Märchenpalast (the blind banker)

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17.August, Baker Street
,,Ich habe Ihren Blog gelesen", sage ich nach einer Weile.

,,Es ist Johns Block", meint Sherlock unbeteiligt.

,,Nicht- ich meine die Analyse von 200 Sorten von Tabakasche."

,,The science of deduction", stellt Sherlock klar. ,,Und es sind 243 Sorten!"

John, der neben mir sitzt, lacht leise und flüstert mir zu: ,,Die 243 Sorten sind ihm wichtig."

,,Natürlich," sage ich und dann:
,,Sie erkennen also einen Piloten am linken Daumen."

,,Natürlich", gibt Sherlock selbstsicher zurück und ein Lächeln schleicht sich auf seine Lippen. ,,Zweifeln Sie daran?"

Ich zupfe einen Fussel von meiner Strickjacke und schüttle den Kopf.
,,Nicht direkt, ich meine bei dem was ich schon gehört habe... Ich meine nur- und ich will damit auf keinen Fall Ihr Ego noch füttern haben, aber-"
Ich sehe zu ihm und zucke mit den Schultern, als ich frage: ,,Wie?"
und ich fühle mich wie ein Kind, das einen Erwachsenen braucht um ihm zu erklären warum der Himmel blau ist oder warum es nachts dunkel ist.

,,Und ich dachte, dass hätten Sie inzwischen verstanden. Es war kein Trick, als ich wusste, dass Sie unterrichten und dass Sie häufig umziehen oder als ich von Sebastians Weltreise wusste.", sagt Sherlock in atemberaubender Geschwindigkeit.
,,Es ist doch offensichtlich! Sie sehen hin-" Er legt eine kurze, dramatische Pause ein und dreht sich zum Fenster um, von dem aus man hinunter auf den Bürgersteig und die Straße sehen kann, und durch das das gelbliche Licht der Laterne ins Zimmer einfällt. ,, -aber Sie beobachten nicht! Natürlich besitzen allzu viele Menschen eine nur schlichte Auffassunggabe."
Ist das die förmlich formulierte Variante für 'die anderen sind halt alle doof'?
,,Für eine Deduktion kann jedes Detail wichtig sein, also ja, ich kann einen Piloten am linken Daumen erkennen. Noch Fragen?"

,,Ja, hatten Sie schon immer so einen Hang zur Dramatik?", frage ich trocken.

John lacht und lässt sein Buch sinken.
Amüsiert meint er: ,,Sie sollten mal seinen Bruder erleben."

Sherlock macht eine Kopfbewegung, als wolle er eine störende Fliege verscheuchen und wirkt verärgert.

Überrascht drehe ich mich zu ihm um.
,,Ihr - Sie haben einen Bruder?", rutscht es mir heraus, ,,Und Eltern?"

Sherlock sieht beinah gekränkt aus. ,,Was ist, denken Sie ich bin aus einer Schote gekrochen?"

Ich komme mir mit einem Mal dumm vor, dass ich nie daran gedacht habe, dass Sherlock eine Familie haben könnte.
Irgendwie hätte es mich weniger überrascht, wenn er mir gesagt hätte, er sei bei einem Experiment eines verrückten, aber genialen Wissenschaftlers im Labor entstanden.

,,Keine Ahnung", sage ich und dann: ,,Wie waren Sie als Kind? Haben Sie irgendwelche Lehrer bis zum Nervenzusammenbruch getrieben oder haben die direkt gekündigt, als die Ihren Namen gehört haben?"

Sherlock verdreht die Augen.
Ich unterdrücke den Drang zu fragen, ob sein Bruder Babyfotos von ihm hat und arbeite weiter daran mitzuhelfen den Code zu übersetzen.

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Blinzelnd öffne ich die Augen und es dauert einige Sekunden bis mein Sichtfeld klarer wird.
Das erste was ich bemerke ist der Lichtkegel, den die einsame Lampe am Küchentisch wirft.
Die schweren Vorhänge vor den Fenstern sind zur Seite gezogen, aber der Himmel ist schwarz und matt und was ich kurz für funkelnde Sternen, die die Nacht schmücken, gehalten habe, stellt sich bei genauerem Hinsehen nur als die Lichter eines vorbeifliegenden Flugzeuges heraus.

days at bakerstreetWhere stories live. Discover now