58. Kapitel

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Adriana

Auf dem Boden liegt die zerfetzte Kleidung von Kilian, die er bis eben noch getragen hat und inmitten dieser steht ein schwarzer Wolf. Er ist ungefähr hüftgroß und seine Augen glühen in einem mehr als unheimlichen Rot. 

„Kilian?" Meine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern und ich sehe ihn sprachlos an. Die vielen Male, die er verschwunden ist. Sein seltsames Verhalten gerade eben. Wenn er ein schwarzer Werwolf ist, würde alles Sinn ergeben.

Doch wie konnte das passieren? Wie konnte er sich in einen schwarzen Wolf verwandeln? Ist irgendwas auf ihrer Reise vorgefallen? Sind Kate und Ter vielleicht auch schwarze Wölfe? Mit einem Mal fallen mir tausende Fragen ein, doch auf keine finde ich auch nur den Ansatz einer Antwort.

Der schwarze Wolf, nein, Kilian, macht einen Schritt in meine Richtung und seiner Kehle entfährt ein Knurren. Am liebsten würde ich nun einen Schritt zurückweichen, einen Ausweg suchen. Doch gleichzeitig ist immer noch der Gedanke in mir drin, dass er mein Mate ist. Und seinen eigenen Mate verletzt man nicht.

„Kilian, beruhig dich. Du musst dich jetzt konzentrieren. Du darfst dich nicht hingeben." Beschwichtigend hebe ich die Hände und rede auf ihn ein. Ich brauche nur ein bisschen Zeit. Ein bisschen Zeit, um die Blume zu zerstören. Während ich weiter mit ihm spreche, knie ich mich langsam hin.

Ohne ihn aus den Augen zu lassen, greife ich mit einer Hand in den Rucksack. Tastend fühle ich den Boden ab, bis meine Hand einen Gegenstand spürt. Ein triumphierendes Lächeln erscheint auf meinen Lippen und meine Hand umschließt die letzte Phiole. Die Phiole mit Esperanzas Blut.

Das Glühen in Kilian's Augen hat mittlerweile abgenommen, so dass ich mich eigentlich recht sicher bin, dass er mich nicht jeden Moment angreifen wird. Vorsichtig hole ich die Phiole hervor und werfe einen kurzen Blick auf die rote Flüssigkeit im Inneren. Als mein Blick wieder auf Kilian fällt, entfährt mir ein Keuchen. Seine roten Augen leuchten nun schon fast, während sein Blick ganz eindeutig auf der Phiole liegt.

„Kilian, ruhig", fange ich wieder an, auf ihn einzureden. Doch diesmal ist mir schnell klar, dass es nichts bringen wird. Er scheint mich noch nicht mal wirklich wahrzunehmen. 

In diesem Moment ist mir klar, dass ich auf Risiko spielen muss. Ich wende meinen Blick von Kilian ab und mache mich daran, die Phiole zu öffnen. Allerdings klappt es nicht sonderlich gut, da meine Hände mittlerweile ziemlich schwitzig sind.

„Konzentration, Adriana", rede ich mit mir selber. Tatsächlich scheint das geholfen zu haben, denn genau in diesem Moment schaffe ich es, die Phiole zu öffnen. Erleichtert atme ich auf und fange schon an, die Phiole zu kippen. Aber mit einem Mal saust etwas an mir vorbei. Die Gestalt reißt die Phiole mit sich, ich taumel erschrocken ein paar Schritte zurück und falle auf den Boden.

Erschrocken starre ich auf den schwarzen Wölfe und die zerbrochene Phiole zu seinen Pfoten. Sie ist in kleinste Teile zerbrochen und ich beobachte, wie das Blut, das Mittel gegen die schwarzen Wölfe sich langsam auf den Steinboden verteilt und eine rote Färbung auf dem Stein hinterlassen.

In diesem Moment wird mir klar, dass es das gewesen ist. Es gibt sonst keinen Ort, wo wir Esperanza's Blut herbekommen könnten. Die Welt wird untergehen und ich bin Schuld daran. Die vielen Leute, die mir bedingungslos vertraut haben, ich habe sie alle enttäuscht. Scott, Terence, Kate, Thea und Pa. Er wollte, dass ich ihm damals verspreche, eine gute Alpha zu werden. Wenn er mich jetzt sehen könnte, wäre er wahrscheinlich enttäuscht von mir.

