23. Kapitel Teil 2

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Ich gehe also auf dieses Licht zu und werde gleichzeitig total davon geblendet. Deswegen schließe ich leicht meine Augen und öffne sie erst dann wieder, als das Licht etwas weniger geworden ist.

Auf einmal stehe ich auf einer großen Lichtung, die von einem großen Wald umfasst wird. Links neben mir plätschert ein kleiner Bach vor sich her, während die Wiese von bunten Blumen übersät ist, die mir bis zur Hüfte hoch reichen. Ich bin umsäumt von Lupinen, Allium, Mohn, Dahlien und noch vielen mehr. Der Himmel strahlt von einem satten Blau und nur kleine Schäfchenwolken sind zu sehen. Vorsichtig mache ich einige Schritte nach vorne, streiche dabei andächtig über die Blüten. Ich bewundere die Farbenpracht, als mein Blick auf ein prunkvoll verziertes Tor aus Gold fällt, welches genau in der Mitte der Lichtung steht.

Durch die Mitte des Tores kann man die dahinterliegende Umgebung unscharf erkennen. Das liegt daran, dass sich die Oberfläche leicht kräuselt und ab und zu Wellen schlägt. Komplett fasziniert, gehe ich auf das Tor zu. Ich möchte unbedingt wissen, wie sich die Oberfläche anfühlt und was es genau ist. Je näher ich nämlich komme, gleicht sie Nebel. Doch kaum stehe ich davor, höre ich wie eine Stimme hinter mir sagt: «Du solltest nicht näher treten. Das ist gefährlich!»
Als ich mich jedoch umdrehe, kann ich niemanden sehen, genauso wenig wie in der näheren Umgebung. Nur woher kam diese Stimme? «Ich bin hier...», ertönt die Stimme direkt vor mir. Doch da ist niemand! Erschrocken trete ich also wieder einen Schritt vom Tor zurück, wobei ich strauchle. Dank meiner Flügel kann ich mein Gleichgewicht jedoch halten und falle nicht hin. Das ist auch der Moment, an dem ich die Flügel wahrnehme. Davor hatte ich sie gar nicht gespürt, denn anders als sonst, sind sie gerade federleicht.
Als ich also über meine Schultern schaue und meine Flügel bewundere, fällt mir auf, dass nur einer weiß ist. Wie kann das sein? Warum ist mein rechter Flügel schwarz?

Als ich noch einen Schritt nach hinten trete, erscheint plötzlich eine junge Frau vor mir. Sie sieht aus wie zwanzig und ihre braunen Haare fallen ihr wallend über die Schultern. Ihr weißes Kleid trägt dazu bei, dass sie noch blasser als ohnehin schon wirkt. Dazu kommt, dass ihr ganzer Körper transparent wirkt, so als könnte ich sie nicht berühren und als würde mein Arm durch ihren Körper gleiten. Obwohl ich überrascht sein müsste sie zu sehen, bin ich es nicht. Meine Gedanken werden vollkommen von meinen Flügeln eingenommen. Da ich Angst davor habe, was gerade mit mir geschieht.
Die Frau hat mich lange gemustert, doch nun liegt ihr Blick auch auf meinen Flügeln. Die Angst, dass sie jetzt mein gut gehütetes Geheimnis kennt, bleibt komischerweise aus. Allerdings kann ich mir nicht erklären warum. Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich noch nicht einmal weiß, wo ich bin. Es könnte ja auch sein, dass ich träume, obwohl es sich so real anfühlt.

