Offstage

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Schwitzend, sodass es mir unangenehm in die Nase stieg, Hell strahlend, als würde die Glücklichkeit die Müdigkeit einfach zur Seite schieben, und herzlich, als würden alle seine ermüdeten Knochen und Muskeln mich mit letzter Kraft umklammern, fiel er mir um den Hals.

„Geschafft", murmelte er und hörte sich auch genauso an, ich drückte ihn Lächelnd genauso fest an mich wie er mich an sich. „Du hast dich mal wieder selbst übertroffen", erwiderte ich und er löste sich von mir. Das unangenehme Drücken seiner vielen Nieten auf der gekürzten Lederjacke auf meiner Brust verschwand.

Seine Augen waren verschleiert von Glück, Spaß, Dankbarkeit und diesem einzigartigen Gefühl, dass ein Bühnenmensch auf der Bühne fühlte und süchtig machte. Geistesabwesend grinsend starrte er Löcher in die Luft, löste sich ganz von mir und ließ sich auf einen Stuhl fallen, wo er den Kopf in den Nacken legte und atemlos auflachte.

Immer, wenn ich ihn so sah, flammte ganz kurz der Neid in mir auf. Ich wollte mich auch so unglaublich fühlen wie er, wollte auch wieder auf die Bühne gehen, wollte hinterher genauso dämlich und benommen in die Gegend starren. Ich schürzte die Lippen und schob den Neid beiseite.

Er war dafür besser geeignet als ich und ich hatte hier auch Spaß. Ich sollte mich nicht beschweren.

Wortlos reichte ich ihm eine Flasche Wasser entgegen, die er mir beinahe aus den Händen riss, und machte mich dann daran, zwei Wattepads mit Make-up-Entferner zu befeuchten, damit er sich abschminken konnte. Zu schade, dass ich jetzt kein Foto von ihm machen konnte, denn dies Mal hatte ich sein Make-up so gut hinbekommen, dass er... anders gut aussah.

Während er trank, Luft holte, aufgeregt vor sich hin brabbelte und anscheinend vom Auftritt erzählte und sich auch endlich abschminkte, räumte ich mein Zeug zusammen. Make-up Utensilien, Getränke, Snacks, Erste-Hilfe-Set, Klamotten. Ich hatte damit auf ihn gewartet, damit ich nicht untätig daneben stand, wenn er sich aufbruchtüchtig machte.

Ich half ihm, sämtliche sperrige und unbequeme Accessouirs zu entfernen, die Lederjacke auszuziehen und einen weiten Kapuzenpullover überzuziehen. Mit einem Taschentuch tupfte ich ihm anschließend sachte den Schweiß von der Stirn, während er es sich mit geschlossenen Augen gefallen ließ. Wie ein junger Gott sah er aus, und ich kam mir vor, wie sein armseliger Lakai.

Aber das war mein Job. Ich bekam Geld dafür, ihm den Schweiß von der Stirn zu tupfen, ihm beim Umziehen zu helfen und ihn für die Bühne hübsch zu machen. Vielleicht hätte ich all das sogar gemacht, wenn ich kein Geld dafür bekäme, meine Arbeit machte mir Spaß.

Er blieb noch eine Weile sitzen und kam wieder zu Atem, ein glückliches, müdes Lächeln lag auf seinen Lippen. Sein Kopf war jetzt voll mit Bildern von seinem Auftritt, von schreienden Fangirls, die ihre Handys hochielten, von den Telepromtern, die ihm die Liedzeilen zeigten, von Lichtern, Geräuschen, Gefühlen und sich selbst.

Ich überließ ihm sich selbst und bepackte mich mit meinen Sachen. Ein Koffer voller Schminke, ein Rucksack mit Klamotten, Wasser und Snacks, Handy, Kopfhörer, Getränk und Jacke. Als ich das Gewicht des Rucksacks auf meinen Schultern spürte, ächtzte ich müde auf und Kniff kurz die Augen zusammen. Zum Glück musste ich ihn nicht lange tragen.

Um uns herum herrschte Chaos. Andere Stylisten und Künstler wuselten um uns herum und machten sich daran, den Raum zu verlassen. Geduldig wartete ich darauf, mich irgendwo in der Reihe vor der Tür einfädeln zu können, und währenddessen tauchte er neben mir auf.

