Freiheit im Schein des Leuchtturms

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Die einfachsten Touri-Regionen können so schön sein. Sylt zum Beispiel. Die kleine Insel in der Nordsee ist ja das Reiseziel vieler Deutschen, jeder kennt Sylt und war schon mindestens einmal dort. Man konnte meinen, diese Insel besteht nur noch aus Tourismus. Die wenigen Einheimischen sind entweder Wattführer, Fischer oder Umweltaktivisten, die den Touristen Seehunde näher bringen. Wenn ich an solche Reiseziele denke, kann ich mir eigentlich nur überfüllte Strände, viel zu viele Souvenir-Shops und teure, viel zu gut besuchte Restaurants vorstellen. Aber tatsächlich verbietet die Natur selbst dir das Herumwandern in einer Menschentraube, die alles und jeden fotografiert.

Hörnum. Ganz an der Südspitze von Sylt. Hinter der viel zu großen Jugendherberge "Fünf-Städte-Heim"
Erstrecken sich bewachsene Dünen, nicht weit dahinter ist schon das Meer. Die Insel ist alles andere als flach, die bepflanzten Dünen erschaffen eine Umgebung, die einer Mondlandschaft verblüffend ähnlich sieht. So auch hier, vor Hörnum.

Du hast dich am Abend, vor Anbruch der Dunkelheit, aus den abendlichen Zimmerrunden herausgeschlichen und spazierst nun in aller Seelenruhe den Kiesweg hinter dem Heim in Richtung Meer entlang. Links und rechts von dir erstreckt sich unberührtes Dünenland, auf dem vereinzelt Reetgras, das Material für die berühmten Reetdächer, wächst. Um die Natur zu schützen, ist das Betreten der Landschaft nur auf Wegen erlaubt.

Dennoch ist das verlocken groß, einfach die Wege zu verlassen und querfeldein über die Dünen zu wandern. Aber du hälst dich zurück und bleibst brav auf den Wegen. Der Himmel ist hellblau-gräulich gefärbt, keine einzige Wolke ist zu sehen.

Trotzdem ist es kalt und windig. Der Wind, der vom Meer kommt, macht mit deinen Haaren, was er will. Falls du sie am Morgen mit Haarspray und Haargel kunstvoll gestylt hast, ist jetzt alles für die Katz. Aber dir ist es egal, du lässt dir die Luft, die ganz anders riecht als auf dem Festland, ins Gesicht wehen, schließt einen Moment die Augen. Die Stille weht dir praktisch in die Ohren und ins Gesicht. Schwerfällig öffnest du die Augen und gehst weiter, lässt deinen Blick über die Landschaft schweifen.

Du siehst den Leuchtturm am Horizont, er sieht so klein aus. Da es bereits dunkel wird, leuchtet er schon. Alle paar Sekunden leuchtet er dir entgegen. Du kommst dir vor, als würde das helle, kleine Licht hinter der Dühne nur für dich leuchten. Fasziniert schaust du in die Ferne und gehst den Weg weiter endlang.

Irgendwann kommst du bei einem Sandweg an, der auf eine Dühne führt. Deine Lippen formen ein Lächeln, und du ziehst deine Schuhe und Socken aus. Mit den Schuhen in der Hand gehst du nun die bewachsene Dühne hinauf.

Der helle, weiche Sand unter deinen Füßen erschwert den Aufstieg etwas, und du schaust nach oben. Du siehst noch nicht, was hinter der Dühne ist, gespannt gehst du etwas schneller.

Dann, ganz langsam, erreichst du die Spitze der Dühne und siehst, was dahinter ist: Das Meer. Weit und scheinbar ohne Ende erstreckt es sich vor dir. Zwischen dir und dem Wasser ist nur noch der Abstieg von der Dühne und der Strand. Der graue Himmel, das dunkle Wasser und der helle Sand passen farblich perfekt zusammen und für einen Moment glaubst du, ein Bild in einer Zeitschrift anzusehen. Aber das, was du siehst, ist echt.

Mit einem glücklichen Lächeln auf dem Gesicht und einem schnellen Atem vom Aufstieg auf die Dühne gehst du sie rasch hinab. Der Abhang lässt dich automatisch schneller gehen. Schnell gehst stehst du am Wasser und lässt es dir um die Füße schwappen.

Du kannst nicht sagen, wie weit die nächste Welle den Sand berührt. Du stehst einfach da und betrachtest die Wellen, die mal mehr, mal weniger deine Füße umspielen. Immernoch mit einem Lächeln auf den Lippen setzt du dich wieder in Bewegung, gehst die Wellenlinie entlang. Während du gehst, umspielt das Wasser deine Füße. Es ist ein tolles Gefühl.

Das Wasser ist zwar kühl, aber keineswegs zu kalt. Es ist eher erfrischend. Zumindest in den ersten Minuten. Ohne darauf zu achten, ob Spaziergänger, angetrunkene Jugendliche aus derselben Herberge wie deiner oder Jogger vorbeikommen und dir vielleicht komische Blicke schenken, gehst du weiter. Du achtest gar nicht auf die Umgebung, in deinem Sichtfeld befindet sich bloß das salzige Nordseewasser, dass um deine Füße schwappt.

Mehrere Minuten gehst du völlig konzentriert auf das angenehme Gefühl an deinen Füßen das Meerufer endlang. Wie weit du gelaufen bist, weißt du nicht. Das einzige, was dich davon abhält, weiter zulaufen, ist die Kälte um deine Beine. So erfrischend das Meerwasser und der Sand, sowie der halbwegs starke Wind auch sein mögen, es ist kalt.

Ohne jedoch enttäuscht zu sein, das angenehme Gefühl um deine Füße zu verlieren, enfernst du dich etwas vom Wasser, drehst dich um und gehst denselben Weg, den du gekommen bist, zurück.

Die Fußspuren, die du entlang der Wasserlinie im nassen Sand hinterlassen hast, sind entweder komplett weggespühlt oder nur noch schwach sichtbar. Fasziniert siehst du dabei zu, wie eine der fast verschwundenen Fußspuren von einer Welle verschlungen wird.
Es ist faszinierend, wie die Millionen kleinen Steine, die in der Menge Sand genannt werden, vom Wasser unterspühlt und bewegt werden, aber trotzdem eine Masse bleiben.

Entspannt schaust du auf. Vor dir, diesmal auf der rechten Seite vom Blickfeld, erstreckt sich der Ozean, auch wenn er hier nur mehrere Hundert Meter weit nur einen halben Meter tief ist und sich Wattenmeer nennt. Vor dir ist der Sand, hellbraune gelblich, mit Muscheln und angespühltem Seegras gespickt. Die angespühlten Pflanzen sind in einer Linie parralel zum Ufer angeordnet, sie sind bestimmt bei einer starken Flut auf die Höhe angespühlt worden.

Auf der linken Seite deines Sichtfeldes erstrecken sich die Dühnen. Sie sind allesamt zugewachsen, bepflanzt worden, Damit sie sich nicht bewegen. Solche Dühnen sind ja nur aus Sand und dieser lässt sich einfach vom Wind davontragen.

Die Dühnen sind aber keineswegs von einer saftigen, grünen Wiese bedeckt, nein. Sie sind- genauso wie auf dem Hinweg gesehen- mit hellbraunem Reetgras, rot-braunen, kaum zu erkennenden Ästen und Pflanzen und ab und an, Vorallem auf Landseite, mit niedrigem Gestrüpp bewachsen. Nur vereinzelt schimmert Sand durch die Pflanzen. Der Sandweg, den du gekommen bist, ist aus der Ferne kaum sichtbar, aber aus der Nähe unübersehbar.

Erneut bleibst du stehen und blickst in die Ferne. Der Wind weht dir um die Nase und du atmest die kalte, salzige Luft ein.

Dieser Moment fühlt sich so unbeschwert an, als hättest du sämtliche Bedenken, sämtliche Sorgen und Probleme, einfach vom Wind davonwehen lassen.

Du fühlst dich frei.


(Written in 2017, published in 2019)

Oneshot FreiheitOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz