4. Kapitel

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„Scott!" Ich kann meinen Zorn kaum zügeln und starre meinen besten Freund vor mir nieder. Dieser scheint erst jetzt zu merken, was er hätte anrichten können. Beschämt senkt er den Blick zu Boden.

„Ich habe dir doch gesagt, dass Adriana das Ganze mehr als nur blöd findet." Jetzt tritt auch Niklas hinter den Bäumen hervor. Die zwei Pferde, die er an den Zügeln hält, sind bepackt.

„Niklas?" Ich werfe ihm einen kurzen verwirrten Blick zu. Ehrlich gesagt, ist es mir ein Rätsel, was die beiden hier treiben.

„Es war klar, was du versuchst und da wir wussten, dass ihr hier lang müsst, dachten wir uns, warten wir mal auf euch." Nach seiner Erklärung schauen die anderen mich mehr als verdattert an und ich ärgere mich mal wieder darüber, wie gut die beiden mich kennen.

„Was meint er damit?", erkundigt Ace sich, der sein Pferd neben mich gelenkt hat. Erstaunt blickt er zwischen mir und meinen beiden Freunden hin und her.

„Adriana hat versucht, die Reise ohne uns zu machen. Bis jetzt hat es sogar ganz gut funktioniert." Aus Scott's Stimme kann ich sehr wohl seine Wut heraushören, was nicht dazu beiträgt, dass ich mich besser fühle.

„Stimmt das?" Erschrocken blickt Isabella mich an, wobei sie es nicht so recht zu fassen scheint. Diesmal bin ich diejenige, die beschämt den Blick senkt. Das reicht den anderen wohl als Antwort, denn Isabella entfährt ein Schnauben. Selbst, wenn ich bis eben noch von meinem Vorhaben entschlossen gewesen bin, so kann ich die Schuldgefühle nicht mehr zurückdrängen.

„Man kann es nun nicht mehr ändern und vielleicht hat Adriana ja auch ihre Gründe gehabt. Aber wir sollten unseren Weg jetzt fortsetzen und keine Zeit mehr vergeuden", lenkt Newt ab und ich werfe ihm einen dankbaren Blick zu. Aber auch in seinem Blick kann ich die Enttäuschung erkennen und ich senke den Blick wieder. Als Scott und Niklas sich uns angeschlossen haben, führen wir unsere Reise durch den Wald fort.

Doch mit jedem Meter, den wir zurücklegen, verändert die Umgebung sich konstant. Die Bäume werden kahler, die Luft wird eisiger und selbst der Himmel verdunkelt sich immer mehr. Mit einem Frösteln ziehe ich die Jacke enger um mich und auch den anderen scheint es nicht gerade wärmer zu sein.

„Dort!", schreit Ace plötzlich laut auf und deutet auf eine Stelle ein paar Meter vor uns. An diesem Punkt hat sich eine kleine Pflanze durch den Schnee gekämpft. Die hellblauen Beeren in der eher farblosen Gegend ziehen sofort jede Aufmerksamkeit auf sich. „Laut dem Buch muss hier irgendwo in der Nähe ein Portal sein. Haltet nach irgendetwas Außergewöhnlichem Ausschau. Es ist mit einem besonderen Zeichen gekennzeichnet."

Als ob die Beere und die Worte von Ace uns neue Kraft gegeben hätten, teilen wir uns auf und begeben uns auf die Suche nach dem Eingang in die kalte Welt. Immer wieder spüre ich die Blicke der anderen auf mir durch die Bäume, wahrscheinlich immer noch wegen der Sache mit Niklas und Scott.

„Kommt hierher", ertönt plötzlich der laute Schrei von Phileas, der sofort jede Aufmerksamkeit auf sich zieht. So schnell wie es geht, eile ich zu ihm, darauf bedacht, bloß nicht irgendwie zu stolpern. Schließlich komme ich bei ihm und den anderen vor einem großen Baum an und Phileas deutet auf eine Stelle auf unserer Augenhöhe. Mitten in den Baum ist ein Zeichen, ein Halbmond eingeritzt, den man wahrscheinlich aus der Ferne oder wenn man nicht genau danach sucht, nie in tausend Jahren entdecken würde.

„Das Zeichen für das Portal", bringt Isabella flüsternd hervor, was wir alle denken, „Was steht noch in dem Buch? Wie können wir das Portal nutzen?" Eilig holt Ace das Buch hervor und blättert auf die gesuchte Seite.

„Man muss das Zeichen mit einem Tropfen Blut eines Werwolfes beträufeln, steht hier zumindest." Ratlos sehen wir einander an und bevor irgendjemand was sagen oder tun kann, zückt Scott einen kleinen Dolch und sticht sich leicht in die Fingerkuppe seines Zeigefingers. Sofort bildet sich an dieser Stelle ein kleiner Tropfen Blut. Automatisch zucke ich zusammen, als ob ich mich selbst verletzt hätte. Natürlich bemerkt Scott meine Reaktion und grinst.