Langsam spüre ich, wie etwas in mir wächst. Eine dunkle Macht, die all diese Gedanken nur unterstützt und sie immer größer werden lässt. Was würden meine Freunde bloß sagen, wenn sie mich hier sehen könnten? Ace, Newt, Niklas, selbst Lenya wäre noch mehr von mir enttäuscht gewesen. Der bittere Geschmack in meinem Mund ist alles andere als angenehm und ich spüre, wie sich langsam die Tränen in meinen Augen bilden. Ich wollte doch nur alle beschützen, meine Freunde und meine Familie. Und jetzt? Jetzt habe ich die Welt dem Untergang geweiht. Hätte ich Kilian doch bloß nicht dazu gebracht, mit mir hierhinzukommen. Vielleicht wäre dann alles anders geworden.

Ein Schauer läuft mir über den Rücken und ich umklammere mich selbst mit meinen Armen. Mittlerweile laufen die Tränen über meine Wangen und ich schließe verzweifelt die Augen. In diesem Moment würde ich so gerne alles wieder rückgängig machen. Zu irgendeinem Moment zurückkehren und alles anders machen.

Vielleicht, als gefragt wurde, wer bereit wäre, ins Schloss zu gehen. Würde ich mich nicht melden, hätte diese Aufgabe jemand anderes übernommen, jemand, der sie schaffen kann. Oder vielleicht noch weiter in die Vergangenheit, zu dem Moment, als Ace und die anderen mich fragen, ob ich mit in diese Welt kommen möchte. Ich hätte nein sagen sollen. So hätte ich auch nicht den Streit zwischen Ceadda und Lavea hervorrufen können.

Oder ich hätte einfach nicht nach meinem Mate suchen sollen. Ich hätte Kilian, Ace und all die anderen nie kennen gelernt und sie wüssten nichts von meiner Existenz. Also hätten sie mich auch nicht fragen können, ob ich mitkommen möchte. In diesem Moment weiß ich nicht mehr, was ich sagen soll. 

Ein Knurren ertönt neben meinem Ohr und ich sehe auf. Kilian schaut mich an, als wüsste er nicht, was er tun soll. Nun erkenne ich ihn in seinen Augen wieder, nicht das Monster, was gerade die Rettung der Welt vernichtet.

„Na los, bring mich schon um", flüstere ich ihm zu. Alles ist besser, als den anderen in die Augen zu sehen und ihnen zu sagen, dass ich versagt habe. Ein erneutes Schluchzen entfährt mir und ich vergrabe mein Gesicht in meinen Händen, nur darauf wartend, dass Kilian mich umbringt. Doch es passiert nichts und langsam hebe ich wieder den Kopf. Noch immer starrt er mich an und macht auch keine Anstalten, mir die Kehle durchzubeißen.

„Du verdammtes Vieh! Ich habe dir gesagt, du sollst mich umbringen", schreie ich ihn an, als mir mein Geduldsfaden reißt. Mittlerweile ist mir alles egal, ich will nur noch, dass es endet.

Langsam zeichnet sich auf Kilian's Gesicht Verletztheit und Gekränktheit ab und erst jetzt wird mir bewusst, was ich gerade gesagt habe. Ich habe meinen Mate, meinen Seelenverwandten, als Vieh bezeichnet und ihn gebeten, mich umzubringen. Selbst, Kilian, meinen Mate, habe ich enttäuscht.

Jetzt noch jemanden zu finden, den ich nicht enttäuscht habe, wäre wirklich ein Wunder. Bei diesem Gedanken passiert es. In diesem Moment gewinnt diese dunkle Macht in mir jeden Kampf und ich spüre, wie sich etwas verändert. Nein, nicht etwas verändert sich, sondern ich. Auf die Schmerzen, die nun kommen, hätte ich mich nie jemand vorbereiten können. Es fühlt sich an, als würden LKWs über ich drüberfahren, als würde man mir jeden Knochen brechen. Vor Schmerz schreie ich auf und nach einigen Sekunden ist alles vorbei. Nun stehe ich auf allen vier Pfoten und schaue an mir herab.

Doch statt den weißen Pfoten, die sich wunderbar vom Stein abheben sollten, ist der Übergang zwischen den grauen Boden und den schwarzen Pfoten, die ich nun sehe, fast schon fließend. Auch ohne Spiegel weiß ich, dass meine Augen rot glühen. Mir entfährt ein Heulen und ich schließe die Augen. Und dann verschwimmen all meine Gedanken, Erinnerungen, als hätten sie nie existiert.

Tja, dass scheint dezent schiefgelaufen zu sein. Hättet ihr ähnlich, wie Adriana reagiert?

Der schwarze BetaWhere stories live. Discover now