"Silber" - Teil 15

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Der Sand war kühl unter meinen Füßen und gab bei jedem meiner Schritte leicht nach. Die Luft war frisch und roch nach Salz und Algen. Der Mond stand hoch am Himmel, groß und rund. Er erhellte den Strand und warf alles in ein silbernes Licht. Die See war ruhig und die Wellen wälzten sich träge über den weißen Sandstrand. Langsam ging ich bis zum Rande des Wassers. Meine Füße hinterließen flüchtige Abdrücke auf dem nassen Boden. Die seichte Brandung vor mir gluckerte und sprudelte. Es klang wie eine Melodie. Es erinnerte mich an etwas. Vielleicht ein längst vergessenes Gutenachtlied? Vertraut und seltsam tröstend. Als wollte mir das Meer etwas zurückgeben, das ich vor langer Zeit verloren hatte.

Ohne weiter nachzudenken, machte ich noch einen Schritt und die erste Welle benetzte meine Füße. Die Berührung war so seicht wie die einer Feder. Ich watete noch tiefer hinein, bis auch meine Fingerspitzen die Wasseroberfläche berührten. Ich strich durch die Wellen, als wären sie ein Instrument, das nur ich spielen konnte. Die Wirbel, die ich erzeugte, strichen mir über die Haut und hinterließen ein aufregendes Kribbeln. Vor mir spiegelte sich der Vollmond im Wasser. Das Abbild des gigantischen Himmelskörpers tanzte auf der Oberfläche des tiefblauen Ozeans. Plötzlich begann das Spiegelbild zu glühen. Fasziniert griff ich danach, doch als meine Hand das Wasser berührte, sank das Licht unter die Oberfläche. Perplex folgte ich ihm, um es mit den Fingerspitzen zu erreichen. Doch je näher ich dem glitzernden Kreis kam, umso tiefer sank er hinab. Fest entschlossen ihn nicht in den Untiefen des Meeres aus den Augen zu verlieren, nahm ich einen tiefen Atemzug und tauchte dem flackernden Licht hinterher. Ich hatte kaum zwei Schwimmzüge getan, da packte mich etwas am Bein. Erschrocken versuchte ich es abschütteln, doch der Griff verstärkte sich nur noch. Abrupt wurde ich zurückgezogen und nach oben gezerrt. Ich wehrte mich, schlug um mich und versuchte den Griff, den mein Angreifer nun von meinem Bein auf meine Schultern verlegt hatte, abzuschütteln.

Ein heißer Schmerz, der sich von meiner rechten Wange bis hinauf zu meinem Ohr zog, traf mich vollkommen unvorbereitet. Erschrocken schrie ich auf. Meine Augen weiteten sich vor Überraschung.

»Verdammt Mia, hör auf damit!«, schrie jemand und schüttelte mich heftig, »Glaub ja nicht, dass ich dir nicht noch eine verpasse, wenn's nötig ist!«

Ich hielt inne und betrachtete mein Gegenüber. In verschwommenen Umrissen nahm ich in der Dunkelheit ein vertrautes Gesicht wahr.

»Izzie?«, fragte ich verwundert und hob die Hand, um eine erneute Ohrfeige abzufangen.

»Oh Mann, da bist du ja wieder!«,erwiderte sie und umarmte mich heftig, »Mach sowas nicht nochmal, hörst du?«

Ich war verwirrt. »Was meinst du?«

»Was ich meine?«, stieß sie heftig hervor, »Du schlafwandelst hier mitten in der Nacht umher und versuchst dann erneut dich zu ertränken!«

»Jetzt mach aber mal halb lang. Ich wollte nur ... ich meine da war ein ...«

Izzie sah mich mit großen Augen an und wartete darauf, dass ich meinen Satz zu Ende brachte.

»Da war ein Licht... im Wasser meine ich, es hat sich bewegt. Ich wollte nur gucken, wo es hin verschwindet. Ich bin nicht geschlafwandelt.«

»Aha, ein Licht! Mensch Mia hörst du dir auch mal selber zu? Ich hab mehrmals nach dir gerufen und du hast überhaupt nicht reagiert. Du warst wie in Trance, genau wie auf dem Schiff gestern.«

Plötzlich bekam ich es mit der Angst zu tun. Hatte ich diese Situation wirklich so falsch eingeschätzt? Hatte ich mich unwissentlich in Gefahr gebracht? Schon wieder?

Verzweifelt strich ich mir die Haare aus dem Gesicht. Izzie zuckte und griff blitzschnell nach meiner Hand.

»Was zur Hölle!«, entfuhr es ihr. Meine Hand glitzerte an der Außenseite im Mondlicht, als hätte ich sie in Silber getaucht. Verwundert fuhr ich mit den Fingern der anderen Hand darüber und bemerkte gleichzeitig, dass diese Hand genauso aussah. Die silbrige Haut war kühl und glatt. Nur wenn ich mit den Fingern von meinem Handgelenk aus in Richtung Fingerspitzen fuhr, fühlte sie sich rau an. An den Stellen, an denen meine Haut sich verändert hatte, kribbelte es leicht.

Under water - Das Einmaleins für Meerjungfrauen Band 1Where stories live. Discover now