Er versuchte meine Hände zu nehme, aber ich riss mich los. Jedes bisschen Nähe wirkte erdrückend und ich machte einen Schritt von ihm weg.

„Lass das", verlangte er und machte eine unwirsche Handbewegung, so als sei das, was ich sagte, nicht der Rede wert.

Ich sah ihn an, wütend und sprachlos. Dabei beobachtete ich, wie er das Kissen achtlos auf das Bett warf und sich wieder zu mir drehte. „Ich sage das..., weil ich in derselben Situation war. Ich hab's getan", sein Geständnis brachte mich ins Schwanken. „Ich bin fremdgegangen."

Erschrocken sah ich ihn an. Das wollte ich nicht hören! Nicht jetzt.

Doch er fuhr unbeirrt fort: „Zweimal und immer war der Zeitmangel der Grund."

Mir wurde übel und heiß und kalt. „Du Arsch", entwich es mir trocken. Das durfte nicht wahr sein! Ich hätte nie im Leben gedacht, dass Harry genau so etwas tun würde.

„Ich habe nicht gesagt, dass ich es getan habe seit wir zusammen sind!", wurde er nun laut und empfindlich. Mit Haarspalterei hielt ich mich nicht auf, Angst kroch durch meinen Körper: „Ja und? Es sagt eine ganze Menge über dich aus! Aber Hauptsache du kannst mir diesen Scheiß unterstellen! Wer weiß, ob du das nicht wieder tun wirst?"

„Ich würde das nie in unsere Beziehung riskieren!"

„Das haben meine Vorgänger sicher auch geglaubt!"

Der ganze Abend war die reinste Enttäuschung und es nahm einfach kein Ende. Als würde jemand einen Lastwagen voller negativen Emotionen über uns auskippen.

„Was erwartest du von mir?", fuhr er mich gekränkt an. „Du musst mir schon vertrauen."

„Ich muss gar nichts mehr!", nun explodierte ich. „Denn ständig muss ich für dich etwas tun! Mein Terminplaner läuft nach dir, meine Freizeit auch! Du bestimmst mit wem ich unterwegs bin, wo wir uns aufhalten und ich habe es wirklich gründlich satt mich anzupassen!"

Wütend schob ich mich an Harry vorbei und durchquerte das Wohnzimmer, hastig schlüpfte ich in meine Schuhe: „Mit deinen furchtbaren Fans muss ich mich auseinandersetzen, nicht einmal in Ruhe etwas essen kann man, ohne dabei fotografiert zu werden und wenn ich dich einmal um etwas bitte, dann verschwindest du nach zehn Minuten!"

„Was hätte ich den tun sollen, als Benny mir haarklein unter die Nase rieb, was ihr in London getrieben habt!", verteidigte sich Harry lautstark. „Hätte ich mich den Abend zu dir setzten sollen, und so tun sollen, als wäre alles easy?"

Ich würde Benny umbringen, langsam und qualvoll.

„Das hättest du durchaus!", fand ich. „Ich tue ständig Dinge dir zur Liebe, die mir nicht gefallen. Da hättest du dich ruhig für ein paar verdammte Stunden auch einmal für mich zusammenreißen können!"

Ich griff nach meiner Tasche und steuerte die Zimmertür an. Harry sagte etwas, aber ich achtete nicht drauf. Alles, was ich brauchte war frische Luft und erst einmal Abstand, damit ich die Enttäuschung verdauen konnte.

Schwungvoll wollte ich die Tür der Suite aufreißen, doch sie prallte ab. Harry drückte sie von hinten wieder zu und mir rutschte der Griff durch die Wucht aus der Hand. Entrüstet fuhr ich herum, aber Harry machte keine Anstalt die Tür loszulassen.

Ernst und mit unleserlicher Miene sah er mich an. Und dann tat er etwas, das meiner Wut einen gewaltigen Dämpfer verpasste.

„Es tut mir leid", sprach er rau und schluckte hart. „Ich wusste, wie wichtig es dir war, dass ich heute Abend dort auftauche, aber Benny hat mich so... ich habe mich verspottet und verraten gefühlt und geglaubt jeden Moment zu platzen."

Ja, das konnte ich sehr gut verstehen. An Harrys Stelle würde es mir wohl ähnlich gehen. Trotzdem blieb es beklemmend. Am liebsten würde gehen, ganz egal, ob ich die Stadt kannte, oder nicht. Aber irgendwann würde ich hierhin zukehren müssen und geändert hatte sich dann rein gar nichts.

„Erzählst du mir vom Deaf Slam?", fragte Harry. „Hat Noah gut abgeschnitten?"

„Er ist dritter geworden", antwortete ich knapp und seufzte tief, dann stellte ich fest: „Wir sind nicht gut darin uns zu streiten."

„Stimmt", gab er zu.

„Wie war das Meeting?", kam ich Harry mit unwichtigen Blabla entgegen. Er wandte kurz den Blick ab und gestand: „Eigentlich total unwichtig."

So schien es immer und dabei bleiben die Dinge, die von Bedeutung waren auf der Strecke. In einem hatte ich Recht, wir konnten tatsächlich nicht gut streiten. Vor allem aber sah keiner von uns an diesem Abend, was längst wie ein offenes Kartenspiel vor uns lag.

Unsere rosarote Zuckerwelt verfärbte sich grau und bekam Risse, die man nicht mehr flicken konnte. Ich ging nicht jetzt und nicht hier, aber irgendwann würde ich weiter, als bis zu Tür kommen. Und dann würde auch Harry mich nicht aufhalten wollen.

Ich wünschte, ich wäre gegangen.

Vielleicht hätte es dann später nicht ganz so brutal wehgetan, wie es der Fall sein würde. 

Jenseits der Stille ✓Where stories live. Discover now