Als die Frau zu sprechen beginnt, ist ihre Stimme warm und melodisch. Gleichzeitig klingt sie jedoch unendlich traurig, als würden mit mir schreckliche Erinnerungen in Verbindung stehen. «Bei dir hat es also schon angefangen...» Nach diesem Satz bin ich vollends verwirrt und frage nach: «Was hat schon angefangen?» Ohne zunächst auf meine Frage einzugehen setzt sie sich in das Gras zwei Meter weiter von dem Tor entfernt. Ich blicke ihr verwirrt nach, als sie geht und weiß nicht, ob ich ihr folgen und mich ebenfalls hinsetzen soll. Erst als sie es mir bedeutet, tue ich wie mir geheißen und lasse mich ihr gegenüber ins weiche Gras fallen. Es scheint in einem Halbkreis, um das Tor herum, gemäht zu sein, sodass man sich bequem hinsetzen kann.
«Ich werde dir alles erklären, aber wir haben nur wenig Zeit.» Ich nicke ihr zu, bleibe aber ruhig, weil ich unbedingt ihre Erklärung hören möchte. «Früher war ich auch mal wie du. Ein Engel am Hofe», fängt sie mit belegter Stimme an. Doch durch ihre Worte erklärt sich meine fehlende Angst. Sie hatte also dasselbe Geheimnis, wie ich. Vorausgesetzt sie hat auch in der Menschenwelt gelebt. «Es gab eine Krankheit, die uns zu Menschen gemacht hat. Ich weiß, dass du schon in der Engelswelt darüber gelesen hast. Doch was nicht auf den Steinwänden steht ist, dass diese Krankheit auf unsere Psyche, und nicht auf unser körperliches Befinden, abzielt. In unserem Herzen wurden wir immer dunkler und Angst regierte unsere Körper. Mit jedem Tag würden unsere Flügel schwärzer und als sie komplett eingefärbt waren, wurden wir krank...» Sie bricht ab und scheint in ihren traurigen Erinnerungen gefangen zu sein. Erst als ich sie leicht an ihrem Arm berühre, klärt sich ihr Blick wieder auf und sie spricht weiter: «Um ehrlich zu sein, kann ich mich nicht genau an alles erinnern, was danach passiert ist. Ich weiß nur, dass ich schreckliches Fieber bekommen habe und am nächsten Tag ohne Flügel aufgewacht bin. Viele sind zu der Zeit gestorben, während andere nur ihre Flügel verloren haben. Diejenigen, die ihre psychischen Zusammenbrüche nicht ausgehalten haben, sind gestorben. Unsere Könige hat es besonders schlimm erwischt. Ich weiß nicht, ob es daran lag, dass sie so mächtig waren, aber...» Die junge Frau bricht erneut ab, spricht aber schnell wieder weiter: «Auch du hattest schon mehrere Zusammenbrüche. Sie bringen dich immer näher zu der dunklen Seite. Wenn du keinen hast, der dich auffängt, ... dann bist du verloren.» Als ihre Stimme am Ende auch noch bricht, bekomme ich Angst. Mir wird klar, wie ernst es ist und wie wenig Hoffnung ich habe. «Ich habe keinen, der mich auffängt...», setze ich dann leise an. «Doch hast du! Du musst nur die Augen aufmachen...»

Ich grüble, wen sie meinen könnte, aber mir fällt niemand genaues ein. Wie auch? Schließlich vertraue ich niemandem. Wer sollte mich dann also auffangen?
Das Mädchen blickt mich mitleidig an. «Es tut mir leid, aber ich kann dir nicht weiter helfen. Ich muss jetzt auch wieder zurück...Wenn wir uns noch einmal wiedersehen sollten, bist du viel näher an dieser dunklen Seite, als ich es je war. Pass also auf dich auf und schau dich richtig um!» Ihr Körper flimmert kurz auf und dann ist sie verschwunden. Dabei weiß ich noch nicht einmal, wie sie heißt.

Da ich total erschöpft bin, und nicht wieder aufstehen kann, lege ich mich ins Gras. Nur warum bin ich so erschöpft? So anstrengend war das Gespräch doch gar nicht?! Mein schlagendes Herz in meiner Brust wird immer Schwächer. Warum? Was ist nur los mit mir? Das Gesagte von dem Mädchen will mir auch nicht aus dem Kopf gehen. Wer kann mich auffangen? Nach langem Überlegen fällt mir dann doch eine Person ein, aber ich kann mich dieser nicht öffnen. Tobias versucht zwar mich immer aufzuheitern und zu trösten, aber es sind Probleme, von denen ich ihm nichts sagen kann. Mein Geheimnis will ich für mich behalten. Ich kann es also niemanden sagen. Meine Augen fallen zu und ich dämmere sofort weg.

Als ich meine Augen dann wieder aufschlage, blicke ich in die Apfelgrünen von Tobias. Sie sind wunderschön und nehmen mich für einen Augenblick gefangen.
Als ich jedoch sein Zittern bemerke, bin ich verwirrt. Er ist doch der Starke von uns beiden. Was ist also los? Ich schaue mich um und sehe wie Marya, die neben Tobias sitzt, sich kurz über ihr Gesicht fährt und dann wegschaut. Auch die Anderen, die in einem Kreis um uns herum sitzen, schauen mich alle total erstaunt an. Da meine Verwirrtheit sich nicht auflösen wird, wenn ich weiter liegen bleibe, versuche ich mich langsam aufzurichten. Dabei jagen mir mehre starke Schmerzwellen durch meinen Körper, die ihren Ursprung in meinem Rücken haben. Anscheinend war ihm das jetzt gerade alles zu viel. Erst der Unfall und dann die anderen Schmerzen. Eigentlich ist es kein Wunder.

Kaum sitze ich, werde ich auch schon in die Arme von Tobias gezogen. Ich zucke leicht vor Schreck und Schmerz zusammen, wehre mich aber nicht. Es scheint so, als würde er sich an mir festhalten. «Was ist los?», frage ich ihn leise. Tobias zieht mich noch näher an sich, antwortet aber nicht. Ich zähle in Gedanken bis zwanzig, dann drücke ich ihn weg. «Was ist los?», frage ich erneut, nur diesmal etwas schärfer. Er blickt zur Seite.
«Du warst tot. Für mehrere Stunden...» Als dann die Antwort kommt, ist es nicht Tobias, sondern Marya, die mich aufklärt. Deswegen wende ich mich ihr zu, bedacht darauf Tobias Nähe zu ignorieren, da ich immer noch auf seinem Schoß sitze. Außerdem macht er keine Anstalten, mich loszulassen und ich glaube, dass er die Nähe gerade wirklich braucht.

«Das kann nicht sein...Ich war wenn dann Ohnmächtig und-» Marya schneidet mir das Wort ab: «Nein! Tobias hat deinen Puls und deinen Herzschlag gefühlt und danach nichts mehr gesagt. Also habe ich ebenfalls nachgeschaut. Du hattest nichts von beidem. Du warst klinisch tot und zwar mehrere Stunden lang. Also...wieso lebst du jetzt?» Ich zucke mit meinen Schultern. Doch ihr Blick fixiert mich, sodass ich doch etwas sagen muss. «Woher soll ich das denn wissen? Ich bin davon ausgegangen, dass ich maximal Ohnmächtig war...» Jetzt zuckt sie mit den Schultern. Dann sind wir beide ruhig. Diesen Moment nutzt Tobias. «Ist ja jetzt erst mal egal, vergessen wir die ganze Sache doch einfach. Wir haben in maximal einer Woche unser Ziel erreicht. Heute bleiben wir noch hier und morgen gehen wir dann weiter. Sind damit alle damit einverstanden?» Alle stimmen ihm zu. Aber wahrscheinlich nur, weil sie keine eigenen Ideen dafür haben. Ich erschrecke mich über meine Gedanken. Seit wann bin ich denn so gemein?

Die Anderen zerstreuen sich wieder. Auch Tobias geht zu seinen Kumpels, nachdem er mich noch einmal kurz an sich gedrückt hat und sich versichert hat, dass mir wirklich nichts fehlt. Ich bleibe jedoch sitzen und weiß nicht, was ich mit mir anfangen soll. Aus den Augenwinkeln bemerke ich, dass Marya immer noch neben mir sitzt. Deswegen wende ich mich zu ihr. Als sie meinen Blick bemerkt, setzt sie an: «Es tut mir leid...», bricht dann jedoch wieder ab. Ich zucke einfach mit den Schultern. «Dir muss nichts leidtun.» Auch wenn es nicht ganz der Wahrheit entspricht, so stimmt es auf seine eigene Weise. Marya nickt, steht dann auch auf und geht mit einem letzten Blick auf mich.

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Ich hoffe euch gefällt das Kapitel! Die nächste Zeit wird bei mir jetzt stressiger, wegen der Klausurenphase, aber das Kapitel für nächste Woche ist schon gesichert!

Das Mädchen mit den EngelsflügelnDonde viven las historias. Descúbrelo ahora