28. Kapitel

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28. Kapitel – Anders sein

Es gibt Menschen, die mit ihrem Verhalten anstoßen und stören - Menschen, die leiden, halluzinieren und verwirrt sind. Einige brauchen - für kurze Zeit - Hilfe. Doch diese Menschen sind nicht «krank»; sie sind vielmehr Opfer von Lebensumständen, die den «Gesunden» in der entsprechenden Härte erspart blieben.

-Marc Rufer

Als ich meine Geschichte beendet hatte, sah Alex mich fassungslos an. Vermutlich würde er mich hiernach nie wiedersehen wollen. Wer will schon mit jemandem befreundet sein, der so viele Altlasten mit sich rumschleppte. Der Gedanke machte mich traurig, da Alex mir sehr sympathisch war. Aber ich hatte einfach mit jemandem über alles reden müssen, was mich in den letzten Monaten beschäftigte. Denn irgendwann kam selbst ich an einen Punkt, an dem ich Hilfe brauchte.

Mittlerweile war es kühl geworden, da die Sonne schon unterging. Fröstelnd rieb ich mir über die Arme, während ich Alex von der Seite ansah. Dieser dachte immer noch über alles nach, was ich ihm erzählt hatte. Er schien verwirrt, aber gleichzeitig auch wütend.

„Tut mir Leid, ich wollte dich nicht nerven oder belasten. Ich musste einfach mal ganz dringend mit jemandem reden", sagte ich leise und starrte auf meine Schuhe.

Alex atmete einmal tief durch. Dann umfasste er mein Kinn, hob meinen Kopf damit ich ihn ansah und sagte:

„Das muss dir nicht Leid tun. Bei dem ganzen Scheiß den du gerade durchmachst, wundere ich mich bloß, wie es sein kann, dass du noch nicht durchdrehst."

Trocken lachte ich auf.

„Ich muss einen klaren Kopf haben. Irgendjemand muss doch einen Überblick behalten, bei dem ganzen Chaos."

Alex lächelte mich halbherzig an.

„Kein Wunder, dass du Kyle nicht anzeigen willst. Auch wenn es vielleicht nicht echt war, in dem Moment als du Hilfe gebraucht hast, war er da."

Verwundert sah ich in Alexanders grüne Augen. So hatte ich das noch gar nicht betrachtet. Bislang hatte ich lediglich meinen Verstand angezweifelt und mich über Kyles Verrat an mir aufgeregt. Aber Alex hatte Recht. Kyle ist für mich dagewesen, als meine Familie auseinandergebrochen war. Das hatte mich scheinbar stärker an ihn gebunden, als ich es bislang angenommen hatte.

Eine plötzliche Windböe blies Alex und mir die Haare in Gesicht. Lachend strichen wir sie uns wieder glatt. Dann stand Alex auf, reichte mir eine Hand und half mir auf. Als ich stand, ließ ich seine Hand nicht los. Dafür war sie viel zu warm. Genau wie sein Arm. Fröstelnd drückte ich mich an ihn. Alex lachte leise.

„Kalt?", fragte er.

„Mhm", murmelte ich.

Alex ließ meine Hand los, legte seinen Arm um meine Schultern und drückte mich an seine Seite. Arm in Arm liefen wir durch den Park, bis zum Ausgang.

„Wo stehst du?", fragte Alex mich.

„Ich bin zu Fuß da."

„Soll ich dich nach Hause fahren?", bot er mir an und sah auf mich herunter.

Ich blickte zu ihm hoch und sagte lächelnd:

„Nein danke. Ich laufe lieber. Außerdem, nimm es mir nicht übel, aber so schnell lasse ich keinen Fremden mehr wissen, wo ich wohne."

Mit gespielt beleidigter Miene, schob Alex seine Unterlippe vor und schmollte. Ich grinste nur noch breiter.

„Kann ich verstehen. Telefonieren wir?", sagte er dann aber doch und fuhr sich mit der Hand durch die erneut vom Wind zerzausten Haare.

„Wenn du das nach heute noch willst", sagte ich und knuffte ihm in die Seite.

Alex zuckte kurz, ehe er mich ansah und sagt:

„Klar. Warum nicht? Aber du könntest mir ja einen Anreiz geben", feixte er und hob grinsen die Augenbrauen.

Ich lachte kurz. Okay. Wenn er meinte. Ich stellte mich leicht auf die Zehnspitzen, da ich keine hohen Schuhe anhatte, zog sein Gesicht zu mir runter und küsste ihn. Überrascht tat Alex erst einmal gar nichts. Dann schloss er die Augen, zog mich noch näher an sich ran und erwiderte meinen Kuss zärtlicher als angenommen.

„Das hab ich nicht erwartet", flüsterte er danach an meinen Lippen.

Grinsend stellte ich mich wieder normal hin und trat einen Schritt zurück.

„Du wolltest es doch", sagte ich.

Lachend erwiderte er:

„Ja. Allerdings. Trotzdem hab ich nicht damit gerechnet. Du bist echt anders."

Schlagartig war meine gute Laune wieder verflogen. Das waren Worte gewesen, die ich lieber nicht hatte hören wollen. Erschrocken über meine Reaktion, sah Alex in mein finsteres Gesicht.

„Tut mir Leid. Hab ich etwas Falsches gesagt?", fragte er vorsichtig.

Ich schüttelte den Kopf und fuhr mir mit einer Hand über die Stirn.

„Nein. Es ist nur ... Kyle hat mal das Selbe gesagt."

Alex fing wieder an zu lächeln.

„Da muss ich ihm leider Recht geben. Du bist so spontan und mimst keine falsche Zurückhaltung. Du machst einfach, was dir gerade in den Sinn kommt. Das hat mir schon gestern im Club so an dir gefallen."

Überrascht legte ich den Kopf ein wenig schief und lächelte. Alex trat den Schritt, den ich von ihm weg gemacht hatte, auf mich zu und gab mir einen kurzen Kuss auf die Lippen.

„Bis dann Schönheit", flüsterte er und ging zu seinem Auto, welches er in der Nähe geparkt hatte.

Ich beobachtete grinsend, wie er einstieg, den Blinker setzte und davonfuhr. Kurz winkte ich ihm nach, ehe ich mich zitternd vor Kälte, auf den Weg nach Hause machte.

The New MeWhere stories live. Discover now