Diese Krone

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Ein riesiges Schloss, eingehüllt in dicken, dichten Nebel, klirrende Kälte und fast gänzliche Totenstille. Das sah ich vor mir, vom Waldrand aus, auf einem Berg, umrandet von einem Dorf und noch mehr Nebel.

Da wollte ich hin und stapfte festen Schrittes darauf zu. Durch das Dorf, durch den Nebel, der sich auf dem Boden fast blickdicht über das Land legte. An schlafenden Menschen und Tieren vorbei, alle frierend, manche erfroren, manche kurz davor. Sogar die Glut der Feuer war von Raureif überzogen.

Immerhin wurden die Vorräte so konserviert, und durch die vielen Erfrorenen der Nacht würde ein halber Laib Brot, den ich unter meiner Robe mitgehen und auftauen ließ, sicher nicht so schnell fehlen.

Ich erreichte das Schloss schneller als ich erwartete- der Weg sah länger aus, als er war. Die Tore standen offen, die Zugbrücke war unten, wie bei jedem friedlich gesinnten Herrscher. Der Bereich zwischen äußerer und innerer Ringmauer war geschmückt von Marktständen und erloschenen Feuerplätzen, Händler erfroren neben ihren Wahren und dem Vieh. Hinter der inneren Ringmauer herrschte eine noch leerere Kälte. Niemand war hier, der Bergfried und der Palas lagen friedlich nebeneinander zwischen den grauen, kalten Mauern wie eingeschlafene Säufer in einer Kneipe.

Zielsicheren Schrittes ging ich auf den Palas zu, verschaffte mir durch eins der mit Tierhäuten verhängten Fenster Zutritt und suchte mir meinen Weg zu meinem Ziel: Der Krone. Die Krone, von der Blut tropfte, weil sie vom Geben und Nehmen ihres Herrschers erschöpft war.

Ich fand sie, im Tronsaal, in der Nähe des Trons, in einer Samtkiste.

Glänzend poliert schimmerten ihr Gold und ihre Juwelen mir zu, fasziniert von ihrer Eleganz hob ich sie hoch ins Licht der Buntglasfenster. Geblendet von ihrer Macht setzte ich sie mir aufs Haupt und trat hinaus in den Raum. Während ich mich im Saal bewegte, als würde ich zu einer imaginären Melodie tanzen, Takt- und Tonlos, aus meiner Fantasie der uneingeschränkten Weltherrschaft entsprungen, begann das edle, eigentlich nutzlose Schmuckstück ihr Wunderwerk.

Ein gutes Gefühl war viel zu verführerisch, hatte ich doch gewusst, was es mit mir tat. Es war wie eine Droge. Gut und gerne opferte ich ihr mein Leben, mit offenen Armen empfing ich das Verderben.

Warmes, frisches Blut lief meine Schläfen hinab. Es war nicht mein eigenes, es war das der Krone. Sie war erschöpft. Das Leben war ein Geben und Nehmen, doch etwas genommen hatte diese Krone noch nie. Sie hatte bloß gegeben, immer und immer wieder, ohne etwas dagegen machen zu können. Auch jetzt gab sie- sie gab mir das Gefühl überwältigender Mächtigkeit, und da sie nichts zurückbekam, tropfte das Blut an ihr herab.

Ich lächelte, als ich es spürte, und mein Lächeln weitete sich immer mehr, bis ich völlig von Blut übergossen und lauthals Lachend mitten im Tronsaal den purpurnen Teppich verdarb und die Arme in die Luft riss.

„Oh Krone!", rief ich atemlos vor Lachen, „So gib mir doch deine Kraft, zu Geben, und ich werde gutes in diese Welt bringen!"

Die Freude über eine gute Kurzschlussreaktionsidee schwang in meinen Worten mit.

„Ich geben dir meine Fähigkeit zu nehmen, und wir werden uns ergänzen bis in alle Ewigkeit!"

Und daraufhin verschwand sie. Die Krone. Das Blut hörte auf, zu fließen, und mit ihm, hörte mein Herz auf zu schlagen und mein Körper hörte auf, zu existieren.

Zum ersten Mal in ihrer Existenz hatte sich die Krone etwas genommen.

Oneshot FreiheitWhere stories live. Discover now