32. Kapitel Teil 2

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Am Ende sind wir zusammen mit Tobias, Marya und mir insgesamt neun Leute, die in der Stadt unterwegs sind. Allerdings ist nur noch ein weiteres Mädchen mitgekommen und der Rest sind alles Jungen.
Bis jetzt sind wir drei Querstraßen vom Heim entfernt und wollen auch nicht weiter gehen. Die Häuser, darunter auch eine Kirche, an denen wir vorbeigekommen sind, sahen ziemlich ruiniert aus. Durch die Bomben sind viele eingestürzt oder stehen nur noch zur Hälfte. Das Bild was sich ergibt, ist einfach nur traurig. Die vorher so schöne Stadt, ist jetzt nur noch ein Trümmerhaufen.
Gerade stehen wir auf einer Brücke unter der ein Fluss, der die Stadt durchquert und aus dem anderen Königreich kommt, entlangfließt. Jetzt könne wir sehen, dass wir im oberen Teil der Stadt angekommen sind. Die Mitte der Brücke ist nochmal ein Stück höher gelegen, weswegen man fast bis zu unserer Schule schauen kann. Aber nur fast. Trotzdem muss ich bei dem Gedanken lächeln.

Plötzlich kann man leise Schritte hören, die immer näher kommen. Es ist eine Gruppe Soldaten. Ich bin wie hypnotisiert von diesem pulsierenden Ton, weswegen ich alles andere ausblende. Erst als man die Soldaten schon fast sehen kann, löse ich mich aus meiner Starre. Neben mir steht nur noch Tobias, der genauso hypnotisiert ist. Die anderen sind anscheinend schon umgedreht.
Ich stupse den Jungen neben mir an und er fängt sich wieder. Er versteht die Situation und greift meinen Arm. Ohne irgendwelche Zweifel lasse ich mich von ihm mitziehen, schließlich kennt er sich hier besser aus. Ich höre die Soldaten hinter uns, als wir in eine kleine Gasse treten. Doch auch auf der anderen Seite können wir nicht raus, da vorne, im selben Moment wie hinter uns, Soldaten lang laufen. Um nicht entdeckt zu werden stellen wir uns in einen Eingang.
«War da nicht eben was?», hören wir jemanden rufen. «Dann schau nach!» Ich greife vorsichtig hinter mich und taste nach der Türklinke. Als ich diese zu fassen bekomme und sie runter drücke, schwingt die Tür tatsächlich auf. Ohne irgendwelche Geräusche zu machen, huschen wir hinter die Tür. Danach befinden wir uns in einem großen Saal, mit mehreren Bankreihen, wieder. In der Mitte davon steht ein großer Altar. Dem Anschein nach sind wir in der einer kleinen Kirche gelandet, die wir schon auf den Weg zur Brücke gesehen haben. Wir gehen das Hauptschiff bis zum Ende und finden dort eine mehr oder weniger versteckte Treppe, der wir kurzerhand nach oben folgen. Je weiter wir kommen, desto unstabiler wird sie auch. Auch in den Wänden des Turmes fehlen ab und zu ein paar Stücke. Wahrscheinlich sind die Bombeneinschläge Schuld daran. Allerdings hat sich der Turm nach all dem noch gut gehalten.
Während wir die Treppen hochlaufen, sagen Tobias und ich kein Wort, aber er zieht mich an meiner Hand mit sich. An dieser Stelle breitet sich ein leichtes Kribbeln aus. Außerdem finde ich es auch nicht schlimm, dass wir den Turm hochgehen. Einen Überblick zu bekommen, schadet schließlich nie.

Die Aussicht vom Glockenturm ist atemberaubend. Zumal die große, goldene Glocke nicht einen Kratzer abbekommen zu haben scheint. Einen Meter um die Glocke herum ist eine Art Geländer, an welches Tobias und ich uns stellen, um nach unten zu schauen. Erst jetzt bemerken wir, wie viele Soldaten doch unterwegs sind. Nur eine Straße wird komplett gemieden, auf die mich Tobias aufmerksam macht.
Ich nicke: «Ich glaube das ist die Straße, auf die wir gekommen wären, wenn wir die Gasse weitergelaufen wären. Vielleicht sind da Minen oder so.»
Tobias nickt kurz, zur Bestätigung meines letzten Satzes. «Und schau mal, dahinten kann ich das Heim sehen. Es ist nur drei Häuser weiter», weist mich Tobias hin.
«Dort hinzukommen wird wahrscheinlich schwierig werden. Auf der Hauptstraße laufen noch zu viele Soldaten. Der Weg wird kürzer, wenn wir auf das Haus vor uns kommen. Es hat eine Dachterrasse, über die wir das Haus betreten können», erkläre ich ihm.
Gerade als er zu sprechen ansetzen will, fängt die Glocke an zu läuten. Es ist so laut, das Tobias und ich uns die Ohren zuhalten müssen. Als sie dann nach einer gefühlten Ewigkeit aufhört zu schlagen, setzen wir meinen Plan in die Tat um. Als erstes klettern wir über das Geländer und lassen uns dann vorsichtig an der Fassade herab. Wir landen auf dem Dach des Kirchenschiffs. Dort laufen wir vor bis zur Kante, sodass zwischen dem Dach und dem anderen Haus nur noch ein Spalt ist. Tobias springt als erstes und landet auch sicher. Als ich dann jedoch springe, rutsche ich ab und ich weiß dass ich es nicht schaffen werde. Ich komme gerade so bis zum Rand, dann drohe ich abzustürzen. Ich schließe meine Augen und warte auf den Aufprall. Doch dieser kommt nicht.

Das Mädchen mit den EngelsflügelnWhere stories live. Discover now