18. Kapitel

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Phileas

Verwirrt sehe ich mich um und nach einiger Zeit erkenne ich mein Zuhause in meinem alten Rudel. 

„Phileas. Wie geht es dir? Bist du sehr nervös gewesen?" Ein Mann kommt aus dem Haus und schließt mich in seine Arme. Es dauert einige Sekunden, bevor ich unter dem Vollbart und den vielen Falten meinen Vater erkenne. 

„Dad? Was ist los? Wo bin ich hier?" 

„Du bist witzig. Du hast gerade deine wichtige Prüfung gehabt und jetzt wird erstmal gefeiert. Nun komm mit, die Anderen warten schon." Mit seiner ganzen Kraft zieht er mich mit sich ins Haus, wo wir schon von anderen Personen erwartet werden. Doch ich habe immer noch keine Ahnung, was hier los ist.

 „Ich bin so stolz auf dich, Brüderchen." Die junge Frau, die ich als Kate erkennen, strubbelt mir einmal durch die Haare, so wie sie es früher getan hat, während ich sie nur sprachlos ansehe. 

„Spitze gemacht." Ein Junge in meinem Alter, wahrscheinlich Newt kommt auf mich zu, klatscht mich ab und grinst mich an, so wie er es früher schon immer gemacht hat. 

„Ich bin so froh auf dich." Eine Frau kommt auf mich zu und nimmt mich in den Arm, so wie es mein Vater schon gemacht hat und ich sehe sie sprachlos an. 

„Mum?" Meine Stimme zittert leicht und sie schenkt mir nur ein Lächeln. 

„Heute mal wieder ein Spaßvogel? Natürlich ist das Mum", kommt Newt ihr zuvor und sie tritt zur Seite. In diesem Moment erblicke ich sie, dass Mädchen, das auf mich zukommt, ihre Haare glänzen golden in der Sonne und sie strahlt mich mit ihren grünen Augen. 

„Ich liebe dich." Die Worte gehen ihr so leicht über die Lippen, als hätte sie sie schon tausend Mal gesagt und sie gibt mir einen kurzen Kuss. 

„Na los, ihr Turteltäubchen. Wir haben Hunger", werden wir von Kate unterbrochen, wobei alle anderen schon am festlich gedeckten Tisch Platz genommen haben. 

„Das hier ist ein Traum, oder?" Eigentlich ist es mir schon die ganze Zeit klar gewesen, doch es ist immer noch mal erschütternder, wenn man es ausspricht. Betrübt blicke ich zu meiner Freundin, die mich anlächelt und mich augenblicklich wieder verzaubert. 

„Keine Sorge, dass ist kein Traum. Hast du dir vielleicht irgendwo den Kopf angestoßen?" Meine „Mum" mustert mich besorgt, doch ich schüttel einfach nur den Kopf. Gerade, als ich noch etwas sagen will, fängt sie langsam an sich aufzulösen und ich muss hilflos mit ansehen, wie erst sie, dann Newt und Kate und schließlich auch noch meine Freundin sich auflösen und nichts als einen leeren Platz zurückgelassen. Sowohl am Tisch, als auch in meinem Herzen. Langsam fällt das Essen und die festliche Dekoration in sich zusammen und hinterlassen nichts als Staub und Asche. 

„Egal, was du machst, sie werden dich immer wieder verlassen. Jeder, der dich liebt, jeder, der dir irgendwas bedeutet, wird dich verlassen früher oder später." Verzweifelt schließe ich die Augen und halte mir die Ohren zu, um seine Worte auszublenden. Doch statt leiser zu werden, werden sie immer lauter, dringen immer wieder an meine Ohren und pflanzen sich in meinem Kopf ein. Immer wieder spricht er die Worte, wie eine Aufnahme, die immer wieder von neu gestartet wird. 

„Vielleicht sind wir beide uns doch ganz ähnlich. Wir verletzen beide die Menschen, die wir lieben." Mein Vater schenkt mir das Lächeln, von dem ich hoffte, es nie wieder zu sehen. 

„Nein!" Ich balle meine Faust und starre ihn an. „Du lügst. Zwischen uns Beiden liegen Welten." 

„Ach ja?" Er zieht eine Augenbraue hoch, während er mich belustigt ansieht. „Ich lüge? Deine Mutter hat dich verlassen, dich bei mir gelassen. Kate und Newt sind gegangen, ohne dir etwas zu sagen und selbst sie hat dich verlassen. Und du sagst, wir sind uns nicht ähnlich. Wir beide sind von allen verlassen worden und nun ganz alleine." 

