und ähnle dem hochgeschossenen, dürren Jungen von damals wahrscheinlich kaum noch.

Mirella hat ihren Job schon immer sehr ernst genommen und mit äußerster Sorgfalt ausgeführt. Sie würde nie das Gesicht eines Fremden studieren, um darin eventuelle Parallelen aus der Vergangenheit zu finden. Sie weiß, was Diskretion bedeutet und ich werde ihr auf keinen Fall auf die Füße treten und ihr sagen, wer ich bin.

Es wird besser sein, wenn sie mich als fremden Besucher sieht. Ich wüsste nicht, wie ich mich nach all der Zeit ihr gegenüber zu verhalten hätte.
Diese Tatsache schmerzt fast noch mehr als die vorherige.
Eilige Schritte erklingen erneut und ich tue so, als ob ich das Gemälde über der Kommode im Eingangsbereich betrachte.

"Hören Sie?"
Ich drehe mich um, die Hände in den Taschen. Ich bin nur ein alter Freund, der kurz vorbeischauen wollte. Auf der Durchreise, so wie ich es immer irgendwie bin. Ich habe nichts zu verlieren, ich bin nicht mit Absichten gekommen. Ich bin entspannt und locker.

"Ja?"
"Ben ist nicht da. Soll ich ihm etwas ausrichten?"
"Wie nicht da?", frage ich perplex, bevor ich mir auf die Zunge beißen kann. "Was meinen Sie damit, er ist nicht da?"

Wo soll er denn verdammt noch mal sein? Draußen steht die Sonne hoch am Himmel. Es ist unter der Woche. Ben muss da sein.
"Er ist nicht da, sein Zimmer ist leer. Er hat sich nicht abgemeldet, ich kann Ihnen also nicht sagen, wann er wiederkommen wird", erklärt sie mir schlicht, aber ich kann sehen, dass sie mich hinter ihren Augen für meine Stumpfheit verhöhnt.

Ich ziehe die Hände auf den Taschen und nehme die Sonnenbrille ab, blicke ihr direkt in die runden Augen.
"Okay", sage ich lang gezogen. "Sie brauchen ihm nichts auszurichten, ich wollte nur mal kurz Hallo sagen, war gerade in der Gegend. Dann hat es wohl nicht sein sollen."

Es hat nicht sein sollen.
Oder sollte Ben oben auf dem Fußboden liegen und darauf warten, dass ich wieder verschwinde?
Selbst wenn dem so wäre, ich kann es ihm nicht verübeln und ich werde es so hinnehmen.
Aber ich hoffe inständig, dass er nicht oben ist, dass er sich nicht im Haus befindet. Dass er wirklich irgendwo in Fitchburg unterwegs ist, von mir aus auch mit diesem Versager James.

Soll er einen schönen Tag haben und nie davon erfahren, dass ich noch einmal hier war, sodass ich einfach aus seinem Leben verschwinden kann, so wie ich es eigentlich von langer Hand geplant habe.
"Gut. Ich danke Ihnen. Einen schönen Tag noch", nicke ich und öffne die weiße Tür.

"Ihnen auch, Sir", antwortet Mirella und nimmt mir die Klinke aus der Hand.
Ich drehe mich noch einmal zu ihr um und sehe, wie sie lächelnd die Tür hinter mir schließt.
Unten schaue ich noch ein letztes Mal zu den Fenstern hinauf. Ich kann wirklich nur hoffen, dass er nicht da oben hockt.
Ich balle die Fäuste und schwinge mich zurück in meinen Wagen.

Mit einem dumpfen Gefühl in der Brust taste ich nach meinem Handy, das ich eigentlich auf dem Beifahrersitz vermute. Doch da ist es nicht, auch nicht in meinen hinteren Hosentaschen. Ich blicke auf die Navi-Halterung, auch dort steckt es nicht. 

"Scheißding", flüstere ich und steige aus, öffne den Kofferraum. 
Ich muss meine Route eingeben, bevor ich auf den Highway fahre. Es ist Jahre her, dass ich nach New Jersey gefahren bin und ich hasse es, vorher nicht genau zu wissen, wo ich lang muss.

Ich reiße meinen Rucksack auf, darauf bedacht keinen Blick mehr zurück über meine Schulter zum Haus der Rosethorns zu werfen.
Mein Pass fällt zu Boden, mein Handy bleibt unauffindbar. In meiner Reisetasche werde ich schließlich fündig. Und da sehe ich es: sechs verpasste Anrufe von Ben.

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dadadummmmm

Beide haben sich somit um ein paar Minuten und Meilen verpasst.... Schicksal? :o

Ich habe echt Nackenschmerzen, also spare ich mir heute mal die lange A/N. Bis morgen, fühlt euch umarmt <3 Ach und danke für (die jetzt nun schon über) 5k! :)
(gestern hat es sich falsch angefühlt, dass zu erwähnen...)

Es ist März, das bedeutet bald haben wir es geschafft & es ist endlich Frühling!

All my Love,
Lisa xoxo

almost Love [boyxboy]✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt