Newsboyhat

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Die Straßen glitzerten regelrecht in der Nacht. Die Straßenlaternen verbreiteten gelbes Licht aus alten Glühbirnen hinter staubigen Gläsern, die Läden erleuchteten die Straße zusätzlich durch ihr Schaufensterlicht. Das nasse Kopfsteinpflaster, vom Regen frisch gewaschen und schon wieder mit Schlamm verdreckt, reflektierte das warme Licht.

Es war schön, wieder all diese herausgeputzten Läden auf dieser schillernden Straße zu sehen, nachdem, was in den letzten Jahren alles passiert war. Die Hilfe der Kriegssieger hatte Wunder gewirkt und das Land in einem ganz anderen Licht wieder erscheinen lassen.

Meine Generation war im Krieg geboren worden, wir waren Hunger, Leid und triste, zerstörte Landschaften von Klein auf gewohnt gewesen. Jetzt diese Stadt zu sehen, in der sich frohe Menschen tummelten, mit einem Lächeln auf dem Gesicht, wohlgenährt und keine Gefahr im Hinterkopf habend, fühlte sich an wie das Paradies selbst.

Und irgendwo in diesem Paradies, unter den Menschen, Rikschas, Kutschen und ganz modernen Autos, hatte ich jemanden gesehen, der mir wie ein Engel vorgekommen war. Den Glauben an sie hatte ich eigentlich im Krieg verloren, aber meine Augen schienen mir das Gegenteil beweisen zu wollen. Gekleidet, wie ein Knabe, in weiten, braune Hosen und ein mottenzerfressenes Jacket, und mit einer brauen Mütze auf dem Kopf, unter der schwarze Haare hervorblitzten.

Eigentlich sah hier fast jeder so aus. Ich weiß selbst nicht, warum mir ausgerechnet dieses Individuum ins Auge gefallen war. Ohne mir wirklich bewusst darüber zu werden, fing ich an, die Verfolgung aufzunehmen. Meine neuen Lederschuhe trugen mich über das schlammige Kopfsteinpflaster, mein Kopf war hoch erhoben und schaute sich die Schilder der Läden an.

Schneider, Uhrenmacher, Schuster, Bäcker, Juwelier, Kaffeehaus, Bücherei, alles, was zu einer funktionierenden Infrastruktur eben gehörte. Je mehr Geschäfte öffnete, desdo mehr Leute liefen durch die Straßen, desdo mehr Leben wurde in die ehemals zerbombe Stadt gehaucht. Der Prozess war interessant zu beobachten.

Die Leute um mich herum waren glücklicher. Gesprächsfetzen handelten nicht mehr von gefallenen Familienmitgliedern oder der zerbombten Baracke. Den Leuten ging es nun so gut, sie unterhielten sich über die Leben der Anderen.

Die braune Mütze war mir auf einmal viel näher. Ein paar Meter vor mir stand seine Besitzerin, denn diese vollen Lippen, zu einem frechen schmunzeln verzogen, die Stupsnase mit Sommersprossen und diese funkelnden Augen konnten nur einer jungen Frau gehören. Sie stand an einem Schaufenster, versuchte ihr Gesicht damit zu verbergen. Versteckte sie sich etwa?

Neugierig näherte ich mich ihr, stellte mich unauffällig neben sie an die Scheibe und warf einen Blick auf die Kinderspielzeuge, die dort ausgestellt waren. Wenn meine Mutter mich so sehen würde, würde sie sofort zu ihren Freundinnen rennen und davon erzählen, wie ich bereits Familienplanung betrieb und meinen gefallenen Vater stolz machen würde.

In Wahrheit betrachtete ich meine Spiegelung in der Scheibe und plante, meine Lungen ein Stück mehr zu zerstören, denn meine Hand wanderte zu der Manteltasche mit den Zigaretten (Importware aus Deutschland, beste Qualität). Die junge Frau neben mir derweil starrte akribisch auf einen der Teddybären, als hinge ihr Leben davon ab. Mit ruhigen Bewegungen nahm ich mir eine Zigarette aus dem Etui und wühlte mit der freien Hand nach den Streichhölzern.

Mit der Zigarette zwischen den Lippen und dem Etui wieder an seinem Platz, suchte ich nun meine anderen Manteltaschen nach den Streichhölzern ab, fand sie aber nicht. Einen Moment hielt ich inne. Die junge Frau neben mir bewegte sich ebenfalls nicht.

Mich jetzt umzudrehen, um einen Passanten nach Feuer zu fragen, erschien mir als falsch. Vielleicht war in dieser Zeit der Engel schon weggeflogen. Zögernd drehte ich also meinen Kopf zu ihr.

Oneshot FreiheitWhere stories live. Discover now