40. Kapitel

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40. Kapitel – Die Wahrheit tut weh

Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher.

-Bertolt Brecht

Eine schmerzliche Wahrheit ist besser als eine Lüge.

-Thomas Mann

Ich blieb wie angewurzelt stehen. Der Ton, den die Stimme meines Vaters anschlug, gefiel mir nicht. Er klang viel zu ernst. Langsam drehte ich mich zu ihm um. Meine zitternden Finger versteckte ich im Saum von Alexanders T-Shirt. Gott, ich wünschte er wäre jetzt hier. Aber das war er nicht. Ich war alleine. Wie ein Häufchen Elend, stand ich da und wartete darauf, dass mein Dad endlich weiter sprach. Einerseits wollte ich wissen, was los war, andererseits wäre ich am liebsten einfach wieder raus gegangen und zum Strand gefahren. Mein Vater kam auf mich zu, legte seinen Hände auf meine Schultern und sagte:

„Es geht um deine Mutter. Sie kann wieder nach Hause kommen."

Mit einem Schlag wich die Anspannung aus meinem Körper. Ich lachte auf und umarmte meinen Dad. Doch der packte mich fester und schob mich von sich weg.

„Nein, Lilly. Das ist nicht alles."

Sofort war meine gute Laune wieder verschwunden. Es gab also ein „aber". Natürlich. Es gab immer ein „aber". Warum konnte nicht einmal alles einfach und gut sein? Wieso musste es immer Probleme und schlechte Nachrichten geben? Hatten wir es denn nicht verdient, glücklich zu sein?

„Es geht um Leo."

Ein Zittern ging durch meinen ganzen Körper. Meine Beine drohten zu versagen, noch bevor mein Vater weiter sprach. Mein Gehirn wusste, was er sagen wollte, doch mein Herz widersprach. Es schrie ihn an, er solle still sein. Ich wollte es nicht hören. Wollte ihn nicht sehen. Wollte nicht wissen, was seine nächsten Worte bedeuteten.

Unbewusst fuhren meine Finger über mein Tattoo. Leos Tattoo. Unser Tattoo.

„Sie ... sie wollen ihn für Tod erklären. Als gefallenen Soldaten im Einsatz. Genau wie James und Kevin. Sie stellen die Suche in einer Woche ein."

Meine Beine brachen weg. Mein Herz setzte aus, genau wie meine Atmung. Ich knallte auf den Boden und wollte nie mehr aufstehen. Es fühlte sich an, als würde ich an dem Schock sterben.

Doch das passierte alles nur in meiner Vorstellung. In Wirklichkeit stand ich vor meinem Vater, blickte ihn ausdruckslos an und ballte meine Hände zu Fäusten. Wut, gemischt mit Trauer, stieg in mir auf. Das konnte einfach nicht stimmen. Er konnte es unmöglich ernst meinen. Mein Dad sah mich wartend an. Er schien auf eine Reaktion meinerseits zu warten. Unwillkürlich fragte ich mich, wie er wohl reagiert hatte. Da er nicht auf dem Sofa saß und trank, war es ihm entweder die ganze Zeit über klar gewesen oder er hatte seinen Therapeuten einen Besuch abgestattet. Denn eine solche Nachricht, konnte unmöglich einfach an ihm vorbeiziehen.

‚Vielleicht ist es ihm aber auch einfach egal', dachte ich kaltherzig.

Wie hatte wohl meine Mum reagiert? Wusste sie überhaupt davon? Wollte er es ihr verschweigen, bis sie wieder obenauf war? Was, wenn sie das zurück ins Krankenhaus bringen würde?

Fragen über Fragen schwirrten in meinem Kopf, aber sagen tat ich nur eines:

„Dad, ich muss dich um einen Gefallen bitten."

Nachdenklich saß ich auf meinem Bett, tippte nervös mit den Fingern auf meinem Knie herum und nagte an meiner Unterlippe. Ich fragte mich, ob das wirklich so eine gute Idee war. Schließlich konnte das ganze auch nach hinten losgehen. Aber es musste getan werden. Da war ich mir sicher. Und zwar aus vielen Gründen. Zum einen war es an der Zeit, zum anderen war es das einzig Richtige.

The New MeWhere stories live. Discover now