„Du bist von allen verlassen worden, du bist alleine. Kate und Newt haben mich verlassen, weil es für sie besser gewesen ist und Mum und sie sind gestorben, sie wollten mich nicht verlassen. Im Gegensatz zu dir habe ich Freunde, die mich unterstützen und mögen. Denen ich etwas bedeute", widerspreche ich ihm lautstark und obwohl ich mich krampfhaft dagegen wehre, lassen seine Worte mich nicht so kalt, wie sie es eigentlich tun sollten und ich behaupte. 

Wer ist denn wirklich mit mir befreundet? Ben und Ace, aber die haben auch sich gegenseitig und ansonsten habe ich eigentlich immer recht viel Zeit alleine verbracht. 

 „Siehst du, du bist ganz alleine. Niemanden würde es interessieren, wenn du stirbst." 

„Das stimmt nicht. Kate hat sich gefreut, mich wiederzusehen, und Newt hat mich gesucht." 

„Vielleicht haben sie ein schlechtes Gewissen gehabt." Mein Vater legt seine Arme auf dem Tisch ab und blickt mich erwartend an. „Hör am besten auf, dich selber zu belügen, niemand liebt dich, du bist ganz alleine auf dieser Welt. Du bist genau wie ich." 

„Nein, ich bin nicht wie du." Nun springe ich endlich von meinem Stuhl auf und stütze mich auf den Tisch, während ich ihn unverwandt anstarre. 

„Ach nein? Ich habe genau gesehen, wie du die Kontrolle verloren hast. Wie du sie verletzt hast." Verzweifelt schließe ich die Augen, als er diese Erinnerung in mir hervorruft, doch stattdessen kann ich ihr verweintes Gesicht nun genau erkennen. Diesmal schaffe ich es nicht, ihm zu widersprechen, weil ich tief in meinem Inneren weiß, dass er recht hat. Recht damit, dass ich ihm ähnlicher bin, als ich zugeben will. 

„Du weißt gar nicht, wie sehr ich mir wünsche, dass du nicht mein Vater bist. Ich hasse dich." Ich spreche die Worte nicht laut aus, sondern lege so viel Gefühl, Hass, in meine Stimme hinein, wie ich kann. „Manchmal wünsche ich mir, dass Kate und Newt mich damals mitgenommen haben. Aber nie habe ich mir gewünscht, dass sie hiergeblieben wären oder dass Mum damals nicht bei unserer Geburt gestorben wäre. Denn so, mussten sie dich nicht weiter ertragen und dass ist alles, was ich mich für sie gewünscht habe." Er reagiert gar nicht auf meine Worte, sondern starrt mich einfach weiter an, als hätte er sie nicht gehört, doch es hat in diesem Moment so gut getan, es einfach auszusprechen. 

„Bald, bald wird der Moment kommen, da kannst du dich nicht einfach weiter anlügen, der Moment, wo du all deinen Scheinfreunden und Newt die Wahrheit sagen musst." Wieder taucht das hinterhältige Grinsen auf seinen Lippen auf, dass mich nächtelang verfolgt hat, dass er immer hatte, wenn er einen Plan schmiedete. 

Mir dreht sich der Magen um, doch bevor ich etwas sagen kann, wechselt meine Umgebung urplötzlich und ich finde mich in einem kleinen Wohnzimmer wieder, wobei ich nicht alleine bin. 

„Wieso willst du mir nicht von ihnen erzählen oder mir sie vorstellen? Schämst du dich für sie oder gar für mich?" Während sie mir jede Frage stellt, sieht sie mich unverwandt an, weil sie genau weiß, wie schlecht ich dann lügen kann. 

„Ich könnte mich niemals für dich schämen." 

„Dann stell sie mir vor. Du weißt, wie wichtig ich die Familie finde." 

„Nein!" Meine Stimme klingt bestimmend und genervt und ich zucke bei diesem Klang zusammen. Er erinnert mich so sehr an meinen Vater und ich versuche, mich wieder zu beruhigen. Ich darf jetzt bloß nicht den Kopf verlieren. 

„Dann erkläre mir, wieso? Um mehr bitte ich dich doch gar nicht." Sie gibt nicht locker, ich weiß, wie hartnäckig sie sein kann, doch gleichzeitig weiß ich, dass ich es ihr nicht erzählen kann. Was könnte ich ihr überhaupt sagen? Das meine Familie ein einziges Frack ist, ich über die Hälfte seit Jahren nicht mehr gesehen habe und den Rest hasse, ihn auf den Tod nicht ausstehen kann. 

Sie würde es nicht verstehen, sondern nur noch mehr Fragen stellen. Wie erwartet stellt sie immer mehr Fragen, bis mir irgendwann die Sicherung durchbrennt, genauso wie damals. Erst als ihr Schrei ertönt, endet es.

Der schwarze BetaWhere stories live. Discover now