52. Kapitel

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52. Kapitel – Ich wünschte ...

Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem man uns nicht vertreiben kann.
-Jean Paul

Noch vier Tage. Hanna hatte mir verziehen, dass ich nicht ganz bei der Sache war. Meine Ignoranz ihrer Misere gegenüber, hatte mich mit Schuldgefühlen erfüllt. Als ihr das klar wurde, nahm sie meine Entschuldigung an. Mittlerweile hatte sie sich mit Nick vertragen, aber glücklich war sie damit nicht. Das Problem stand nach wie vor unausgesprochen im Raum.

Noch drei Tage. Ryan versuchte einen Rückzieher zu machen, aber ich konnte ihn erneut überzeugen, obwohl er wirklich Angst hatte, dass jemand bemerken könnte, wie Leo und er wirklich zu einander standen. Vermutlich war es ihm gegenüber nicht fair, dennoch wollte ich ihn bei mir haben.

Noch zwei Tage. Meine Eltern verhielten sich furchtbar. Sie stritten, nur um sich wieder zu versöhnen. Sie schrien mich an, nur um festzustellen, dass sie unrecht hatten. Es war, als würde jemand in meinem Kopf Samba tanzen und gegen alles treten, was es vor sich hatte.

Samstag. Morgen. Morgen war es soweit. Morgen war die Beerdigung. Morgen würde ein Teil von mir fort sein. Bei dem Gedanken wurde mir ganz schlecht und ich glaubte schon, dass ich zur Toilette rennen müsste, aber ich kämpfte das Gefühl nieder, welches mir Magenschmerzen bereitete: Trauer. Trauer und Wut. Und Einsamkeit. Ich war alleine. Keine Anna. Kein Leo. Kein Alex.

Seit unserem Streit war ich vollkommen durcheinander. Ich verstand seine Wut, aber warum hatte er mich nicht ausreden lassen? Dann wäre uns das alles erspart geblieben und ich hätte noch meinen besten Freund mit dem Plus. Vielleicht hätte ich es stärker versuchen müssen. Nein. Nicht vielleicht. Definitiv, stellte ich fest.

Ich stand vor meinem Spiegel und sah mich selbst vorwurfsvoll an.

„Du bist so blöd", murmelte ich und lehnte mit geschlossenen Augen meine Stirn gegen das kühle Glas.

Warum hatte ich Alex nicht einfach die Wahrheit über Kyle hinterher geschrien?

Kyle sitzt neben mir auf dem Krankenhausbett und sieht mich besorgt an.

„Es geht mir schon besser. Wirklich. Alex hat mir sehr geholfen", versichere ich ihm, nachdem ich ihm von meinem Zusammenbruch erzählt habe oder zumindest, dass ich ihn hatte. Die Gründe dafür führte ich ihm nicht auf.

„Alex?", fragt Kyle ungläubig.

„Ja. Alex. Er ist immer für mich da. Ich wüsste nicht, was ich ohne ihn machen würde", fahre ich fort und muss lächeln, als ich daran denke, wie wir in seinem Bett gelegen und uns stundenlang unterhalten hatten, und dann ist da noch diese andere Sache, die unsere Freundschaft so verlockend macht.

„Ich bin doch auch für dich da", sagt Kyle schwach.

Ich schaue hinüber zu dem Bild, welches er mir mitgebracht hat.

„Ich weiß, dass du das gerne wärst Kyle, aber ich kann dir nicht verzeihen. Du hast mich benutzt und mir wehgetan. Mehr noch als das. Du hast etwas in mir zerstört. Alex ist ... ist noch dabei, es wieder hinzubekommen und ich fange an, es endlich vollständig zuzulassen. Bis vor wenigen Wochen war ich immer noch nicht sicher, ob ich ihm wirklich vertrauen kann, aber jetzt ... Er war da, seit der Minute, in der er erfahren hat, dass ich hier bin. Und er ist nicht weggegangen. Im Gegenteil", versuche ich ihm zu erklären.

„Dann ... dann liebst du ihn?", fragt Kyle und sieht mich aus stahlblauen Augen an.

„Was? Nein. Wir sind befreundet. Darum geht es auch gar nicht. Es geht darum, dass das was du dir wünscht, nicht passieren wird. Ich kann einfach nicht. Ich wünschte ich könnte, denn ... denn ich habe noch Gefühlte für dich. Aber ein großer Teil in mir, hasst sich selbst dafür. Denn was du mir angetan hast, das wollte ich nie zulassen. Ich wollte mich nie auf jemanden so sehr einlassen, dass es so weh tun kann. Aber genau das ist passiert."

The New MeWhere stories live. Discover now