34. Kapitel

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34. Kapitel – Eine andere Version meiner Selbst

Der beste Weg, einen Freund zu haben, ist der, selbst einer zu sein.
-Ralph Waldo Emerson

Am nächsten Tag, ging mein Vater zur Arbeit, hörte pünktlich auf, ging dann für eine Stunde zu meiner Mum und besorgte sich endlich einen Termin bei einem Therapeuten. Am Nachmittag kochte er mit mir zusammen das sogenannte Nudelspektakel, das es schon seit meiner Kindheit nicht mehr bei uns gegeben hatte. Wir aßen gemeinsam und er spornte mich an, mit ihm Laufen zu gehen. Ich war so froh darüber, dass ich meine Hausaufgaben auf den Abend verschob und mich umzog. Wir liefen im Gleichschritt die Straßen entlang und ich war so froh, über den Hauch von Normalität, dass ich nicht aufhören könnte zu Lächeln. Als ich bemerkte, wo wir lang liefen, blieb ich vor einem mir nur allzu bekannten Haus stehen. Mein Vater direkt neben mir.

„Was hast du?", fragte er besorgt.

„Ich kenne die Person, die hier wohnt."

Mein Vater sah das Haus an, die Adresse und fragte dann:

„Wirklich?"

Ich nickte.

„Du weißt das ...", setzte er mit sich ringend an, mir die Wahrheit zu sagen.

„Ja Dad. Das weiß ich", fiel ich ihm ins Wort, da ich nicht wollte, dass er sich wieder schlechter fühlte.

Er sah mich eine Weile an, strich mir die Haare aus dem Gesicht und lächelte. Trauer spiegelte sich in seinen Zügen, ganz so, als wüsste er ganz genau, was mit mir und Kyle passiert war. In mir reifte der Entschluss, ihn endlich danach zu fragen, warum er damals nicht die Wahrheit gesagt hatte.

„Dad, warum hast du nicht gesagt, wie es wirklich war?"

„Ach Prinzessin", sagte er leise.

Mein Vater sah auf seinen Pulsmesser, als wollte er etwas Zeit schinden, ehe er antwortete:

„Weil ich wusste, dass es einfacher ist, wenn sie mir die Schuld geben kann. Zu erfahren, dass der Menschen, den man am meisten liebt, lieber gestorben ist, als sich den Konsequenzen seines Handelns zu stellen und das gemeinsam mit einem durchzustehen, ist hart. Selena ging es damals sehr schlecht, nach seinem Tod. Plötzlich stand sie alleine mit einem kleinen Kind da. Sie arbeite meist den ganzen Tag, holte abends ihr Kind ab und kümmerte sich noch um ihn und das Haus. Das war keine leichte Zeit für sie. Ich wollte, dass sie jemanden hat, gegen den sie ihre Wut richten kann, den sie nicht liebt. Der nicht tot ist."

Erschüttert von seinen Worten sah ich ihn an. Mein Vater, hatte im vollen Bewusstsein gehandelt und sich hassen lassen. Es war ihm lieber gewesen, als einer trauernden Frau, die schreckliche Wahrheit über ihren Mann zu sagen.

„Oh Dad", sagte ich mit Tränen erstickter Stimme.

Er legte einen Arm um meine Schulter, zog mich zu sich heran und strich mir einfach wortlos über die Haare.

„Lass uns gehen, bevor uns jemand sieht", sagte ich, löste mich von ihm und fing an die ersten trabenden Schritte weg vom Haus zu machen.

Ich wollte es nicht riskieren, in einem Moment wie diesem, Kyle zu begegnen. Nicht, wenn mein Vater gerade dabei war, sich aufzuraffen. Mein Dad nickte und lief ebenfalls los. Ich warf einen letzten Blick auf das Haus, in dem ich so viel Zeit verbracht hatte und wandte mich dann vom ihm, und den damit verbunden Erinnerungen ab. Es tat weh, die Zeit gehen zu lassen, aber es war besser so.

Kyle

Ich sah, wie Lilly zusammen mit ihrem Vater vor unserem Haus stand. Dort stand der Mann, den ich am meisten hasste, zusammen mit der Frau, die ich am meisten liebte. Etwas in mir wollte rausgehen und ihm eine reinhauen, aber der Teil von mir, der immer noch an Lilly dachte, hielt mich davon ab. Sie hatte gesagt, dass ich nicht die Wahrheit kennen würde. Das verwirrte mich noch immer. Gestern hatte ich einen erneuten Versuch gestartet, etwas herauszufinden und erneut war ich gescheitert. Letzten Endes war ich gegangen, weil ich sah, dass Lilly sich quälte. Nicht wegen mir, sondern wegen ihrer Familie. Ich wusste, wie es war, wenn jemand nicht mehr nach Hause zurückkam. Es war, als löste sich ein Teil von einem einfach auf, um in der dünnen Luft zu verschwinden. Zu sehen, wie Lilly unter diesem Schmerz litt, tat mir in der Seele weh. Was mich verwirrte, war, dass ihr Dad zwar schlecht aussah, aber nicht so schlecht, wie ich angenommen hatte, nachdem was sie gestern gesagt hatte. Anscheinend hatte sie ein Machtwort gesprochen, denn ich bezweifelte, dass sie mich belogen hatte. Jeder andere hätte es vielleicht getan, um Mitleid zu erregen, doch sie nicht. Dafür war sie zu aufrichtig, ihr Herz zu rein.

The New MeWhere stories live. Discover now