Black Plague

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Alles hat seine Vor- und Nachteile. Ein Möchslehrling zu sein hatte den Vorteil, ein halbwegs sicheres und gut ernährtes Leben zu führen, aber auch den Nachteil, sich nicht den primitiven, menschlichen Vergnügen des Lebens hingeben zu dürfen, sowie ständig unter der Anleitung eines Wesens zu leben, dessen Existenz man sich einbilden musste.

Trotzdem, wenn ich mich ganz auf den ästhetischen Teil meines Lebens konzentrierte, war es eigentlich sogar ganz schön. Ich hatte lesen und schreiben gelernt, konnte mich neben dem ständig ändernden Dialekt auf Deutsch auch halbwegs auf Latein unterhalten, konnte so viel schreiben und Malen sowie lesen wie ich wollte und konnte beim kochen von herrlich duftender Medizin assistieren.

Sowie jetzt. Mein Meister, Bruder Jakob, Langschläfer vom Dienst, hatte mir aufgetragen, den riesigen Kessel mit dem „heilenden Sud" umzurühren. Das war seine neuste Medizin-Kreation. Haha. Medizin. Meine übernatürlichen Kräfte sagten mir, dass die Schnarchnase gefährlich nahe an ein mittelasisches Heißgetränk gekommen war. Das war in der Tat irgendwo gesund, aber gegen die Pest helfen tat das angenehm duftende Zeug nicht. Es war aber trotzdem sehr amüsant für mich gewesen zuzusehen, wie mein Meister den guten Geschmack und den betörenden Duft fast mehr angebetet hatte als seinen Gott und mehr gesegnet hatte als den Vergewaltiger im Beichtstuhl von kürzlich. 

Ich spielte ein wenig mit der Magie und hörte mich mit verstärktem Gehör um. Bruder Jakob war draußen im Hof und unterhielt sich mit dem Kutscher eines gerade angekommenen Lebensmittelkarren. Die anderen Mönche und Lehrlinge saßen in der Bücherei und kopierten die Bücher oder arbeiteten im Garten.

Gewiss, dass mich niemand erwischen würde, schöpfte ich mit der großen Kelle, mit der ich rührte, eine dampfende Menge „Medizin" aus dem Kessel, pustete ein wenig und schlürfte die Kelle genüsslich aus. Samt all dem Grünzeug, dass auf der Oberfläche schwamm. Kümmel, Fenchel, Pfefferminz, Schnittlauch, ein Fest für den Gaumen. Und gut für die Bronchen. Hitze tat gut, bei dem kalten Wetter. Aber ich brauchte mir da gottseidank nicht so viele Sorgen machen, ich beherrschte ja dieses gottlose Handwerk namens „Zaubern" und konnte mir unter meiner Kutte ein bisschen heiße Luft herbeizaubern. Mann, wie sehr hatte ich in manchen Messen aufpassen müssen, nicht zu heiße Luft zu haben, denn die anderen Brüder fragten sich, warum ich so viel Wärme abstrahlte oder schwitzte wie in der Mittagssonne beim Unkrautjäten. Das sorgte auch wieder für Unannehmlichkeiten, durch all den Schweiß ekelte ich mich zu Zeiten öfters vor mir selber. Gut, dass ich mir selbst im Winter das Flusswasser aufwärmen konnte, um mich zu waschen.
Man, ich war so gut gepflegt, ich hatte weder Läuse noch Flöhe, und alle Zähne hatte ich auch noch. Bruder Jakob sagte immer, ich sei ein von Gott gesegneter Junge, dabei hatte ich mir den Segen selbst verpasst. Das Zaubern hatte mir mein Vater beigebracht, als ich klein war, und die Entscheidung, diese Fähigkeit anzuwenden, war meine gewesen. Ich machte es aber besser als mein Vater, denn der war als Hexer entlarft und verbrannt worden, wodurch ich im Kloster gelandet bin.

Manchmal vermisste ich meinen Vater, aber immer, wenn ich an ihn dachte, war plötzlich Gottesdienst und ich musste wieder angestrengt alle Worte von den ganzen Gebeten zusammenreimen, um mich nicht schon wieder zu blamieren.

Ich war inzwischen so in Gedanken versunken, dass ich nicht bemerkt hatte, wie sich unten im Hof bei Bruder Jakob etwas getan hatte. Dort hörte ich nämlich, wie ein röchelnder Mann eilig aus einer Kutsche gezerrt wurde, in Tücher gewickelt und getragen wie eine Leiche.

Pest also.

Ich hörte Bruder Jakob die Treppen hinaufeilen, und ich ließ meine halbleere Kelle zurück in den Kessel plumpsen, um gemächlich weiter zu rühren, als die Schnarchnase von meinem Meister hineingeplatzt kam.

Kaum wurde wie schwere Holztür zur Kräuterküche auch schon aufgeschlagen, japste er auch schon los: „Der alte Heinrich, der Kaufmann, der hat die Pest!"
Ich sah ihn emotionslos an, währen Bruder Jakob sich vornüberbeugte und versuchte, Luft zu holen. Nach ein paar heftigen, rasselnden Atemzügen fuhr er fort: „Bereite die Medizin vor, mach ein Messer sauber und bind' dir ein Leinentuch vor Mund und Nase, du hilfst mir dabei, ihn zu behandeln!"

Oneshot FreiheitWhere stories live. Discover now