66. Kapitel

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66. Kapitel - Was nicht mehr schlägt und dennoch nicht tot ist

Wie viel kann ein Mensch ertragen, ehe er bricht?
- K.M.

Alex

Ich saß neben Lillys Bett und ärgerte mich grün und blau. Wieso mussten wir schon wieder im Krankenhaus sein? Warum hatte ich nicht bemerkt, dass es ihr schlecht ging? Wieso hatte sie nichts gesagt? Wieso musste ich mir überhaupt über so etwas den Kopf zerbrechen? Warum konnte Lilly nicht einmal alles offenlegen?

Fragen über Fragen gingen mir durch den Kopf und ich hatte auf keine eine Antwort. Es war frustrierend. Es war zum Schreien!

Ratlos hielt ich ihre Hand und lauschte ihren gleichmäßigen Atemzügen. In all dem Chaos hatte das etwas sehr Beruhigendes an sich. Aber ihre blasse Haut machte mir Sorgen. Der Arzt meinte, das läge daran, dass sie nicht gut durchblutet wäre. Als ich ihn fragte, was genau das bedeuten solle, meinte er nur, dass er mir keine näheren Auskünfte geben könne. Am liebsten hätte ich ihn dafür geschüttelt. Meine beste Freundin lag nach einem Herzanfall im Bett und er konnte mir nichts sagen? Selbst das mit dem Herzanfall hatte ich mir selbst denken müssen. Aber als man sie im Krankenwagen mit dem Defibrillator hatte wiederbeleben müssen war das nicht weiter schwer gewesen. Gott, ich hatte so eine Angst um sie gehabt. Beinah wäre sie mir einfach durch die Finger geglitten. Beinah wäre sie weg gewesen.

Unwillkürlich musste ich an ihre Eltern denken. Als der Arzt mich fragte, ob er jemanden anrufen sollte, verneinte ich. Ich wusste, dass Lil es nicht wollen würde. Und da ich ihr Freund war, respektierte ich das, auch wenn ich fand, dass ihre Eltern bei ihr sein müssten. Allerdings war es fraglich, ob es überhaupt etwas ändern würde. Schließlich galt ihr Interesse in letzter Zeit nicht unbedingt ihrem einzig verbliebenen Kind.

Müde sah ich auf, als Lillys Finger sich zu regen begannen.

Lilly

Zuerst war da der Schmerz tief in meiner Brust. Dann die Geräusche um mich herum. Ich verfluchte das vertraute Piepen und mich selbst gleich mit, als die Erinnerungen wiederkamen. Wie konnte ich nur so blöd sein? Wie konnte ich vergessen, auf das zu achten, was mich am Leben hält?

In all meinem Selbsthass, nahm ich auf einmal eine Hand wahr, die meine Linke sanft hielt und in stetigem Tempo kleine Kreise darauf zog. Mit flatternden Lidern öffnete ich meine Augen. Für einen Moment dachte ich, ich würde Leo neben meinem Bett sitzen sehen.

„Leo?", flüsterte ich.

„Nein, Lilly. Ich bin's. Alex."

Enttäuschung machte sich in mir breit. Es war dämlich, das wusste ich, aber es tat trotzdem weh. Mein Wunsch, Leo nah sein zu wollen, machte mich wahnsinnig. Ich wollte ihn so sehr bei mir haben, dass es mich gebrochen hatte.

Aber Alex ... Alex war da. Er war mir nah und machte sich offensichtlich furchtbare Sorgen. Schon wieder. Wie konnte es sein, dass er immer noch bei mir war? Wieso lief er nicht weg? Eine gute Freundschaft erträgt viel, aber das? Wie konnte sie meine Probleme ertragen? Wie konnte er das ertragen?

„Lilly?", Alexanders Stimme riss mich aus meinen Gedanken.

„Ja?", erwiderte ich mit kehliger Stimme und räusperte mich.

Mühsam setzte ich mich auf und fuhr mir durch die Haare. Vermutlich sah ich furchtbar aus. Als ich an mir herabblickte, bemerkte ich, dass ich ein Krankenhaushemd trug. Diese furchtbaren Dinger, deren Sinn mir nicht wirklich klar werden wollte. Auf meiner Brust spürte ich pflasterartige Rechtecke. Sie hatten mich also reanimieren müssen. Frustriert lehnte ich mich zurück und krallte meine Hände in die Decke.

The New MeWhere stories live. Discover now