Ich sah lächelnd zu meinem vorübergehenden Schützling auf und bekam promt ein Grinsen zurück. Er war nicht mehr geschminkt, seine Haare waren durcheinander anstatt glatt gegehlt und sein Hoodie ließ ihn cozy und soft wirken. Sein Gesicht war so symetrisch und hübsch anzusehen, dass ich ihn stundenlang hätte anstarren können.
Im Internet sah ich so oft Reaktionen von Fans, die vielleicht übertrieben, aber irgendwo verständlich waren, und immer, wenn ich das sah, freute ich mich darüber, derjenige zu sein, der ihn so eingekleidet und aufgehübscht hatte. Die Nächte, in denen ich über einem Hemd ausgerastet bin, weil es nicht so aussah, wie geplant, hatten sich alle gelohnt.

Irgendwann dünnte sich die Karawane aus Künstlern, die den Neben mir grüßten, und anderen Stylisten wie mir aus und er und ich gliederte uns ein. Der Strom trieb uns geradewegs in die Arme seines Managers, und zu dritt gingen wir zu dem Wagen, in dem wir gekommen waren. Dort angekommen ließ ich erleichtert den Rucksack von meinem Rücken und streckte meine Wirbelsäule durch.
Dann sah ich auf und sah, wie er sich den Nacken rieb. Auch er litt Schmerzen, viel mehr als ich und trotzdem sagte er nichts. Ich bewunderte ihn für seine Stärke.

Im Auto saßen wir nebeneinander und hörten auf Kopfhörern Musik, sein Manager fuhr uns in unsere Unterkünfte. Mich zurück zu meinem winzigen Apartment und ihn zurück zu seinem Wohnheim, dass er sich mit anderen Idolen teilte.

Er war müde, irgendwann war sein Kopf auf meine Schulter gefallen. Ich fühlte mich ein wenig stolz, ihm so nah sein zu können, derjenige zu sein, bei dem er sich so wohl fühlte. Eigentlich war unsere Freundschaft gar nicht so vorgesehen, ich war mir nicht mal sicher, ob es eine war. Wir waren praktisch Arbeitskollegen, aber trotzdem begrüßten wir uns mit Handschlag, er fiel mir nach Auftritten immer euphorisch um den Hals, er schlief auf meiner Schulter, ich gab ihm Komplimente, die sich wie schlechte Anmachsprüche anhörten.

Ich wünschte, wir würden uns öfter sehen als nur bei seinen öffentlichen Auftritten, für die ich ihn aufhübschen musste. Ich würde ihn gerne einen Freund nennen dürfen, denn seine Anwesenheit tat mir gut und er war ein angenehmer Mensch.

Irgendwann hielt sein Manager vor dem Wohnungskomplex und schaute zu uns nach hinten. Zaghaft schüttelte ich ihn an der Schulter, bis er sich ächzend aufrichtete und mich mit müden Augen musterte.
„Du musst gehen, achja...", murmelte er im Halbschlaf, und ich lächelte.

„Schlaf weiter, du brauchst es", erwiderte ich bloß, schnallte mich ab und schälte mich aus meinem herrlich warmen Sitz.

Ich öffnete gerade die Tür und wollte gerade eine Verabschiedung verkünden, da sagte er leise, aber ernst: „Danke, für alles."

Mir wurde warm ums Herz und ich drehte mich lächelnd zu ihm um. Mein Kopf antwortete ihm laut brüllend „Digga, das ist mein Job, ich krieg Geld dafür, deine Panikattacken backstage zu beruhigen", aber stattdessen erwiderte ich sanft: „Ich tue es gern."

Ich kam mir ein wenig vor wie in einem Film, als er meinen Blick warm lächelnd erwiderte.

Er ließ mich nicht aus den Augen, bis ich mich verabschiedet und die Tür geschlossen hatte.

Das Auto fuhr weg, und mit ihm die schläfrige, heimelige Atmosphäre einer Rückfahrt. Jetzt atmete ich erstaunlich frische Regenluft ein. Hinter mir lärmte die Straße und vor mir erstreckte sich der Betonklotz, in dem sich meine Wohnung befand.

Gähnend setzte ich mich in Bewegung, um endlich wieder ins Warme zu kommen.

In meiner Wohnung angekommen lehnte ich mich erschöpft an die Haustür und stöhnte erleichtert auf. Der Tag war anstrengend gewesen, ich hatte hart gearbeitet, und doch hatte er mir viel Spaß gemacht.

Mit müden Augen warf ich zum letzten Mal des Tages einen Blick auf mein Handy, und was es mir verkündete, ließ mich trotz der Müdigkeit breit und glücklich grinsen.

Er hatte mir eine Nachricht geschrieben: „Hey, hast du morgen Bock, mich zu treffen?"


Written&published 2020

Oneshot FreiheitWhere stories live. Discover now