„Und ich hatte schon Angst, dass es dir nichts ausmachen würde, wenn ich mich verletze." Ich werfe ihm einen Blick zu, worauf sein Grinsen immer größer und breiter wird. Als ob er nichts anderes zu tun hätte, als sich über mich lustig zu machen.

„Kommt jetzt. Wir müssen uns beeilen", zieht Ace wieder die Aufmerksamkeit auf unsere Aufgabe und ohne zu Zögern drückt Scott seinen blutenden Zeigefinger auf den eingeritzten Halbmond. Schmerzhaft verzieht er das Gesicht. Nach einigen Sekunden reißt er seinen Finger wieder weg und presst ihn an seine Brust.

Doch mein Blick liegt nur kurz auf ihm, denn schon ihm nächsten Moment zieht der Halbmond meine Aufmerksamkeit und auch die der anderen wieder auf sich, als er anfängt, auf geheimnisvolle Weise zu leuchten. Fasziniert beobachte ich, wie sich um das Zeichen ein kleiner Strudel bildet, der immer größer wird und in einem eisigen Blau leuchtet. Mit einem Ruck werde ich von Niklas zurückgezogen, als der Strudel mich fast erreicht hätte. Ich kann ihm nur ein schwaches dankbares Lächeln zu werfen und richte meinen Blick dann wieder auf den Strudel, der mittlerweile genauso groß ist wie ein Mensch.

„Ich würde mal sagen, das ist unser Portal. Wir sollten durchgehen, bevor es sich wieder schließt", bemerkt Isabella und nur wenige Augenblicke später macht sie einen Schritt auf den Strudel zu. Als niemand von uns, sie aufhält oder irgendwie protestiert macht sie noch einen Schritt vor. Somit steht sie ihm Strudel und langsam löst sie sich in einem strahlenden Licht auf.

Mit einem Schulterzucken folgt Ben Isabella's Beispiel und nach und nach tritt jeder durch das Portal, bis schließlich nur noch ich dort stehe, irgendwie nicht in der Lage, mich zu bewegen.

Zum wiederholten Mal wandern meine Gedanken zu meinem Rudel, dass ich mit diesen zwei Schritten hier alleine lassen müsste. Aber andererseits, wenn die schwarzen Wölfe wirklich uns irgendwann alle besiegen werden, würde das auch keinen Unterschied mehr machen. Eigentlich habe ich keine andere Wahl, ich muss diese Reise antreten, um mein Rudel zu retten. Mit einem einzigen entschlossenen Schritt trete ich in das Portal.

„Versprich mir, dass du eine gute Alpha wirst", bittet er mich mit leiser Stimme. Ich blicke ihm in seine grauen Augen und erkenne diesen Moment wieder. Diese eine Erinnerung, die ich jahrelang in meinen Träumen immer wieder durchlebt habe. Immer und immer wieder. Wie damals beuge ich mich zu ihm vor und flüstere mit Tränen in den Augen: „Nein. Du wirst wieder gesund. Alles wird wieder gut."

„Wir wissen beide, dass das nicht stimmt", erwidert er mit stockender Stimme und diesmal kann ich ihm nur zustimmen. Es wird nie wieder alles gut werden. Ich sehe, wie eine Träne über seine Wange rollt. In all den Jahren, die ich ihn kenne, hat er nie geweint. Dieser Gedanke entlockt mir nur ein weiteres Schluchzen.

„Bitte. Du darfst mich nicht verlassen. Ich bin noch nicht so weit", flehe ich ihn an, während meine Tränen sein Hemd durchtränken. Ich war damals noch nicht so weit und auch heute bin ich noch nicht so weit. Verzweifelt umarme ich ihn und möchte ihm am liebsten nie mehr loslassen. „Doch, du bist so weit. Glaub mir", versucht er, mich zu ermutigen.

Am liebsten würde ich ihm jetzt das Versprechen geben, was ich damals versäumt habe. Ihm versprechen, dass ich eine gute Alpha werde. Doch als ich den Mund öffne, verlässt kein Ton meinen Mund und die Worte bleiben mir im Halse stecken.

Auf einmal fallen mir alle Momente ein, in denen ich kurz davor war, aufzugeben. Diese Momente, wo ich daran gezweifelt habe, dass ich je eine gute Alpha werde. Dass ich je Pa stolz machen könnte. Enttäuscht schließe ich die Augen, versuche, die Tränen zu verdrängen. Kann ich ihm wirklich dieses Versprechen geben, wenn ich weiß, wie mein Leben danach verläuft?

Aber andererseits gibt es so einige gute Seiten an meinem Leben, die ohne diese Entscheidung nie existieren würden. Ich balle meine Hand zu einer Faust, als ich eine Entscheidung treffen und als ich diesmal den Mund öffne, klingt meine Stimme um einiges kräftiger und entschlossener.

„Ich verspreche dir, dass ich eine gute Alpha werde und dich stolz machen werde, Pa." Auf einmal erstrahlt ein helles Licht und ich muss die Augen schließen, um nicht geblendet zu werden.

Der schwarze BetaHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin