Riders

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Mit schnellen Schritten laufe ich den dunklen Weg entlang. Die Morgensonne erkämpft sich gerade ihren Weg über die Welt, vertreibt jedoch nur zögerlich die Dunkelheit der vergangenen Nacht. Noch liegt die Stadt in morgendlicher Stille, auch wenn ich nicht zu sagen wage, ob es an der frühen Uhrzeit oder den Geschehnissen der letzten Wochen liegt.
Meine Füße hinterlassen auf dem Boden ein leises Knarren. Eine dünne Frostschicht hat sich über den Boden gelegt und obwohl die Temperaturen tagsüber ansteigen, lässt die Nacht die Kälte der Dunkelheit sichtbar auf der Erde zurück. Weiße Wölkchen steigen vor meiner geröteten Nase in den Himmel und ich spüre die brennende Kälte an meinen unbedeckten Wangen.

Scott hat nicht mehr zurückgerufen.
Noch immer kann ich dem Gedanken, dass sich meine Freunde nicht länger an mich erinnern können, keinen Glauben schenken. Doch plötzlich wird mir wieder einmal bewusst, dass es ja nicht nur meine Freunde sind. Niemand kann sich mehr an mich erinnern und zum ersten Mal seit dieser Erkenntnis frage ich mich, zu was mich das wohl macht.
Ich schiebe meine Hände tiefer in meine Jackentasche und atme tief durch. Die Kälte brennt auf meiner warmen Haut und ich spüre selbst durch meine Jeansjacke, wie die Wärme meines Körpers der Außentemperatur nachgibt. Ich erzittere leicht und drücke den schweren Stoff der Jacke enger an mich. In der rechten Jackentasche spüre ich mein Handy. Ich habe es eingepackt, auch wenn ich keine Ahnung habe, was für einen Nutzen es noch haben soll. Alle Nummern sind gelöscht. Bis auf eine. Doch selbst der Besitzer dieser Nummer kann sich nicht länger an mich erinnern.
Scott hatte gestern Nacht noch nicht einmal zurückgerufen. Dabei hätte mein Anruf zu mindestens Fragen bei ihm aufwerfen sollen.

Mein Blick schweift, nach Orientierung suchend, über den kleinen Weg. Ich habe bereits das schwarze Eisentor durchschritten und somit die Grenzen des Grundstückes passiert. Der schmale Fußweg zieht sich noch einige Meter, bevor er sich zerteilt und in verschiedene Richtungen abbiegt. Die meisten Abzweigungen sind gut versteckt, hinter Pflanzen und Büschen, um die Privatsphären der trauernden Hinterbliebenen wenigstens für einen kurzen Moment zu wahren. Schilder weisen dezent den Weg zu den verschiedenen Quartiersaufteilungen und in einiger Entfernung kann ich die kleine Kapelle entdecken, deren altes Dach sich hinter einem Baum empor streckt. Ein kalter Wind zerrt an meinen Klamotten und mit kälteerklommenen Fingern versuche ich mir die Kapuze meiner Strickjacke über den Kopf zu ziehen. Ich brauche drei Versuche bis sich der dünne Stoff endlich über meine frierenden Ohren ziehen lässt und ich meine Hände zurück in die wärmenden Jackentaschen schieben kann.

Noch ist der Friedhof menschenleer.
Er ist oft leer, aber bisher hatte ich noch nie das Gefühl alleine zu sein.
Bis auf heute.

Zielgerichtet schlage ich den kleinen Weg rechts von mir ein. Der grobkörnige Schotter raschelt unter meinen Schuhen und der dünne Film an unsichtbaren Frost, gibt unter meinem Gewicht knirschend nach. Wieder kommt ein kalter Wind auf. Er zerrt erst an meinen Klamotten, bringt mein Körper weiter zum Erzittern, bevor er auch mit den Ästen der Bäumen und der Pflanzen spielt. Das Rascheln der Blätter wird lauter und der kalte Wind treibt mir Tränen in die Augen. Ungewollt schließen sich meine Finger fester um mein Handy, dass plötzlich schwer in meiner Jackentasche liegt. Ich sehe die nahezu unsichtbare Abzweigung des Weges und schlage sie ein. Ich schätze, dass nur noch ein paar Meter vor mir liegen, bevor ich bei der angestrebten Quartiersaufteilung ankomme.

Die letzten Woche hatte ich Probleme damit den Weg zu dem Grab meines Bruders zu finden.
Heute jedoch fällt es mir unglaublich leicht.

Trotzdem ist mein Herzschlag schneller geworden und ich fühle den beständigen Schlag fest an meinem Brustkorb. Der Wind zerrt noch immer protestierend an meinen Klamotten, schafft es jedoch nicht an meine kalten Ohren zu gelangen. Diese verstecken sich noch immer unter meiner Stoffkapuze und es überrascht mich, wie gut der dünne Stoff dem Wind stand hält.
Die Sonne ist in der Zwischenzeit weit genug gewandert um die ersten Hindernisse zu überwinden. Die ersten richtigen Sonnenstrahlen fallen vor mir auf den Weg und obwohl die Strahlen von der Kälte der Nacht noch geschwächt sind, spüre ich augenblicklich die wollige Wärme, die sie ausstrahlen. Für wenige Sekunden glaube ich sogar die ersten Vögel aufwachen und zwitschern zu hören.
Ich nehme mir einen kurzen Moment um meine Augen beim Laufen eine Sekunde länger geschlossen zu halten und den friedlichen Morgen in mich aufzunehmen.

Jedoch komme ich dem Grab meines Bruders immer näher und mit jedem Schritt wird der Frieden der morgendlichen Uhrzeit in den Hintergrund gedrängt.
Ich spüre die Nervosität in meinem Magen und das leichte Zittern meiner Hände. Die Sonne fängt an zu blenden und mit zusammengekniffenen Augen nehme ich die letzte nötige Abzweigung. Ab hier muss ich nur noch ein paar Minuten geradeaus laufen, bevor ich vor dem Grab meines toten Bruders stehen würde.
Clay.
Ich versuche mein rasendes Herz mit einem tiefem Atemzug zu beruhigen, doch die kalte Luft in meinen Lungen spiegelt die Nervosität in meinem Körper zu gut wieder. Ich zittere und kann nicht länger leugnen, dass es an der morgendlichen Kälte liegt.
Ich habe Angst.
Tierische Angst.

Ich stolpere und möchte darüber fluchen. Doch bevor eines dieser Wörter über meine Lippen kommen kann, erinnere ich mich wieder daran wo ich gerade bin. Ich beiße mir auf die Unterlippe und werfe einen kurzen Blick durch meine Umgebung. Die Sonne ist weiter angestiegen, kommt jedoch noch immer nicht über die Grabsteine hinweg. Stattdessen wirft sie nun längliche Schatten auf den Kiesboden, der unter meinen Schuhen laut knirscht. Irgendwo in der Ferne kann ich das leise Rascheln des Waldes hören und auch das Zwitschern von Vögeln liegt in der Luft. Ansonsten ist es auf dem Friedhof unheimlich ruhig.
Eine Stille, die mir normalerweise gefällt. Eine Stille, die ich an manchen Tagen brauche um mit meinem Bruder zu reden und etwas Abstand von meinem Leben zu bekommen. Eine Stille, die mir in diesem Moment jedoch höllisch Angst macht.

Ich erkenne den eckigen Grabstein, der neben dem Grab meines Bruders steht. Er ist markant und fällt auf. Trotzdem habe ich noch nie die Inschrift im Stein beachtet, somit habe ich keine Ahnung wer neben meinem Bruder begraben liegt und wann er gestorben ist. Wie lange er gelebt hat und welche Inschrift sich seine Hinterbliebenen überlegt haben. Ich passiere den Stein, schenke ihm jedoch erneut keine weitere Aufmerksamkeit. Ich bin zu nervös um mich auf diese kleinen Details zu konzentrieren. Stattdessen fällt mein Blick sofort auf den Grabstein meines Bruders.

Dieser steht so, dass die Sonne liebkosend über die Inschrift streift und den frischen Blumen auf der Erde mehr Farbe zu verleihen scheint. Ich bleibe vor dem Grabstein stehen und lasse mich mit geschlossenen Augen langsam auf den Boden sinken. Meine Knie werden in das noch feuchte Gras gedrückt und ich spüre den Kies, der sich fest gegen meine Schienbeine drückt. Ich atme tief durch und spüre die inzwischen angenehme Kälte des Morgens auf meiner Haut. Die frische Luft dringt in meine Lungen und beim nächsten Ausatmen habe ich das Gefühl, dass dabei zu mindestens für wenige Sekunden auch meine Sorgen aus meinem Körper vertrieben werden.

Dann öffne ich blinzelnd meine Augen und richte sie auf den gräulichen Stein. Er sieht älter aus, als ich ihn in Erinnerung habe und auch die Form lässt mich im ersten Moment stutzen. Mein Blick fällt auf auf die Inschrift, die ich in den letzten Monaten bereits so oft gelesen habe, dass ich sie bereits auswendig kann. Doch gerade als meine Augen lesend über die Buchstaben schweifen wollen, bemerke ich, dass sie nicht länger mit meinen Erinnerungen übereinstimmen. Ich sitze nicht länger vor dem Grab meines Bruders. Stattdessen pragt eine andere Inschrift in dem Stein und ein fremder Name springt mir leuchtend entgegen.

Jennifer Lee.

Psychotic  [Teen Wolf FF ~ Theo Raeken]Where stories live. Discover now