12.

876 63 67
                                    

Ben

Am nächsten Tag habe ich nach den Mittagsstunden immer noch keinen Fuß vor meine Zimmertür gesetzt.
Ich weiß, dass Mom Zuhause ist. Als ich aus einem unruhigen Schlaf hochgeschreckt bin, habe ich sie unten in der Küche und dem Wohnzimmer rumoren hören. Das war gegen drei Uhr nachts. Seitdem habe ich die Musik laut aufgedreht und kein Auge mehr zugetan.

Mein Schlafrhythmus war noch nie sonderlich gesund, aber seit zwei Jahren danke ich dem Teufel, wenn ich drei Stunden am Stück durchschlafen kann.
Alles ging den Bach runter, als Dad mich unter Druck setzte, die Firma zu übernehmen, Marihuana sich in kleine weiße Tabletten verwandelte und nachdem Mom mich mit einer Überdosis gefunden hat.

Die taube Stille in mir ist beruhigend. Gleichzeitig will ich mit dem Kopf durch die Wand brechen, um wenigstens wieder Schmerzen zu empfinden.
High zu sein, hat Vor- und Nachteile. Seit zehn Minuten ist mein Lieblingsalbum von Rage Against The Machine  zu Ende und ich liege in surrender Stille in meinem Bett.
Die Anlage ist so weit entfernt. Und so lange ich die Frau im Erdgeschoss nicht wieder höre, beschließe ich, mich nicht zu bewegen.

Still dazuliegen, ist manchmal das beste, wenn man zu viele Tabletten geschluckt hat.
Es besteht die 50:50 Chance, dass man sich nicht übergeben muss, da der Magen ohne Bewegung nicht genug Kraft aufbringen kann, sich zu entleeren.
Also liege ich da, mit geschlossenen Augen und offenem Mund. Wann ist das endlich alles vorbei?

Ich habe gerade das Gefühl, zu fallen, in einen hoffentlich traumlosen Schlaf, da höre ich ein Scheppern im Haus gefolgt von einem dumpfen Geräusch.
Mirella hat längst Feierabend, es kann sich also nur um meine Mutter handeln. Ich öffne ein Auge und schiele zu meiner Tür, lausche in die nun ungestörte Stille.

Normalerweise sollte mich jetzt ein Schwall von Flüchen erreichen. Gerade, wenn es sich bei dem Klirren um eine kostbare Weinflasche gehandelt hat.
Mein Auge schließt sich wieder. Ich versuche, tief durchzuatmen und das Gefühl des Fallens wiederzufinden, aber mit dem eingegipsten Arm, der permanent auf meiner Brust ruht, kann ich meine Lungen nicht ausreichend füllen.

Ich denke über die Geräusche nach. Und plötzlich trifft es mich in meinem vernebelten Zustand wie ein Schlag.
Das dumpfe Geräusch war ein Körper, der auf dem Boden aufgekommen ist!
In der nächsten Sekunde sitze ich aufrecht im Bett.

"Mom?!"
Meine Stimme ist rau und viel zu laut für die Stille dieses toten Hauses.
Ich ertrage diese Angst nicht mehr, die sich in mir aufbaut, diese Ungewissheit. In welchem Zustand werde ich sie gleich finden?

Ich unterdrücke den Würgereiz und schleppe mich zur Tür. Den Gurt für meinen Gips lasse ich links liegen, es muss schnell gehen.
So schnell ich kann, taumele ich die Treppe hinunter.
Alles sieht aus wie immer. Die Eingangshalle ist leer. Keine Jacke liegt in den Sesseln neben den deckenhohen Fenstern. Kein Rosenblatt liegt unter dem Blumengesteck in der Mitte der Halle.

Es sieht kaum so aus, als ob dieses Haus bewohnt wird. Steril und perfekt wie immer.
Doch auf dem Küchenboden breitet sich eine Blutlache aus Rotwein aus.
Die Flüssigkeit umspült einen schlaffen Körper, der zu Boden gerutscht ist und gegen dem Backofen lehnt, die Beine in den engen Jeans beinahe rechtwinklig abgeknickt.

"Mom!"
Ihr Kopf hängt schlaff auf ihrer Brust. Ich knie mich vor ihr in den Wein und durchtränke die Hosenbeine meiner Jogginghose.
Verächtlich blicke ich auf ihre Absätze. Solche Schuhe sollte man nicht tragen, wenn man sich den Schädel wegschießen will.
Sie scheint sich beim Fall lediglich die Hand aufgeschnitten zu haben.

Ich streiche ihr eine blonde Strähne aus dem Gesicht.
Ihre Lippen sind gespalten, Speichel tropft auf ihren Ausschnitt hinab.
Alkohol mag edel wirken. Aber nichts ist edel und erhaben am betrunken sein. Die wenigsten begreifen das, bevor es zu spät ist.

