ᴊᴜsᴛ ғᴏʀ ʜᴇᴀᴅʟɪɴᴇs

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Ich sagte nichts.

Aus dem einfachen Grund, weil ich den Yoongi, wie ich ihn jetzt kannte, einmal in meinem Leben heulen sehen wollte. Denn dass das leise, mitleidserregende Wimmern zu dem ehemaligen Rapper gehörte, hatte ich schon beim ersten Mal erkannt.

Auf Zehenspitzen durchquerte ich den Flur und ignorierte den kühlen Lufthauch, der von der offen stehenden Wohnungstür kam. Zum Glück war meine Zimmertür nur angelehnt, sodass ich bequem durch den Spalt linsen und Yoongi betrachten konnte, der etwas in sich zusammengesunken auf meinem Bett saß, mein Kissen auf seinem Schoß, um sich darauf abzustützen, den Blick fest auf den Bildschirm meines Computers gerichtet, den ich vor ein paar Jahren zu den Antiquitäten meines Krempels erklärt und in einer Ecke verstaut hatte, wo er eigentlich für immer liegen bleiben und verrotten sollte.

Was muss Yoongi bitte alles durchwühlt haben, um den, plus das Ladekabel dazu, zu finden?
Ich hatte zwar nichts zu verbergen, aber trotzdem kam in mir das Bedürfnis auf, meine Sachen zu kontrollieren.

„Es tut mir Leid."

Vor Schreck wirbelte ich wieder zu meinem Zimmer herum und stieß mit dem Kopf gegen die Tür, woraufhin diese sich mit einem lauten Knarzen öffnete und ich etwas unbeholfen in den Raum stolperte.

Yoongis Aufschrei allerdings war wiederum so laut, dass ich reflexartig einen Schritt zurück machte und mit dem Arm gegen den Türrahmen stieß, was zwar dafür sorgte, dass ich nicht das Gleichgewicht verlor, zum anderen allerdings wieder auf den - mittlerweile grünen - Fleck stieß und ich mir ein schmerzerfülltes Zischen nicht verkneifen konnte.

„Alles in Ordnung?"
„Ja", presste ich hervor. „Denke schon...",
Leicht gequält setzte ich mein Kellnerlächeln auf.
Allerdings fiel es mir sofort wieder aus dem Gesicht, als ich realisierte, dass diese Worte in dieser Kombination gerade aus Yoongis Mund gekommen waren.
An mich gewandt.

„Sicher? Du schaust so komisch", hakte er nach. Dieses Mal zum Glück wieder in dem Tonfall, den ich von ihm gewohnt war. Ein bisschen abwertend und genervt, allerdings nicht auf die Art und Weise, die einen klugen Konterspruch zuließ.
Jahrelange Disstrack Erfahrung, versuchte ich mir einzureden, um mich nicht ganz so dumm zu fühlen.

„Ja... es ist alles gut... aber... du hast geweint, oder? Ist bei dir denn alles in Ordnung?", lenkte ich schnell zurück bevor Yoongi die Chance hatte im schwachen Licht meines Laptops seine durchnässten Wangen zu verstecken.
Jetzt war es nämlich umso amüsanter ihn dabei zu beobachten.

„Ich hab nicht geweint... ich hab... mein Auge hat getränt, weil ich so müde bin. Du musst arbeitest ja immer so lang", beschwerte er sich sofort wieder und tupfte sich versucht unauffällig die Wangen mit seinem T-Shirt trocken.

„Du musst ja nicht auf mich warten. Niemand zwingt dich zu irgendetwas", verteidigte ich mich gelassen und trat näher an mein Bett heran. „Und was hast du denn da eigentlich gemacht? An meinem Laptop..."

„Ich hab mein Handy zerstört, bevor ich mit dem Zug nach Busan gefahren bin... und es tut zwar ganz gut jetzt endlich von diesem ganzen Medienscheiß Abstand zu haben, aber trotzdem interessiert es mich, was die Welt zu meinem Tod sagt...", fing er an mir zu erklären, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. „Ich mein... dafür gibt es so viele tolle Schlagzeilenideen. Min Yoongi, der berühmteste Rapper Südkoreas, hat sich das Leben genommen. Wer würde da nicht draufgehen?"

Ich könnte ihn schlagen.
So lange, bis ich ihm hoffentlich diese ganze Dummheit aus seinem Gehirn geprügelt hätte.
Zum Glück stand ich weit genug weg.

„Yoongi?"
„Ja?"
„Ich hab eine Frage an dich...", fing ich zögerlich an und begann mit meinen Fingern zu spielen.
„Nur zu. So lange es nichts mit meinem Job zu tun hat. Ich hab schon ganz bewusst jemanden ausgewählt, der nicht wie einer dieser Fans gewirkt hat, die das Leben eines Idols offensichtlich so spannend finden, dass sie einem auf Schritt und Tritt folgen wie wild gewordene Affen ... und der allein in Busan wohnt. Einfach weil von hier aus mein Flug geht."

Carry On  ⇢  YoonminWhere stories live. Discover now