24. Kapitel

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Den restlichen Tag bleibe ich ruhig auf der Matratze liegen, da jede Bewegung schmerzen würde. Ich versuche mir klar zu werden, was passiert ist, aber ich werde einfach nicht schlau daraus.
Deswegen spiele ich mit dem Anhänger von Daras Kette, ein weißer Stein umfasst von silbernen Flügeln. Sie hat sie mir überlassen, nachdem sie gestorben ist und ich ins Heim gekommen bin. Seitdem trage ich sie immer um meinen Hals. Komischerweise ist der sonst rein weiße Stein leicht schwarz. Zeigt das meine immer dunkler werdende Seite an?

Am Abend legt sich Tobias zu mir. Diesmal liegen wir, ohne Streit, beide unter der Decke. Es kommt mir falsch vor jetzt von ihm abzurücken. Als ich plötzlich einen Arm an meiner Hüfte spüre, der mich an sich zieht, drehe ich mich vorsichtig um. «Tut mir leid, aber ich kann besser schlafen, wenn ich deinen Atem spüre...Besonders nach heute», gibt Tobias leise zu, als er meinen Blick auffängt. Normalerweise würde ich ihn wegschieben, aber ich kann nicht.
Ich kenne dieses Gefühl, es geht mir mit ihm ja nicht anders, und bleibe einfach an ihn gekuschelt liegen. Dann schlafe ich ein. Als ich am nächsten Morgen aufwache, habe ich so gut geschlafen wie schon lange nicht mehr. In den Armen von Tobias, die mich noch immer gefangen halten, hatte ich keinen einzigen Albtraum. Da er noch schläft, versuche ich ruhig liegen zu bleiben. Als Marya an unserem Schlafplatz vorbeikommt habe ich Angst, dass sie wieder dumme Sprüche loslässt, aber nichts kommt. Sie schaut mich nur mit einem undefinierbaren Blick an und geht weiter. Als Tobias aufwacht, gehe ich mich anziehen und eine halbe Stunde später brechen wir auch schon auf. Da mein Rücken sehr schmerzt, helfen mir Tobias und Mark beim Laufen. Da ich jedoch meinen Rucksack selber trage, sind die nächsten zwei Tage sehr anstrengend. Da mein Rücken für den Heilungsprozess extra Energie benötigt, falle ich abends total fertig ins Bett, welches wie immer Tobias vorbereitet hat. Anders als sonst bin ich diesmal fast augenblicklich eingeschlafen. Ob Tobias sich wirklich neben mich legt, kann ich nicht sagen.

Tobias und ich sind in einem Einkaufszentrum, da wir etwas zu Essen für die Anderen brauchen. Plötzlich werden wir von Soldaten umringt, wovon mich zwei festhalten. Insgesamt sind es nur drei Soldaten. Wir haben also eine Chance! Ich versuche mich aus dem Griff zu befreien, was Tobias zu sehen scheint. Er wirft sich gegen einen Angreifer, weswegen dieser loslassen muss. Als auch der andere seinen Griff etwas lockert, kann ich mich losreißen und renne ein Stück weiter. Erst als ich in sicherer Entfernung stehe, drehe ich mich zu Tobias um. Dieser fängt meinen Blick auf und schreit: «Renn! Ich schaff das schon. Bring DICH in Sicherheit!»
Doch seine Situation drängt sich in den Vordergrund. Die Soldaten haben ihn wieder eingekreist. Zwei halten ihn fest, während der Andere anfängt auf Tobias einzuschlagen. Meine Schreie stoßen auf taube Ohren. Ich versuche zu ihnen zu gelangen, aber meine Beine geben unter mir nach und ich komme kein Stück nach vorne. Meine Schreie und Rufe verhallen im Nichts. Deswegen hören sie auch nicht auf. Der Schläger geht hinter Tobias und legt ihm den Arm um den Hals. Es ist nur ein Ruck, aber er lässt mich, meine Welt, zusammenbrechen. Ich sinke auf die Knie. «Nein!» Immer wieder sage ich dieses Wort vor mir her. Das kann einfach nicht sein! Zum Schluss verpasst jeder Tobias noch einen Tritt. Als wäre das noch nicht genug. Dann sind sie weg. Das Lachen hallt jedoch bis in die Unendlichkeit nach. Ich versuche ihn erneut zu erreichen. Nach einigen Versuchen, sitze ich jetzt direkt neben ihm. Sein Blut ist überall und tränkt meine Sachen. Die Augen von Tobias sind leer und ich weiß, dass es meine Schuld ist. Wären wir nicht in das Kaufhaus gegangen, wie ich es vorgeschlagen habe. Wären wir nicht,... Die Gedanken lassen mich nicht mehr los.
Dann schlage ich meine nassen Augen auf. Die Tränen sind nicht mehr zurückzuhalten. Ich schlucke und fange an zu zittern. Ich greife hinter mich, um mich zu versichern dass alles nur ein Traum war, aber der Platz neben mir ist leer und kalt. Tobias ist nicht da... War dieser Traum etwa nur eine Wiedergabe der Realität? Ich zittere noch mehr.

Mir wird schlecht, weswegen ich langsam aufstehe um taumelnd ins Bad zu gehen. Dort setze ich mich auf den Boden, direkt neben die Toilette. Ich starre an die weißen Fließen an der Wand, die auf einmal rote Spritzer bekommen. Es ist Blut aus Tobias' Adern, welches langsam die Wand hinunter läuft. Jetzt sehe ich wieder jeden Schlag vor meinen Augen und zucke mit jedem neuen Hieb zusammen. Immer weiter schlagen sie auf ihn ein und ich schreie: «Aufhören! Aufhören!» Doch sie hören nicht auf. Sie machen immer weiter, und all die Fliesen färben sich mit jedem Schlag ein Stückchen weiter rot.

Das Mädchen mit den EngelsflügelnWhere stories live. Discover now