Albtraum

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An und für sich ist so ein Nachtalb ja ein ganz hübsches Wesen. Es bringt mir eine nette Abwechslung in die Träume, die ich nachts normalerweise so habe.

Aber es ist doch ungemein lästig, wenn es meint, mich auch zu Zeiten zu belagern, in denen ich nicht am Schlafen bin. Es hütet meine Schulter, drückt sie unangenehm herunter, denn wenn ich vom Wahnsinn befallen durch die Straßen renne, ist meine Brust ein nicht ganz so sicherer Platz.

Mein Atem geht viel zu schnell, die Lungen brennen, und die Dusche für heute habe ich soeben gratis unter freiem Himmel erhalten. Fast erleichtert werfe ich mich gegen die Eingangstüre des vermoderten, unkreativen Nachkriegsbaus mit viel zu vielen Stockwerken, die Beine zittern.

Ich sehe mich um, erst nach rechts, aber da sitzt immer noch das verdammte Nachtalb, dann nach Links, und verdammt, ich habe sie immer noch nicht abgehängt. Mit vereinten Kräften und schmerzender Schulter drücke ich die Tür auf, lasse sie fallen, stehe in einem eintönigen, schimmeligen Treppenhaus.

Geschliffene Waschbetonplatten sollen einen schönen Boden darstellen, Müll liegt in den Ecken. Eine Spinne seilt sich zwischen kaltem Zigarettenrauch und aufgegebenen Träumen ab. Mein Blick wandert zu den überquellenden, versifften Briefkästen der wahrscheinlich schon längst toten Mieter, ehe ich die Treppen erklomm.

Ein freches Nachtalb auf der Schulter trägt nicht dazu bei, dass die Beine aufhören, nach der ersten Treppe zu zittern. Mit jeder Stufe verlangsamt mich mein Tempo. Der Aufzug ist keine Möglichkeit. Wozu den auch reparieren, wenn alle potentiellen Nutzer in ihren Wohnungen am vergammeln sind?

Im achten Stock, zweite Tür links, ist endlich meine Wohnung. Dem Teufel sei Dank, denn auf der nächsten Treppe saß Gevatter Tod und grinste mich abwartend an. Mit eiskalten Fingern holte ich den Schlüssel hervor, stolperte gegen das feuchte Holz meiner Wohnungstür und traf das Schloss nach dem dritten Anlauf.

Zwei Sekunden später taumelte ich in den Flur hinein. Die Tür klickte und ich atmete erregt die verbrauchte Luft ein, die nach meinem eigenen Schweiß und der Anwesenheit unerwünschter Wesen roch.

Tür zu, Gevatter Tod weg, aufgegebene Träume weg, alle weg. Außer der Nachtalb. Der relaxte immer noch auf meiner Schulter und spielte mit meinen Haaren. Der Eigengeruch meiner Wohnung verstärkte sich. Es war weder warm noch einladend zwischen den schäbigen Papierwänden, aber hier ließen mich die Seelen der erfrorenen Obdachlosen wenigstens in Ruhe. Fast einen Hauch entspannt seufzte ich und zog mir die Jacke aus, ließ diese im Vorbeigehen auf ein paar Hausgeister (tote Vormieter) fallen und machte mich daran, mein Schlafzimmer zu erreichen.

Eine Papierwand weiter lag ich auf einer muffigen Matratze und vollgeheulten Bettlaken, schaute zur Decke und holte verbrauchte Luft. Fenster aufmachen kann ich nicht, außer ich habe Lust auf eine spontane Hausparty mit ein paar Banshees, Harpyien oder anderen Mistviechern, die glatte Wände hochklettern oder fliegen konnten. Die haben immer Bock auf Feiern.

Sie alle warten darauf, ihre Glubschaugen klebten an den Fenstern und schauten hinein wie Kaugummis am Boden eines Mülleimers.

Aber es ist immer scheiße, der Gastgeber zu sein. Deshalb bleiben die Fenster zu und die Luft verbraucht.

Das Nachtalb hat es sich auf meiner Brust bequem gemacht und grinst mich glücklich an. An den Wänden hört man die Seelen der verstorbenen Mieter klopfen, wenn man genau hinhört, hört man sie im Selbstmitleid versinken.

Mein Blick gilt der Decke, wo sich in wabernden schwarzen Schwaden Albträume, depressive Anfälle und sonstiges Gesindel herumtrieb. Unheilvoll Kloß-im-Hals-verursachend schauerten sie mir entgegen. Mein Magen knurrte, die Augen waren trocken, mir war kalt und meine Muskeln taten weh.

Ich spürte die Dämonen durch mein Zimmer tanzen, den Nachtalb auf meiner Brust rummoren. Immerhin die hatten ihren Spaß.
Die Müdigkeit kroch mir die Knochen hinauf wie Luzifer, dieser aufdringliche Arschkriecher, es tat, wenn ihm langweilig war, und langsam begannen sich die Gedanken in meinem Kopf zu einem unübersichtlichen Strang zu zwirbeln. Tausend Dinge gleichzeitig gingen mir durch den Kopf, der Nachtalb auf meiner Brust ergötzte sich daran, ein allabendlicher Prozess.

Ein freudloses Lachen entkam meiner Kehle. Ich lachte über das Paradoxon, dass ich selbst darstellte. Es ist noch nicht lange her, da hatte ich mich in Einsamkeit verloren und mich nach jemanden an meiner Seite gesehnt, und jetzt warfen sich sämtliche Monster an mich ran und ich war froh, wenn ich zwei Minuten mal kein grauenvolles Flüstern im Ohr hatte.

Aus dieser Situation würde ich wohl nie wieder entkommen, Schicksal hat seit Neustem ein neues Spielzeug, dass meinen Namen trägt. Irgendwo ist es doch schon eine Ehre, aber trotzdem ungemein mies. Das Schicksal raubte mir den Lebenswillen.

An einem Abend wie diesem stellte ich mir wieder aufs Neue die Frage, warum andere Menschen den Tod als etwas so Grausames ansahen, wenn er doch eigentlich ganz nett war und nur zweimal in der Viertelstunde in mir den Willen weckt, meine Seele für immer ihm zu überlassen.


Written 2019, published 2020

Oneshot FreiheitWhere stories live. Discover now