🎄Blue Christmas Special🎄

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Mycroft POV

Nachdem ich bereits zum fünften Mal meine Blue Christmas Schallplatte auflegte, fühlte ich mich langsam doch ein wenig melodramatisch.
Und da mich dieser Charakterzug etwas zu sehr an Sherlock erinnerte, nahm ich die alte Vinyl-Scheibe wieder vom Plattenspieler herunter und lauschte einigen Minuten der Stille.
Andererseits hatte ich allen Grund dazu, melodramatisch zu sein.
Denn mittlerweile war ich mir nicht einmal mehr sicher, ob ich das mit Greg wieder hinbekommen würde.
Es war ja nicht so, als ob wir früher nie gestritten hätten oder manchmal so unterschiedlich waren, als kämen wir aus zwei komplett verschiedenen Welten.
Aber aktuell hatte ich nicht die leiseste Ahnung, was in Greg vorging.
Zwar war das wohl bei den meisten Ehepaaren so. Menschen neigten nun einmal dazu, nur sich und ihre eigenen Ansichten zu verstehen und nach einer gewissen Zeit, die sie mit jemandem verbrachten, immer mehr zu kritisieren und immer weniger Kompromissbereitschaft zu zeigen.
Laut aktuellen Studien ließ sich jedes dritte Ehepaar scheiden und statisch gesehen war es wohl nicht unwahrscheinlich, dass Greg und ich eines dieser Paare waren.
Ich hatte bereits einmal versucht mit meinem Bruder zu reden, allerdings war Sherlock wohl selbst ein hoffnungsloser Fall, was Liebesbeziehungen anging, und so hatte er nur ziemlich idiotische Ratschläge für mich gehabt.
Es war ein wenig unangenehm gewesen, als dann auch noch John Watson in die Küche geplatzt war und sich ebenfalls in das Gespräch eingemischt hatte - wobei ich zugeben musste, dass es mir sogar ganz gut getan hatte, einige beruhigende Worte von John zu hören. Und höchstwahrscheinlich hatte er sogar ausnahmsweise Recht...
Als dann jedoch noch Mrs. Hudson neugierig ihren Kopf in die Küche gestreckt hatte, wurde es mir zu viel und ich hatte mich mit einem knappen 'Guten Abend' verabschiedet.
Auf Johns Rat hin, hatte ich mit Greg, der, weil er Abstand gebraucht hatte, in seine alte Wohnung gezogen war, ein Treffen vereinbart.
Wir hatten uns bereits seit einigen Wochen nicht mehr gesehen und viel Zeit zum Nachdenken gehabt - über uns, über die aktuelle Situation und darüber, ob oder wie wir es wieder hinbekommen konnten.
Natürlich hatte ich mit dem Gedanken gespielt, dass eine Trennung möglicherweise das Beste für uns beide sein könnte, denn man musste rational gesehen jede Möglichkeit durchspielen.
Doch dabei war mir bewusst geworden, wie sehr ich Greg liebte, wie er ich ihn brauchte und wie sehr ich ihn in meinem Leben wollte.
Irgendwie mussten wir es einfach wieder hinbekommen...!
Doch nach unserem Treffen, bei dem wir gemeinsam durch die eisige Kälte des vorweihnachtlichen Londons spaziert waren, hatte ich das Gefühl, jemand hätte mir den Boden unter den Füßen weggezogen.
Greg war der festen Ansicht gewesen, dass wir Weihnachten getrennt verbringen sollten und dass es besser wäre, erst einmal getrennte Wege zu gehen.
Er hatte zwar keine dirkete Trennung vorgeschlagen, doch ich ahnte, worauf es hinauslief.
Doch das konnte es doch nicht einfach gewesen sein... oder?
Ich entschied mich, die Schallplatte nun doch erneut aufzulegen.
Ohne dass ich etwas dagegen tun konnte, traten Tränen in meine Augen und ich erinnerte mich an das Gespräch mit meinem Bruder, in dem ich ihm versichert hatte, dass ich nicht einsam war.
Damals hatte ich Sherlock belogen.
Aber nun schaffte ich es nicht einmal mehr, mich selbst zu belügen.
Ich hatte mich noch niemals in meinem Leben so einsam gefühlt, wie jetzt gerade.
Selbst vor der Sache mit Greg.
Und das war das eigenartige: Bevor ich Greg getroffen hatte, hatte ich nichts in meinem Leben vermisst. Zumindest nicht bewusst.
Doch nun konnte ich mir ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen.