Seufzend blicke ich mich um und ziehe mich mit meinem linken Arm an der Arbeitsfläche hoch, kalte Flüssigkeit läuft an meinen Schienbeinen hinab.
Auf der Suche nach ihrem Handy trete ich in eine Scherbe.
Die Träne, die daraufhin aus meinem Auge rollt, entspringt nicht dem Schmerz. Ich weine, weil meine Mutter mich in eine Situation gebracht hat, in der ich mir den Fuß an einer Scherbe von ihrer Weinflasche aufgeschnitten habe, die ihr aus der Hand gefallen ist, weil sie ohnmächtig wurde.

"Wo ist dein scheiß Handy?", frage ich leise und scanne die Arbeitsfläche.
Ich entdecke es auf dem Esstisch vor dem Fenster.
Ich wähle den Notruf und inspiziere nebenbei meinen blutenden Fuß.
"Ben Rosethorn. Alkoholvergiftung."

Ich mache mir keine Mühe, die Situation mit Details auszuschmücken.
Der Mann in der Anrufzentrale kriegt Notrufe dieser Art wahrscheinlich im Minutentakt herein, ich muss ihm nicht erzählen, dass es sich um meine 51-jährige Mutter handelt und dass sie auf dem Küchenfußboden liegt und eine harmlose Schnittwunde an der Hand hat und sich ihr Blut langsam mit dem Wein am Boden mischt.

Ich gebe brav die Adresse durch und lege auf. Erneut gefangen in der Stille dieses Gefängnisses.
Unbeeindruckt blicke ich auf den leblosen Körper hinter der Kochinsel.
Ich kann sie nicht aufrichten oder aus der Weinlache ziehen. Mit einem Arm bin ich unbrauchbar. Also warte ich und passe auf, dass sie nicht noch weiter abrutscht und mit dem Kopf aufschlägt.

Die Zeiten meiner verbotenen Partys, die ich hier gefeiert habe, sind lange vorbei, aber in all den Jahren hat es keiner meiner Freunde geschafft, sich so die Kante zu geben. Das schafft nur meine Mutter.
In meinem Fuß hat sich ein heißer, pulsierender Schmerz angesiedelt. Ich wickle ein Küchentuch um die Wunde, aber ich kann die Blutung nicht stoppen.
Hasserfüllt blicke ich auf die blauen Finger meiner rechten Hand. Ich kann meinen Verband nicht festziehen. Unbrauchbar.

Kurz bevor der Rettungswagen eintrifft rufe ich meinen Vater an. Nicht, weil ich ihn informieren will, sondern, weil ich seine wichtige Arbeit stören will.
"Georgia?", erklingt seine harsche Stimme. "Ich habe dir schon gesagt, dass ich heute Abend -"
"Hier ist Ben", unterbreche ich ihn und beiße auf meine Wange.
Zu gerne würde ich jetzt seinen dämlichen Blick sehen.

"Ben?"
"Ja, richtig gehört. Du scheinst noch keine Hörgeräte zu brauchen."
"Das ist nicht witzig. Warum hast du das Handy deiner Mutter?"
Sein Geduldsfaden ist kurz vorm Reißen. Ich hätte ihn zu gerne noch länger hingehalten, aber seine Aufmerksamkeitsspanne ist abgelaufen und ich will, dass er hört, was ich zu sagen haben. Außerdem will ich derjenige sein, der zuerst auflegt.

"Mom hat eine Alkoholvergiftung. Der Krankenwagen ist gleich da."
Ich höre seine aufgebrachte Stimme, doch das Handy meiner Mutter ist schon von meinem Ohr verschwunden und ich lege auf.
Ich schließe innerlich eine Wette mit mir selbst darüber ab, dass er nicht kommen wird. Bei meiner Überdosis ist er schließlich auch nicht aus dem Büro nach Hause gekommen.

Ich drehe das Handy zwischen meinen Fingern und starre auf den Körper meiner Mutter.
"Wenn du dich nur selbst sehen könntest", murmle ich.
Und dann beschließe ich auch meine Schwester zurück auf den Boden der Realität zu holen.
Denn wenn ich hier unten liegen und leiden muss, dann will ich wenigstens die Verursacher meiner Probleme mit mir im Dreck wissen.

____________________________________
Song: Skin - Kid Brunswick

Hello u :)
Ich komme langsam in Zeitstress. Ich muss noch einiges an Bildern für meine Mom machen, also als Weihnachtsgeschenke, aber ich habe kaum Zeit aahhh
Dank Corona konnte ich nämlich nicht in der City bummeln und schöne Geschenke finden.
Wo sind die 30 Stunden Tage, die ich so dringend brauche?! xD

Was schenk ihr euren Eltern?

Hinzukommt, dass ich meine Weihnachtspost noch auf den Weg bringen muss. Das hat heute Vorrang...

Schreibt ihr Weihnachtskarten? Wenn ja, an wen? :)

Ich an Familie in England und meine Brieffreunde :)

All my Love,
Lisa xoxo

almost Love [boyxboy]✔Où les histoires vivent. Découvrez maintenant