Mycroft POV

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Gregs Schweigen während unseres gemeinsamen Frühstücks entnahn ich, dass er immer noch etwas beleidigt war, weil ich ihn gestern Abend einfach hatte stehen lassen.
Zugegebenermaßen hatte er zwar ein Recht darauf, mich mit Stille zu strafen, doch war das Ganze ja offensichtlich nicht meine Schuld gewesen.
Bis Sherlock bei uns hereingeplatzt war, war der Abend perfekt verlaufen. Doch die Neuigkeiten meines Bruders hatten mich völlig aus der Bahn geworfen - auch wenn ich das ungern zugab.
Als Greg sich vom Tisch erhob, um sich den gefühlt hundertsten Kaffee an diesem Morgen zu machen, ergriff ich das Wort.
"Tut mir leid, dass der gestrige Abend nicht wie geplant verlaufen ist. Ich verspreche dir, das holen wir nach"
Ich stand auf und stellte mich hinter Greg, der seinen Blick auf die Kaffeemaschine geheftet hatte, und legte meine Arme um ihn.
"Ich muss jetzt wirklich los zur Arbeit. Leider kann ich es mir nicht leisten, mir noch länger freizunnehmen", ich seufzte schwermütig, "aber ich versuche heute Abend nicht allzu spät nach Hause zu kommen"
Greg drehte sich schmunzelnd zu mir um. "Ich bin dir wirklich nicht böse, Mycroft... Ich mache mir bloß ein wenig Sorgen, weil ich das Gefühl habe, dich beschäftigt etwas wirklich Ernstes."
Womit Greg natürlich vollkommen Recht hatte. Doch darüber konnte ich definitiv nicht mit ihm reden.
"Nein, es ist nichts", sagte ich möglichst überzeugend und nahm Gregs Gesicht in die Hände, um ihm einen Abschiedskuss zu geben, bevor ich mich ins Büro aufmachte.

Ich war gerade dabei, einige alte Akten zu entsorgen, als es an meinem Bürotür klopfte.
"Herein!", rief ich und ließ mich wieder in meinem Sessel nieder.
Die Tür öffnete sich ruckartig und niemand geringeres als mein Bruder platzte ungeduldig in mein Büro herein.
"Du hast also gelernt, wie man anklopft", bemerkte ich sarkastisch.
Sherlock ging nicht auf meine Bemerkung ein, sondern ließ sich direkt auf dem Stuhl mir gegenüber fallen.
"Was willst du, Sherlock?", fragte ich entnervt. "Ich habe wirklich Besseres zu tun, als mich an deinen neuerdings täglichen spontanen Besuchen zu erfreuen."
Sherlock verschränkte die Arme wie ein beleidigter Schuljunge. "Wenn du unser Gespräch gestern Abend nicht einfach beendet hättest, müsste ich dich auch nicht heute in deinem Büro aufsuchen", beschwerte er sich.
"Nun, offenbar wollte ich dieses Gespräch wohl nicht mit dir führen", entgegnete ich.
"Wo hast du denn eigentlich deinen Schoßhund gelassen?", fragte ich dann, da ich wusste, dass Sherlock bei diesem Thema sensibel reagieren und mich nicht weiter wegen des gestrigen Abends nerven würde.
Als er nicht antwortete, fügte ich hinzu: "Ich rede von John Watson"
Sherlock knirschte verärgert mit den Zähnen. "Das ist mit sehr wohl bewusst. Ich sehe mich aber nicht genötigt, auf deine sinnlosen Sticheleien einzugehen, nur weil du nicht über das Thema reden willst, weswegen ich hier bin."
Er schnaubte. "Und überhaupt - John ist nicht mein Schoßhund!"
Ich hob die Augenbrauen und tat gespielt überrascht. "Nicht? Gut, dass du das weißt. Ich hatte schon befürchtet, dich darüber aufklären zu müssen, dass er jetzt ein verheirateter Mann ist und keine Zeit mehr für deine Kindereien hat"
Für einen kurzen Moment trat ein schmerzlicher Ausdruck in Sherlocks Augen und ich hatte Angst, zu weit gegangen zu sein.
Doch wieso musste mein Bruder John Watson auch in jede Angelegenheit mit einbeziehen? Noch dazu, wenn es so eine private war.
Sherlock räusperte sich.
"Also? Wirst du mit ihm reden? Du weißt, dass dieser ganze Fall von dir abhängen könnte"
Ich schluckte.
Sherlock hatte Recht. Auch wenn ich das nicht hören wollte.
"Ja", antwortete ich viel entschlossener, als mir gerade zu Mute war. "Ich werde gleich morgen früh zum Belmarsh-Gefängnis fahren und versuchen, etwas aus ihm herauszubekommen"

Mystrade - One Call Away (Sherlock)Where stories live. Discover now