Lestrade POV

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Ich konnte an nichts anderes mehr denken als den Kuss von gestern Abend.
Irgendwie hatte ich einfach aus einem spontanen Gefühl heraus gehandelt und auch wenn ein kleiner Teil von mir das Hintergehen meiner Frau bereute, war ein anderer einfach nur glücklich.
Ich holte mein Handy heraus und öffnete sogleich den obersten Chat.
Guten Morgen, Mycroft
Gerade als ich aufstehen und mich in die Dusche begeben wollte, erschien eine Nachricht auf meinem Handy.
Ich schmunzelte.
Das ging ja schnell.
Guten Morgen, Greg
Ich lächelte und fragte mich, wie es Mycroft wohl nach den gestrigen Ereignissen ging. Er schien nicht abgeneigt von dem Kuss, aber bei ihm konnte man ja nie wissen...
Wie geht es Ihnen?, fragte ich.
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten.
Ich denke es ist etwas unangemessen uns weiterhin zu Siezen... nach den gestrigen Geschehnissen
Eine weitere Nachricht folgte.
Aber mir geht es blendend. Danke der Nachfrage ;)
Ich hatte noch nie gesehen, dass Mycroft Holmes einen Smiley benutzte und es irritierte mich so sehr, dass ich noch einmal sicher ging, ob ich auch wirklich gerade Mycroft geschrieben hatte.
Dann breitete sich ein verschmitztes Lächeln auf meinem Gesicht aus.
Er war wohl definitiv nicht abgeneigt...
Während ich den ganzen Tag über Mycroft und den Zwinkersmiley grübelte, vergaß ich fast, dass ich heute an meinem freien Tag meine Weihnachtseinkäufe machen wollte.
Sherlock hatte mich eingeladen, Heiligabend bei ihm zu verbringen - okay, eigentlich war es John gewesen, der Sherlock mit sehr eindeutiger Zeichensprache zu verstehen gegeben hatte, dass er mich und Molly einladen sollte.
Und da ich nicht wirklich begeistert von Grace' Weihnachtsplänen, zur Grafschaft Dorset zu fahren, war, war dies eine gute Ausrede gewesen, um wenigstens nur die folgenden Feiertage in dem nicht sehr einladenden Anwesen von Grace' Familie zu verbringen.
Wenn ich ehrlich war, hoffte ich außerdem darauf, Mycroft ebenfalls bei Sherlock anzutreffen, doch dieser schien im allgemeinen nicht sehr begeistert von Weihnachten zu sein - schon gar nicht von einer Feier mit seinem kleinen Bruder.

Ich würde dich gerne wiedersehen
Schon als ich die Nachricht in mein Handy tippte, bekam ich ein schlechtes Gewissen.
Auch wenn Grace mich betrogen hatte, konnte ich ihr doch nicht dasselbe antun.
Trotzdem machte mein Herz einen Sprung, als ich nach ein paar Stunden wieder auf mein Handy schaute, und sah, dass Mycroft geantwortet hatte.
Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist.
Was? Ungläubig ließ ich mich in den Sessel sinken und starrte auf den Bildschirm.
Doch dort stand es schwarz auf weiß.
Es tut mir leid, Greg. Aber ich befürchte, es wird kein weiteres Treffen geben.
Verzweifelt warf ich mein Handy zur Seite und vergrub den Kopf in den Händen.
Wo hatte ich mich da bloß reingeritten?
Meine Frau hatte mich betrogen und nun wurde ich von dem nächsten abserviert.
Ein hysterisches Lachen entfuhr mir.
Wie hatte ich nur glauben können Mycroft Holmes hätte Gefühle für mich?
Wie hatte ich glauben können, dass er sich ernsthaft für mich interessierte?
Denn wieso sollte er auch?
Ich fuhr mir erschöpft durch die Haare.
Es war dumm, sich jetzt Vorwürfen zu machen oder so auszuticken.
Genau genommen war es doch gut, dass ich nun Klarheit hatte.
Und außerdem war es Grace gegenüber nicht fair gewesen.
Ich sollte ihr endlich verzeihen.
Und die Weihnachtsfeier in der Bakerstreet sollte ich wohl ausfallen lassen.
Ich hörte ein leises Brummen und fischte mein Handy aus der Lücke zwischen Sofa und Sessel.
Es war eine Nachricht von John.
Für einen kurzen Moment spürte ich einen Stich in meiner Brust, weil es nicht Mycroft war.
Doch natürlich war es nicht Mycroft!
Ich öffnete den Chat.
Sie kommen doch morgen, oder?
JW
Seufzend tippte ich die Antwort ein.
Es würde ja doch nichts bringen, nicht zu kommen. Davon würde dieses Weihnachten auch nicht besser werden.

"Frohe Weihnachten", erwiderte ich an Molly gewandt.
"Das Kleid steht Ihnen übrigens sehr gut"
Sie errötete und lächelte ein wenig schüchtern.
"Vielen Dank"
Ich schenkte Molly ebenfalls ein Glas von dem Wein ein, von dem ich definitiv schon zu viel getrunken hatte.
Aber so ließen sich Sorgen nunmal am leichtesten verdrängen.
"Hier bitte"
"Danke.", antwortete Molly und nahm das Glas entgegen.
"Ich hatte nicht erwartet, Sie hier zu sehen.
Wollten Sie nicht über Weihnachten mach Dorset fahren?", erkundigte sie sich höflich.
"Morgen früh fahre ich mit meiner Frau. Wir haben uns vertragen. Es ist alles wieder in Ordnung.", sagte ich mit einem erzwungenen Lächeln und die Lüge kam mir viel zu leicht von den Lippen. Denn genau genommen war _überhaupt nichts_ in Ordnung.
"Nein, sie schläft immernoch mit dem Sportlehrer", rief Sherlock.
Verblüffte starrte ich ihn an, während mein falsches Lächeln immer mehr schwand.
Also hatte sie in letzter Zeit doch nicht bloß viel für die Arbeit zu tun gehabt!
Wütend lief ich in die Küche und goss mir etwas ein, das stark nach Alkohol roch, von dem ich jedoch keine Ahnung hatte, was es war.
Wieso hatte ich das nicht früher gewusst?
Vielleicht hatte Mycroft bloß kein weiteres Treffen gewollt, weil er nicht mit einem verheirateten Mann ausgehen wollte oder weil er dachte, er sei bloß ein Trostpflaster für mich.
Vielleicht war es noch gar nicht vorbei.
Meine Gedanken überschlugen sich und ich hörte wie Sherlock irgendwelche unmöglichen Bemerkungen über Johns Schwester machte.
Schnell nahm ich ein weiteres Glas, goss etwas von der hellbraunen Flüssigkeit ein und drückte es Sherlock in die Hand.
"Halten Sie den Mund und trinken Sie was!"

Mystrade - One Call Away (Sherlock)Where stories live. Discover now