Ranch

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Geschäftsleute brauchten auch mal eine Pause, und heute machte ich meine. Zumindest ganz im Stil eines Selbstständigen, jawoll! Selbstständige arbeiten nie und immer, so sagt man es sich, und das stimmte auch. Ich saß im Zug auf dem Weg zu einer Ranch, die Pferde züchtete. Ich wollte mich dort auf die Suche nach ein paar neuen Kutschgäulen für mein Postkutschunternehmen machen, denn in der letzten Zeit war es zunehmend zu Raubüberfällen gekommen. Die armen Viecher waren dabei auch draufgegangen oder in die Freiheit geflüchtet. Auf der Zugfahrt hatte ich ein paar Indianer auf der Jagt gesehen, einer von ihnen saß auf einem Pferd, dass noch sein Kutschgeschirr trug.

Ich hatte mich nicht aufgeregt. Die Ureinwohner wurden eh schon genug von uns Siedlern ausgebeutet, die Pferde konnten sie gut gebrauchen.

Die Zugfahrt wurde mehrfach unterbrochen, weil auf den Gleisen tote Büffel lagen, die ein paar Hobbyjäger von Zug aus geschossen hatten. Totale Verschwendung von Kugeln und Zerstörung der Natur, fand ich, den Indianern gefiel das auch nicht. Aber irgendwann, mit guten drei Stunden Verspätung, kam ich endlich an meinem Zielbahnhof an.

Ich mietete mir ein Pferd, mit dem ich zur Ranch kommen sollte, und ritt im Anbruch der Dunkelheit los. Das arme Tier war völlig nass Geschwitzt, als ich endlich an einen Zaun kam, dem ich folgte, bis ich seinen Eingang fand.

Die Ranch war gut in Schuss, so weit sich das in der Dunkelheit erkennen ließ. Einige Fenster des Hauptgebäudes waren hell erleuchtet und ließen es heimelig und gemütlich aussehen. Ich freute mich darauf, endlich wieder etwas essen zu können und mich in ein Bett legen zu können.

Mein müdes Pferd blieb stehen, als ich es losließ, um die Treppe zur Eingangstür zu erklimmen. Als ich dort anklopfe, wurde mir tatsächlich schnell von einem Hausmädchen aufgemacht und ich wurde empfangen. Das Pferd wurde versorgt und ich platzte ins Abendessen der kleinen Familie hinein.

Es war ein warmer Empfang, selbst das Personal des Hauses erschien mir gut gelaunt. Der Hausherr und seine Frau begrüßten mich mit authentischen Gesichtern, ich kaufte ihnen ihre gute Laune ab. Auch ihre zwei Kinder, ein Sohn von zwölf Jahren und eine Tochter von Einundzwanzig, begrüßten mich höflich und wir aßen zusammen zu Abend. Die Tochter fiel mir ins Auge- sie wirkte neugierig, schien sich aber unter dem scharfen Blick ihrer Mutter zurückzuhalten. Bestimmt hatte sie unter einer strengen Erziehung zu leiden.

Später, mit vollem Magen und ermüdeten Gemüt, war es auch genau diese Tochter, die mir mein Schlafzimmer für die Zeit auf der Ranch zeigte. Das Haus war groß, und sie bewegte sich durch die Flure, als könnte sie selbst blind und im Schlaf die Orientation nicht darin verlieren. Kein Wunder, sie hatte auf der Ranch wahrscheinlich nicht weniger zu tun als die Angestellten. Sie tat mir ein wenig leid.

Als sie mir mit schüchterner Verhaltenheit mein Zimmer gezeigt hatte, blieb sie noch einen Moment im Türrahmen stehen und sah, wie ich mein Gepäck auf dem Tisch im Zimmer abstellte. Während ich mich meines Jackets entledigte, drehte ich mich fragend zu ihr um und sie schürzte unsicher ihre Lippen.

„Ist noch was?", fragte ich und als sie mich noch immer schüchtern anstarrte, fügte ich hinzu: „Du siehst schon die ganze Zeit so aus, als hättest du 'ne Menge Fragen, hab keine Scheu sie mir zu stellen!" Motivierend lächelte ich sie an und endlich schien sie sich zusammenzureißen:
„Wie lebt es sich in einer Großstadt? Ich war noch nie in einer", piepste sie leise und lief rot an. Es schien ihr wohl extrem unangenehm zu sein, doch ich wollte ihr die Angst nehmen.

Während ich damit weitermachte, meine Weste loszuwerden, antwortete ich ihr: „Du bist nie allein, aber trotzdem einsam, wenn du niemanden bei dir hast. Es ist hektisch, laut, künstlich und kontrolliert. Es hat seinen Charme, aber nicht jeder mag das."

Oneshot FreiheitWhere stories live. Discover now