Depends

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„Clay," ich presse mir das Handy fest ans Ohr und atme zitternd aus, „Hey." Der Wind umspielt meine Haare und ich kann die Autos hören, die eine Seitenstraße weiter fahren. Das getrocknete Laub raschelt und als ich wenige Schritte von dem Polizeirevier wegtrete, zerbrechen sie knisternd unter meinen Füßen. Dann mischt sich plötzlich das raue Lachen meines Bruders in die Geräuschkulisse und mit Tränen in den Augen beiße ich mir auf die Unterlippe. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wann ich ihn das letzte Mal lachen gehört habe und in diesem Moment bin ich überwältigt von dem schönen Klang seines rauen Lachens.

„Charlotte," auch er sagt zuerst meinen Namen, bevor er ein amüsiertes Hey nachschiebt. Ich wische mir mit der freien Hand über die Augen und grinse leicht vor mich hin. Plötzlich sind die Sorgen der letzten Stunden, der letzten Tage, vergessen und ich spüre ein nervöses Kribbeln in meinem Bauch. „Überrascht?" stellt mein Bruder eine kurze Frage, gibt mir jedoch keine Zeit zum antworten. Stattdessen spricht er nach einer kurzen Pause weiter. „Ich habe doch gesagt, dass ich mich wieder melde." Ich erinnere mich daran, dass er mir dieses Versprechen tatsächlich bei seinem letzten Anruf gemacht hat. Gestern Nacht. Ich weiß nicht, ob es ein gutes Zeichen ist, dass er sich so schnell wieder bei mir meldet, doch das aufgeregte Klopfen meines Herzens lässt gar keine weitere Spekulation zu.

Wichtig ist nur eins: Clay lebt. Ich höre in diesem Moment seine Stimme, sein raues Lachen und das breite Lächeln auf seinen Lippen. Er lebt.

Er lebt.

„Erde an Charlotte," die eindringliche Stimme meines Bruders dringt an mein Ohr und verwundert vertreibe ich meine Gedanken mit einem kurzen Kopfschütteln. „Bist du noch dran?" Ich vermute, dass Clay schon eine Weile mit mir spricht, jetzt jedoch bemerkt hat, dass ich seit einer Weile nicht mehr antworte. „Ja...," ich schüttele leicht den Kopf, bevor ich tief durchatmen und versuche mich auf das Gespräch mit meinem Bruder zu konzentrieren. „Alles okay?" fragt dieser nun mit einer wissenden Stimme nach und ich kann hören, wie das Lächeln aus seiner Stimme verschwindet. Stattdessen fängt er an besorgt zu klingen und ich kann ihn nahezu vor mir sehen, wie er den Kopf leicht schräg legt und mich besorgt mustert. Dabei würden ihm die braunen Haare, die er immer einen Tick zu lange trägt, umgemacht in die Stirn fallen und seine langen Wimpern berühren.

„Ja...," ich wiederhole meine vorherigen Worte und unterlege sie mit einem Nicken, das vor allem dazu dient, mich selbst davon zu überzeugen. Ich kann Clay wohl schlecht von meinen Problemen mit den Ghostrider erzählen, auch wenn ich schon ein paar Mal mit dem Gedanken gespielt habe, die Wahrheit zu erzählen. Ihm und Scott und Stiles. Vielleicht würde die Wahrheit dafür sorgen können, dass sie sich wieder an mich erinnern. „Ja," dieses Mal schwingt mehr Überzeugung in meiner Stimme mit und für wenige Sekunden glaube ich, nicht nur mich selbst sondern auch meinen Bruder davon überzeugen zu können. Dann jedoch räuspert er sich und fragt mit fester Stimme nach: „Was ist los, Charlotte?"

Es fühlt sich an als würde mich ein heftiger Windstoß erfassen. Mir wird sekundenlang die Luft aus den Lungen gepresst und fassungslos taumele ich wenige Schritte zurück.
Selbst nach zwei Jahren, selbst nach seinem Tod, selbst nach einem Leben ohne mich, scheint der Junge am Telefon mich gut genug zu kennen, um nur an meiner Stimme erkennen zu können, wie es mir geht. Scheiße.
„Du weißt, dass du mir alles erzählen kannst," ich schlucke schwer und versuche die Lawine an Gedanken in meinem Kopf wenigstens für wenige Sekunden zum Stoppen zu bringen. Clay scheint zu wissen wie es mir geht und plötzlich wird mir bewusst, wie sehr ich seine Fragen die letzten Jahre vermisst habe. Er hat sie oft gestellt - fast so oft wie Stiles - und ich weiß noch, wie oft ich an die Decke gegangen bin, weil er mich ausgefragt hat. Wegen meinen Sachen. Wegen der Schule. Wegen meinen Freunden. Wegen Jungs. Damals hatte es mich genervt, jetzt jedoch spüre ich das Brennen in meinen Augen und den aufgeregten Zwischensprung meines Herzens. Wie konnte ich damals auch nur eine Sekunde lang danken, dass ich ohne seine nervenden Fragen besser dran bin.

„Es...," ich spüre wie sich Tränen anbahnen und versuche meine Stimme nicht von ihnen erdrücken zu lassen, „Es ist kompliziert." „Ich habe gerade eine Freistunde und massig Zeit," ich kann geradezu das lockere Schulterzucken in seiner Stimme hören, trotzdem bin ich verwundert von der Geduld, die er in diesem Moment an den Tag legt. Geduld war nie seine Stärke, schon gar nicht wenn er darauf gebrannt hat, etwas zu erfahren. Dann ging er einem ganz schön auf die Nerven. „Naja...," ich rede mir selbst ein, dass es einen Versuch wert ist. Clay kann ich vertrauen und auch wenn ich ihm nicht in jedem Aspekt die Wahrheit verraten kann, wird mir etwas Reden gut tun. Jemanden Unvoreingenommenes vertrauen zu können, wird mir gut tun.

„Ich habe da so einen," ich zögere kurz und versuche die richtige Bezeichnung für Theo zu finden, „Freund. Ich kenne ihn noch nicht so lange, aber er hilft mir bei so einer Sache." Ich kann hören wie Clay einen zustimmenden Laut von sich gibt und vor meinem Inneren Auge kann ich ihn sehen, wie er dabei den Finger and Kinn gelegt hat und verstehend nickt. „Ein anderer, sehr guter, Freund hat mir jetzt aber erzählt, dass er vielen Menschen wehgetan hat," mit Absicht verschweige ich Clay die Tatsache, dass Stiles bei seiner Warnung sogar über Mord gesprochen hat, „Er hat sie schlimm verletzt und das scheinbar mit Absicht." „Und jetzt weißt du nicht, ob du ihm weiterhin trauen kannst." Es ist keine Frage. Es ist eine Feststellung und ich bin überrascht, wie sicher mein Bruder in diesem Moment klingt. Er scheint zu wissen was ich durchmache und langsam frage ich mich, ob das alles real ist oder ob ich mir das Telefonat mit meinem Zwilling nur einbilde.

Was wenn er gar nicht lebt und das alles nur ein Hirngespinst meiner verzweifelten Hoffnung ist?

„Weißt du den, was wirklich mit diesen Menschen passiert ist? Was dein Freund mit ihnen gemacht hat? Und warum?"
Ich versuche den Gedanken, dass das alles nur Einbildung sein könnte, zu vergessen und mich erst einmal auf das Gespräch zu konzentrieren. Sorgen kann ich mir auch noch später machen. „Nein," ich schüttele leicht mit dem Kopf, „Ich weiß nur das, was mir erzählt wurde." „Und hast du schon mit ihm darüber gesprochen?" Dieses Mal verneine ich die Frage, ohne etwas hinzuzufügen. Gleichzeitig fahre ich mir durch die Haare und atme tief durch. „Vielleicht solltest du das mal tun," Clay scheint ein weiteres Mal mit den Schultern u zucken, „Du solltest zumindest auch mal seinen Teil der Geschichte hören. Vielleicht sind es nur Gerüchte. Vielleicht hatte er für alles einen guten Grund." Ich schlucke schwer. „Und was wenn nicht?" frage ich anschließend mit unsicherer Stimme nach und lege meinen Kopf in den Nacken. Der Himmel über mir hat sich etwas zugezogen und wäre heute ein normaler Tag, würde ich vermuten, dass der Nachmittag Regenschauer bringt. So jedoch macht sich in mir das bedrückende Gefühl breit, heute ein weiteres Mal auf die Ghostrider zu treffen.

„Dann wirst du diese Sache sicherlich auch alleine geregelt bekommen," das motivierte Vertrauen, das in der Stimme meines Bruders mitschwingt lässt mich leicht Lächeln, „Du wirst schon die richtige Entscheidung treffen. Aber du solltest dir trotzdem anhören, was dein Freund zu seiner Verteidigung zu sagen hat." Seine Worte machen Sinn und ich möchte mir nicht eingestehen, dass mein blöder, nerviger Zwillingsbruder plötzlich so viel schlauer ist als ich. Sein Rat ist gut und auch wenn ich glaube, dass Theo mir die Worte von Stiles bestätigen wird, hat Clay recht. Er sollte wenigstens die Chance bekommen sich dazu zu äußern.

„Wann bist du denn bitte so schlau geworden?" frage ich mit einem neckenden Unterton in der Stimme und grinse leicht verträumt vor mich hin. „Ach Charley...," das Lächeln weicht aus meinem Gesicht und langsam realisiere ich, dass Clay in diesem Moment ganz unterbewusst meinen Spitznamen benutzt hat, „Ich war schon immer so weise."

Psychotic  [Teen Wolf FF ~ Theo Raeken]Unde poveștirile trăiesc. Descoperă acum