43 Ein anderes Gefühl von Schmerz.

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┊  ┊  ┊          ★ ISABELL

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„Ach du Scheiße", murmelte ich und musste prompt husten.

Betrunken, berauscht und völlig taub hatte ich es zusammen mit Noah nach Hause geschafft. Als ich morgens wach wurde, da trug ich die Kleidung vom Vortag und lag auf dem Boden von Noahs Zimmer. Mein Köpf dröhnte unangenehm und mir war unglaublich übel.

Doch irgendwie hatte ich diesen Absturz gebraucht.

Noah selbst fand ich im Bad in der Wanne, wo er mit einem Handtuch kuschelte, das mit den Vereinsfarben von Tottenham Hotspur bedruckt war. Ich setzte mich auf den kalten Boden und mir wurde bewusst, dass Noah schon ewig nicht mehr im Stadion gewesen war.

Das sollten wir ändern.

Wir sollten so viel ändern.

Und ich würde heute damit anfangen. Harry hinterher zu heulen würde die Situation nicht bessern. Ich musste anfangen das zu akzeptieren. Meine Wangen waren verschmiert, meine Augen dick und auf meiner Zunge lag ein widerlicher Geschmack.

Heute war definitiv ein neuer Anfang! Schluss mit Selbstmitleid und dem zwanghaften Drang auf gefühlstaub zu laufen.

Demnach warf ich mir eine Kopfschmerztablette ein, trank starken Kaffee und sah mich in meinem Zimmer um. Ich brauchte einen richtigen Tapetenwechsel. Allgemein würde eine Veränderung mir guttun. Es würde mich beschäftigen und das Ganze irgendwie symbolisch machen.

Mein Studium war abgeschlossen, ich hatte es nicht einmal gefeiert. Komischerweise hatte ich auch nicht den Drang das nachzuholen. Ich dachte nicht gerne an meine Zeit an der Uni, vielleicht weil alles, was ich dort erlebte, irgendwie ein Kampf war.

Für viele war das Studium eine Zeit voller Partys, Erlebnisse und Freiheiten. Ich war überwiegend einsam und fühlte mich regelmäßig ausgeschlossen. Man redete lieber mit meinen Gebärdendolmetschern, als mit mir und wenn man über mich sprach, dann tat man in meinem Beisein so, als wäre ich nicht da.

Dorthin würde ich definitiv nicht zurückkehren. Den Master zu machen kam für mich nicht in Frage. Doch ich musste mir überlegen, was ich nun beruflich machen wollte. Ich könnte bei Hearzone arbeiten. Dicky hatte mehrmals durchsickern lassen, dass er ein Plätzchen für mich finden würde. („Ich habe Arbeit, Arbeit, Arbeit!")

Allerdings konnte ich mir das selbst nicht so richtig begeisternd vorstellen. Natürlich drehte ich die Musikvideos gerne, aber mich gruselte es bei der Vorstellung jeden Tag in einem Büro zu sitzen. Denn so wie ich Dicke kannte, durfte ich ohne Pause Korrektur lesen oder Artikel schreiben.

Vorerst hatte ich den Luxus mir in Ruhe etwas zu suchen, denn meine Einnahmen durch Hearzone waren solide genug, dass ich die nächsten Monate keine geldtechnischen Engpässe bekam.

»Wolltest du nicht zum CI-Zentrum wegen der Schwierigkeiten?«, fragte mich Benny verwirrt am Mittwoch, als er nach vier Tagen wieder nach Hause zurückkehrte. Er war mit einer Influencerin für einen Dreh auf dem Land gewesen und stand nun irritiert in meiner Zimmertür.

»Ich habe erst nächste Woche einen Termin bekommen.« Scheiß Wartezeit. Ich hasste so etwas, aber mir war auch bewusst, dass es bis zur OP noch ein wenig länger dauern würde.

»Ziehst du aus?«, wollte Benny wissen und sah sich um. Ich hatte mehrere Kisten mit Fachbüchern gepackt, die ich nie wieder brauchte und verkaufen und spenden wollte. Tüten waren voller Unterlagen, welche nun überflüssig waren.

Jenseits der Stille ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt