41 Die letzte Nacht.

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┊  ┊  ┊               ★ ISABELL

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Meine letzte Nacht mit Harry fühlte sich seltsam unreal an.

Wir blieben im falschen Paris, bestellten Essen und landeten danach sogar auf der Aussichtsplattform des unechten Eiffel Turms. Es war schrecklich warm und drückend. 

Schweigend standen Harry und ich nebeneinander und blickten auf den wunderschönen Ausblick, der sich auf das Bellagio bot. Aber mir kam es vor, als würde keiner von uns das Bellagio mit seiner Wassershow wirklich sehen.

Harrys Hand glitt in meine und automatisch verschränkten sich unsere Finger miteinander. Ich musterte sein Profil und konnte in seiner Miene nicht lesen.

„Wir haben... nicht... Hawaii", sprach er schließlich und ich puzzelte mir zusammen, was er sagen wollte. Mein Magen machte eine unangenehme Rolle rückwärts. Hawaii... unser geheimes Codewort und einen Ort, den wir gerne zusammen besucht hätten.

Ich antwortete darauf nicht, sondern schwieg. Es gab so unendlich viele Dinge, die ich gerne noch mit Harry zusammen erlebt hätte und je klarer mir wurde, dass es dazu niemals kommen würde, desto schwerer wurde mein Herz.

Wir kehrten zurück zum Caesars Palace und es hätte ein so wunderbarer Abend sein können. Nur eins wäre er nicht gewesen, ehrlich.

In der Suite, die so prachtvoll und bizzar war, begann ich langsam zu packen. Ab und an half Harry mir und reichte mir, was ich definitiv vergessen hätte. Nicht zum ersten Mal musste ich vor Harry abreisen, aber morgen würde es das letzte Mal sein.

Als ich alles hatte und umgezogen war, blieb ich einen Moment vor meinem Koffer sitzen. Dann schloss ich ihn und hatte das Gefühl, nicht nur ein dummes Gepäckstück geschlossen zu haben.

Mein Blick glitt zum Fenster, zu all den Lichtern dort draußen. Las Vegas drehte sich einfach weiter. Harry ließ sich neben mir fallen und völlig zusammenhanglos verriet er mir: „Ich liebe Las Vegas."

„Warum?", wollte ich wissen und seine Gesichtszüge entspannten sich leicht: „Weil... der ganze Ort... normal für mich ist."

Wieder bekam ich nur einen Lückentext und je weiter Harry sprach, umso weniger verstand ich ihn. Natürlich war Vegas aufregend, aber auch surreal und künstlich. Voller Rausch und Schnelligkeit.

Kurz stockte ich.

Natürlich. Vegas war wie Harrys ganzes Leben und deshalb wirkte Vegas auf ihn vielleicht normal. Wie ein Ort, der einer kleinen Parallelwelt glich. Wie... die Nische, die bei meinen Freunden existierte. Wo wir alle normal waren und die Außenwelt es nicht war.

Irgendwie war es traurig zu wissen, dass Harry Las Vegas nicht ständig um sich haben konnte und er die Stadt nach kurzer Zeit verlassen musste. Und das nicht nur für einige Tage, sondern für Wochen. Ich würde meine kleine Oase an Gleichgesinnten niemals für so lange Zeit den Rücken kehren wollen.

Das Resultat war diese furchtbare Erschöpfung und Leere. Ich brauchte die rücksichtsvolle Umgebung, die Ruhe, Leute, die im selben Schritttempo liefen wie ich.

Hatte Harry das auch, oder brauchte er das nicht?

Ich vergaß diese Frage, sobald ich seine Lippen auf meinen spürte. Die halbe Nacht genoss ich jeden zärtlichen Kuss. Es war das Einzige, auf das ich mich konzentrieren konnte. Und natürlich auf all die kleinen liebevollen Gesten. Im Halbdunklen lagen wir nebeneinander auf dem Bett.

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