I) im haifischbecken

4K 183 52
                                    

Mein Vater sagte immer, regelmäßiges Zuspätkommen sei auch eine Art von Zuverlässigkeit.
Zumindest in einem Punkt bin ich also zuverlässig: man kann sich darauf verlassen, dass ich immer mindestens fünf Minuten zu spät bin.

Dabei lege ich es darauf an, pünktlich zu sein - wirklich. Nur irgendwie kommt immer etwas dazwischen. Entweder mein bester Freund mit seinem Liebeskummer, ein Abstecher bei Starbucks oder, in den meisten Fällen, ein Kater von der durchfeierten Nacht davor.

Und obwohl mein Kater heute Morgen besonders schlimm war, wäre ich eigentlich nur drei Minuten zu spät zum Schwimmtraining gekommen.
Eigentlich.

Hätte ich mich nicht ausgerechnet heute dazu entschieden, lieber einen Kaffee bei Starbucks zu holen, als meine Nachrichten zu checken.
Hätte ich nämlich auf meinen Caramel Macchiato verzichtet, hätte ich frühzeitig die Nachricht meiner Trainerin Teresa gelesen, dass es in dem Schwimmbad, in dem wir normalerweise trainieren, einen Rohrbruch gegeben hat und unsere Schwimmzeiten in ein anderes Bad verlegt wurden.

Dann wäre ich nämlich auch nicht umsonst zu unserem normalen Treffpunkt gefahren und hätte dort fünf Minuten auf dem Parkplatz auf die anderen gewartet, nur um dann auf die glorreiche Idee zu kommen, mein Handy einzuschalten und zu lesen, dass wir unser Training in das Schwimmbad auf der anderen Seite des Campus verschieben.

Es ist aber auch eine Zumutung, zu erwarten, dass Studenten an einem Samstagmorgen um halb acht wach - und nüchtern - genug sind, um mit spontanen Planänderungen klarzukommen.

Jeder normale Mensch schläft dann seinen Kater aus, aber nein - ich muss schwimmen.

Meine Uni, die Bozeman University, hat zwei Schwimmbäder.

Das eine ist das 25-Meter-Hallenbad, wo ich fälschlicherweise zuerst hingefahren bin. Dort haben wir, die Bozeman Tritons, das Triathlon-Team der Uni, normalerweise Training. Das Bad teilen wir uns jedoch mit den Wasserballspielern und den Turmspringern und es ist gefühlt genauso alt wie unsere Universität selbst, weshalb der Rohrbruch eigentlich schon vor Jahren zu erwarten gewesen wäre.

Neben dem alten, heruntergekommenen 25-Meter-Becken gibt es auch noch ein anderes Schwimmbad auf dem Campus: Das sogenannte Haifischbecken, Zuhause der Bozeman Sharks, dem Schwimmteam unserer Uni.
Das Haifischbecken ist ein topmodernes 50-Meter-Schwimmbad mit zehn Bahnen, die normalerweise ausschließlich für die ach-so-tollen Schwimmer vorbehalten sind.

Ziemlich unfair, wenn man mich fragt.

Auch wenn das Schwimmteam unserer Schule ziemlich gut ist (okay, sehr gut, die Sharks stehen auf Rang drei im College-Ranking der Division I und haben letztes Jahr elf Titel gewonnen) - es ist trotzdem nicht fair, dass sie ein teures Bad für sich alleine bekommen und wir uns mit zwei anderen Sportarten ein Becken teilen, das vor dem Kalten Krieg das letzte Mal saniert wurde.

Neunzehn Minuten zu spät komme ich schließlich am Haifischbecken an - völlig gestresst und außer Atem.
Da das Schwimmbad ausschließlich für die Schwimmer ist und ich es nur von der Tribüne aus kenne, bin ich beim Betreten des Sportlerbereichs schier überwältigt von dem immensen Luxus, den das Schwimmteam genießt.

Leider habe ich keine Zeit, die riesigen Umkleiden, die schimmellosen Duschkabinen und den Fitnessstudio-Komplex - ein exklusives Fitnessstudio für dreißig Leute - zu bewundern, da ich viel zu spät bin und uns Kenny, unser Schwimmtrainer, pro fünf Minuten, die wir zu spät sind, einhundert Meter extra schwimmen lässt.

Das habe ich auf die harte Tour lernen müssen.

Als ich die gewaltige Schwimmhalle fertig umgezogen betrete, muss ich erst einmal einen Moment innehalten.
Von den Tribünen mit den rot-blauen Sitzen (unsere Unifarben) über die gewaltigen Bildschirme, die von der Decke hängen - alles sieht von hier unten noch einmal größer und überwältigender aus als aus der Fanperspektive.
Das Haifischbecken ist so top ausgestattet, dass es auch irgendein Olympiapool sein könnte.

swimming lessonsWhere stories live. Discover now