~

Lestrade POV

Während aus meinem alten Radio, das meistens so schlechten Empfang hatte, dass es durchgehend rauschte, eine Coverversion von Blue Christmas erklang, starrte ich aus dem Fenster und sah dem Schneeregen beim Fallen zu.
Meine kahle Wohnung wirkte heute am 24. Dezember noch trister als bisher und ich musste an mein letztes Weihnachten mit Mycroft denken.
Wie glücklich wir gewesen waren und wie wir den Schneeflocken vom Fenster aus zugesehen hatten.
Dieses Jahr gab es keine weiße Weihnacht.
Und keinen Mycroft, mit dem ich diese verbrachte.
Langsam fragte ich mich, wie es überhaupt so weit gekommen war. Doch mir fiel beim besten Willen keine Antwort darauf ein.
Bis vor kurzem war noch alles gut gewesen und dann auf einmal hatte sich etwas zwischen uns verändert.
Ich konnte nicht mal richtig sagen, was es war.
Ich warf einen Blick auf den Bildschirm meines Handys, als dieses vibrierte.
Es war John, der mich bereits zum wiederholten Mal zu sich und Sherlock in die Bakerstreet einlud, damit ich Heilig Abend nicht alleine verbringen musste.
Zugegebenermaßen war ich ein bisschen enttäuscht, dass es nicht Mycroft war, dabei war ich der gewesen, der auf Abstand hatte gehen wollen.
Doch je mehr ich darüber nachdachte, desto weniger wusste ich, was ich eigentlich wollte.
Auch wenn mir Mycroft unglaublich viel bedeutete, hatte ich das Gefühl, dass sich das mit uns einfach nicht mehr ganz richtig anfühlte. Denn wenn ich Mycroft nicht mehr glücklich machen konnte, war es vielleicht besser, das ganze zu beenden.
Als mein Telefon um 22 Uhr plötzlich klingelte, nahm ich überrascht, zu dieser späten Stunde noch angerufen zu werden, ab.
"Hallo?"
Als niemand antwortete, runzelte ich die Stirn.
"Hallo?!", fragte ich noch einmal lauter.
Am anderen Ende der Leitung räusperte sich jemand.
"Hallo Greg. Ähm, ich bin's. Mycroft."
Ich hatte seine Stimme bereits erkannt und seufzte, da ich es für keine gute Idee hielt, mit ihm zu reden, wenn ich nicht wusste, was ich denken geschweige denn sagen sollte.
"Ich weiß, du wolltest Abstand. Und du hast gesagt, du brauchst Zeit. Aber..."
Mycroft schluckte.
"Ich muss dich einfach sehen. Ich weiß, wir können das wieder hinbekommen. Bitte, Greg. Lass es uns versuchen"
Ich schüttelte langsam den Kopf.
"Ich weiß nicht, Mycroft..."
"Tja, ich weiß aber."
Als es auf einmal an meiner Wohnungstür klingelte, realisierte ich nicht sofort, dass es Mycroft war, öffnete die Tür mit dem Telefon in der Hand und stand perplex meinem Ehemann gegenüber.
"Du bist hergekommen...!", stellte ich überrumpelt fest, was eine ziemlich dumme Aussage war, da das ja offensichtlich war.
"Ich konnte nicht anders", erwiderte Mycroft entschuldigend.
"Komm rein", murmelte ich und schloss hinter Mycroft die Wohnungstür.
"Ich weiß, du hast gerade Stress mit dem Job und dass dir gerade alles zu viel wird", fing Mycroft an.
"Doch genau deswegen will ich doch für dich da sein!"
"Aber ich weiß verdammt nochmal nicht was ich will", erklärte ich verzweifelt und kämpfte gegen die Tränen an. "Ich meine, ich liebe dich... aber ich könnte es nicht ertragen, wenn ich dich unglücklich machen würde."
"Das tust du aber nicht!", rief Mycroft aufgebracht.
"Du kannst nicht leugnen, dass es in letzter Zeit ziemlich schlecht lief, oder?", fragte ich nur. "Und vielleicht habe ich mich ja verändert. Vielleicht passt es nicht mehr"
"Vielleicht hast du aber auch nur vergessen, wer du bist", erwiderte Mycroft. "Vielleicht brauchst du mich gerade deswegen mehr denn je. Denn ich kann dir helfen, das wieder zu erkennen. Wir können das hinkriegen"
Zögernd biss ich mir auf die Lippe.
"Ich weiß nicht. Ich glaube nicht, dass..."
"Lass mich zu Ende reden", unterbrach mich Mycroft ungeduldig.
Ich hielt inne und sah ihm das erste Mal seit einiger Zeit wieder direkt in die Augen.
Darin spiegelte sich ein Schmerz, den ich lange nicht mehr bei ihm gesehen hatte. Und ich konnte nicht fassen, dass ich der Grund dafür war!
"Ob du es glaubst oder nicht, du bist das Beste, was mir je passiert ist! Und tja, ich bin das Beste, was dir passiert ist - streite das nicht ab. Du weißt, dass es wahr ist."
Ohne dass ich es wollte, liefen mir Tränen die Wangen hinunter.
"Mycroft...", hauchte ich leise.
"Greg", erwiderte er mit einer solchen Zuneigung in der Stimme, dass ich lächeln musste.
"Du gibst wirklich nicht so schnell auf, oder?", fragte ich schmunzelnd. "Sherlock hatte wohl Recht, als er das gesagt hat."
Mycroft lächelte nun ebenfalls.
"Uns würde ich niemals aufgeben."
Er sah mich eindringlich an. "Bitte tu du das auch nicht!"
Ich nickte langsam.
Das Leben konnte manchmal wirklich schwer sein, aber egal wie aussichtslos die Situation schien, zu zweit war es wenigstens etwas leichter.
"Ich liebe dich, Mycroft Holmes-Lestrade", sagte ich leise und meine Stimme zitterte.
Mycroft zog mich zu sich heran.
"Ich liebe dich auch, Greg Holmes-Lestrade"
Ich betrachtete ihn lächelnd und fragte mich, womit ich jemanden wie ihn verdient hatte.
Dann schloss ich die Augen, legte ich meine Lippen auf seine und genoss einfach den Moment, während aus meinem Radio die ersten Takte von All I want for Christmas is you erklangen.

Mystrade - One Call Away (Sherlock)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt