Lestrade POV

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Schon als mir einer von Mycrofts Kollegen berichtet hatte, dass Mycroft zum Belmarsh-Gefängnis gefahren war, hatte mich ein ungutes Gefühl beschlichen.
Doch was mich dort erwartet hatte, war schlimmer gewesen, als ich vermutet hatte.
Der Schock saß mir immer noch in den Gliedern.
Trotzdem war ich erleichtert, als Mycroft begann, mir die ganze Wahrheit zu erzählen.
Vielleicht war es sogar gut gewesen, dass ich Teile davon schon selbst herausgefunden hatte. So war ich wenigstens etwas weniger überrumpelt.
Dass Mycroft und Jack gemeinsam ihren Abschluss gemacht hatten, wusste ich schließlich schon.
Und auch dass die beiden wohl mehr als nur eine gute Kameradschaft verbunden hatte.
"Er hat mich einfach beeindruckt", erklärte Mycroft. "Und ich bin definitiv nicht stolz auf diese Phase meines Lebens. Aber, nunja... ich war ziemlich abhängig von Jack und habe einige Dinge getan, die ich hinterher bereut habe."
Ich nickte knapp und war mir nicht sicher, ob ich wirklich noch mehr hören wollte.
"Ich habe mich über einen ziemlich langen Zeitraum von ihm ausnutzen lassen und - auch wenn er damals zugegebenermaßen noch nicht so ein Psychopath gewesen ist - wusste ich, dass das zwischen uns einfach nicht richtig war. Was auch immer es genau war..."
Mycrofts Stimme verlor sich im Nichts.
"Also hattet ihr etwas miteinander?", fragte ich leise. Ich musste es einfach wissen.
Mycroft nickte zögerlich.
"Aber ich habe seit Jahren weder etwas von ihm gehört, noch einen Gedanken an ihn verschwendet", fuhr er fort.
"Und ich kann dir versichern: dass er mich küssen würde, habe ich nicht kommen sehen. Sonst hätte ich diesen Fall längst an jemand anderen übergeben"
Er blickte mir zum ersten Mal in diesem Gespräch direkt in die Augen.
Ein verzweifelter Ausdruck erschien auf seinem Gesicht.
"Aber was hätte ich auch tun sollen, außer den Fall anzunehmen? Hätte ich es nicht getan, hätte das schließlich Fragen aufgeworfen.
Und ich wollte auf keinen Fall, dass jemand von meiner Vergangenheit mit Jack erfährt."
Resigniert blickte er zu Boden und schob die Hände noch tiefer in seine Hosentaschen.
Seine gesamte Haltung, die sonst immer so aufrecht und standhaft wirkte, hatte sich verändert. So verloren hatte ich Mycroft noch nie gesehen.
Am liebsten hätte ich ihn einfach in die Arme geschlossen, doch das Wissen, dass er mich belogen hatte, ließ mich weiterhin auf Abstand bleiben.
"Wieso hast du mir nichts davon erzählt?", fragte ich traurig.
Für einige Zeit blieb Mycroft still. Dann antwortete er: "Ich schätze, ich hatte einfach Angst vor deiner Reaktion. Ich hatte das Ganze so gut wie möglich verdrängt. Und dass mich meine Vergangenheit so plötzlich wieder eingeholt hat, hat mich einfach überfordert"
Ich machte einen Schritt auf Mycroft zu. "Ich verstehe, dass es nicht einfach für dich gewesen sein muss, Jack wiederzusehen. Aber das ist kein Grund, mir die Wahrheit zu verschweigen... Ich meine, hättest du mir überhaupt jemals davon erzählt, wenn ich es nicht mitbekommen hätte?"
Geknickt blickte Mycroft mich an.
"Ich weiß es nicht", sagte er ehrlich. "Ich habe bisher mit niemandem darüber gesprochen. Sherlock hat sich zwar einiges zusammengereimt, doch auch er hat nie etwas Genaues darüber erfahren."
Ich schluckte.
"Ich weiß, du bist jemand, der gerne seine Geheimnisse für sich behält.
Aber das ist vorbei. Denn ich bin jetzt an deiner Seite"
Ein zaghaftes Lächeln stahl sich auf mein Gesicht.
"Und das wird sich auch nicht ändern - ob du willst oder nicht!"
Mycroft schmunzelte.
Dann wurde er wieder ernst. "Es tut mir leid, Greg", sagte er aufrichtig.
"Schon gut", erwiderte ich und schloss ihn in meine Arme.
Mycroft bedeutete mir viel zu viel, als dass ich ihn wegen einer dummen Lüge aufgeben würde.
Ich konnte nur hoffen, dass er von nun an wirklich aufrichtig zu mir war.
Als ich mich wieder von Mycroft löste, schlang dieser fröstelnd die Arme um die Brust.
"Lass uns zum Auto gehen", sagte ich und deutete zum Parkplatz.
"Und ich dachte schon, du willst mich hier draußen in der Kälte erfrieren lassen!", gab Mycroft ein wenig entrüstet zurück.
"Tja, auch wenn ich das kurz in Betracht gezogen habe, habe ich mich letzten Endes doch dagegen entschieden", entgegnete ich schmunzelnd.
"Sehr gnädig, Inspektor", erwiderte er sarkastisch.
Ich grinste - erleichert darüber, dass Mycroft wieder ganz der Alte zu sein schien - und folgte meinem Freund zu seinem Wagen.

Mystrade - One Call Away (Sherlock)Nơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