Chaos

7 1 0
                                    

Eine moderne Großstadt bei Nacht war schön. Lichter überall, man konnte an ihnen sehen, wie modern die Häuser waren, sie ließen stimmlose Kommunikation zu, manipulierten den Schlafrhythmus. Die Lichter schafften eine Atmosphäre, die die Stadt erst lebendig werden ließen, sie pulsieren ließen und ihr diesen einzigartigen Charakter verlieh.

Bei Tag fühlte ich mich in dieser Stadt fremd. Sie wirkte nicht so eigenständig, so einzigartig, so wie sie selbst. In der Nacht hingegen fühlte ich mich an keinem anderen Ort der Welt geborgener, trotz aller Gefahren, die die Gebäude mit sich brachten.

Die Nacht war noch jung, noch herrschte reichlich Betrieb auf den Straßen und in den Bürotürmen brannte noch Licht. Die Menschen, das Blut dieser Stadt, handelte noch mit Bewusstsein.
Ich schlang meine grüne Bomberjacke enger um mich, als ein kalter Windhauch durch meine kurzen, weißgebleichten Haare fuhr. Mit klammen Händen fischte ich die Zigarettenschachtel hervor und steckte mir einen Glimmstängel zwischen die Lippen.

Die Flamme des Feuerzeugs, von meiner Hand vom Wind abgeschirmt, war viel zu hell und warf einen flackernden, kurzen Schein auf mein eingefallenes, symmetrisches Gesicht. Ich kniff die Augen kurz zusammen, bis ich den ersten Zug genommen hatte.

Die Trockenheit des Rauchs erfüllte und vergiftete mich, und ich genoss es. Seufzend steckte ich das Feuerzeug weg und atmete aus.

Dann sah ich nach unten. Auf der anderen Straßenseite erstreckten sich moderne Bürogebäude eines wohlhabenden Unternehmens. Zur Straße hin waren die Büros ganz oben auch auf dem Dach verglast und in Weiß und Orange ausgeleuchtet. In einem der Büros lebte einer der Anzugpinguine seine Affäre mit der Sekretärin aus, in dem nächsten zog er 'ne Line. Der Typ im dritten Büro war disziplinierter als die anderen, denn er und seine Sekretärin hielten respektvollen Abstand und die einzige Droge im Büro war eine Tasse Kaffee, so gut konnte ich dort hineinsehen.

Vielleicht wirkte ich wie ein Spanner, aber so kam ich mir nicht vor. Selbst schuld, wer in verglasten Büros eine Straftat beging oder seine Sekretärin vögelte. Ich grinste abfällig. Diese Oberschicht war doch viel zu verdorben.

Gut, dass ich deren Stolz jetzt ein bisschen anknacksen würde. Ich freute mich schon darauf, beim bloßen Gedanken daran bekam ich Gänsehaut.

Kaum hatte ich die Kippe zu Ende geraucht und auf die Straße unter mir geschnipst, machte ich mich daran, auf die andere Straßenseite zu kommen. Eine schmale Metallstange, an der Werbebildschirme hingen, verband die beiden Gebäudeketten miteinander.

Mit einem irren Grinsen auf den Lippen begann ich, darauf zu balancieren. Zehn Meter unter mir erstreckte sich eine gut befahrene, mehrspurige Straße. Trotz der Autoscheinwerfer, Straßenlaternen und Werbetafeln verschwammen meine abgelaufenen, schmutzigen grauen Sneaker und meine schwarze Jeans mit den löchrigen Knien im Bild vor meinen Augen. Mit kleinen, ausschweifenden Schritten bewegte ich mich auf dem dünnen Rost fort.
Der Gedanke, dass ich jeden Moment runterfallen und sterben könnte, erfüllte mich mit Adrenalin. Es peitschte mich auf, besser als jede Droge oder Musikrichtung.

Das rote Bandana an meinem Gürtel flatterte in der leichten Brise, die über den Häusern schwebte, sie wehte mir den Pony aus dem Gesicht und Abgase in die Nase.

Ich liebte es.

Viel zu schnell stießen meine Füße auf Beton und ich war auf der anderen Seite angekommen, kurz durchfuhr Enttäuschung meinen Körper. Mit lässigen Schritten bewegte ich mich vom Abgrund weg, fuhr mir durch die strohigen Haare, und wurde beim Anblick der verglasten Büros sofort wieder aufgeregt. Ich griff hinter mich, zog eine kleine Pistole aus dem Gürtel und ging mit großen, federnden Schritten auf die Glasdächer zu. Wieder schlich sich das irre Grinsen auf meine makellosen Gesichtszüge.

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 17, 2021 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

Oneshot FreiheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt