"Alles nur Halluzinationen?" - Teil 10

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Das Erste, was ich am nächsten Morgen wahrnahm, war das angenehme warme Gefühl der Decke auf meiner Haut. Verschlafen wollte ich mich noch einmal umdrehen, als ich merkte, dass sich mein Bett bewegte. Alarmiert schreckte ich hoch und stieß hart mit dem Kopf an einen Deckenbalken. Ich hatte vergessen, dass ich in einer Hängematte lag. Ich fluchte und rieb mir die Stirn.

»Guten Morgen Sonnenschein«, sagte Izzie, doch ihre Stimme hatte nicht den üblichen neckenden Unterton. Sie saß im Schneidersitz in ihrer eigenen Hängematte und musterte mich.

Ich stöhnte auf und stellte die Füße auf den Boden. Um mich herum schien sich alles zu drehen.

»Hast du mich beim Schlafen beobachtet?«

»Ja!«, erwiderte Izzie freiheraus, »nach gestern Nacht wollte ich lieber auf Nummer sicher gehen.«

Gestern Nacht? Als hätte jemand eine Wand in meinem Kopf eingerissen, strömten die Erinnerungen der vergangenen Stunden auf mich ein. Ich war fast ertrunken und Nate hatte mich gerettet, auch wenn er es abgestritten hatte.

»Wie geht es dir jetzt?«, fragte Izzie und schien jede meiner Regungen mit ihren blauen Augen genau zu verfolgen.

Ich rieb mir mit den Fingern den Schlaf aus den Augen. Wie ging es mir? Abgesehen davon, dass ich mir absolut nicht erklären konnte, warum ich es für eine gute Idee gehalten hatte mitten in der Nacht auf hoher See ein paar Bahnen zu schwimmen? Hinzu kam noch, dass das ganze Erlebnis irgendwie schwammig in meiner Erinnerung war. Als wäre es jemanden anderen passiert. Ich erinnerte mich nicht mehr daran, was ich in diesen verhängnisvollen Momenten gedacht hatte. Das Einzige wozu ich noch Zugang hatte, waren die Emotionen dieser Nacht. Und diese schienen ganz und gar nicht zu dem zu passen, was offensichtlich mit mir passiert war. Ich wäre fast gestorben, dessen war ich mir jetzt sicher, und doch, wenn ich daran zurückdachte, dann hatte ich keine Angst verspürt, jedenfalls nicht zuerst. Ich erinnerte mich, an ein Gefühl der Geborgenheit. Als wäre ich Zuhause, an dem Platz, an den ich gehörte. In meiner Erinnerung schien dieser Moment eine Ewigkeit gedauert zu haben. Ich wusste, dass dies nicht stimmte, da niemand ewig die Luft anhalten konnte.

»Mia?«, Izzie riss mich aus meinen Gedanken. Sie erwartete offensichtlich eine Antwort von mir. Was sollte ich nur erwidern? Das Geschehene ergab selbst für mich keinen Sinn.

Ich fuhr mir mit den Fingern durch meine Haare, die mir matt und verknotet in der Stirn hingen. Mit einem mal fühlte ich mich seltsam kraftlos, nicht körperlich, es war eher so, als hätte mich der Mut verlassen.

»Komm schon Mia, was war da gestern Abend los?«

Ich wusste, dass sie nicht locker lassen würde, ehe ich ihr nicht eine plausible Erklärung gab. Aber wie sollte ich einen Vorfall erklären, der nicht nur total Mia-untypisch war, sondern auch etwas, an das ich mich nicht einmal richtig zu erinnern schien. Wenn ich ihr einfach irgendeine Geschichte erzählte, dann würde sie es merken, da war ich mir sicher. Izzie kannte mich zu gut, um mir irgendeinen Bullshit abzukaufen, außerdem war ich selbst an guten Tagen eine extrem schlechte Lügnerin.

»Mia! Verdammt, wenn du es mir nicht erzählen kannst, wem denn dann?«, entfuhr es Izzie energisch.

Sie hatte recht.

»Ich ... ich bin nicht sicher, was das gestern war«, erwiderte ich und meine Unterlippe bebte.

»Was meinst du?«

»Ich weiß nicht, warum ich gesprungen bin! Ich kann ... ich kann mich nicht...«, ich brach ab, mein Hals schien mit einem Mal so eng, dass mir die Worte buchstäblich stecken blieben.

»Du meinst, du kannst dich nicht erinnern?«, vollendete Izzie meinen Satz und starrte mich mit gefurchten Augenbrauen an.

Ich nickte und brach gleich darauf in ein Schluchzen aus, das mir bis ins Innerste wehtat. Auch dieses Mal war Izzie schneller bei mir, als ich gucken konnte. Und wieder hatte sie ihre Arme schützend um mich gelegt.

Under water - Das Einmaleins für Meerjungfrauen Band 1Where stories live. Discover now