16. Kapitel

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Newt

„Los, ihr schafft es, nur noch ein Stück", feuert Ben uns vom Boot aus an, während Kilian und ich damit beschäftigt sind, das Boot durch das immer niedriger werdende Wasser Richtung Festland zu schieben.

Ein Unterfangen, das sich als Schwerer herausstellt, als vorher gedacht. Ich erlaube mir einen kurzen Seitenblick zu Kilian, der schon heftig am Schnaufen ist, was aber auch kein Wunder ist.

Den ganzen Weg über hat er alleine gepaddelt, das Boot vorwärts bewegt und keinerlei Hilfe angenommen. Wahrscheinlich ist das sein Weg, den Schmerz und die Gedanken um Adriana herum zu verdrängen. Trotzdem grenzt es schon fast an ein Wunder, dass er sich immer noch auf den Beinen halten kann.

„Hör auf, wenn es zu anstrengend ist. Ich bin mir sicher, Newt schafft den Rest auch alleine." Ben scheint genau den gleichen Gedanken, wie ich gehabt zu haben, trotzdem sollte wenn überhaupt ich, Kilian das Angebot unterbreiten und ich werfe Ben einen grimmigen Blick zu.

„Du hast da oben gut reden", murre ich und konzentriere mich wieder darauf, dass Boot vorwärts zu schieben. Nach einigen weiteren endlosen Minuten haben wir das Boot endlich so weit geschafft, dass es nur ein kurzes Stück ist, bis wir ganz auf festem Boden stehen.

Zu zweit tragen Kilian und ich erst Ben und danach seinen Rollstuhl aus dem Land, wobei ich es mir nicht nehmen lasse, einen kleinen Scherz über Ben's Gewicht zu machen.

Zu meinem Glück nimmt er ihn nicht ernst und wirft mir stattdessen nur einen bösen Blick zu. Genau in dem Moment, als wir endlich den Strand verlassen wollen, bleibt Kilian auf einmal stehen. Verwirrt drehen wir uns zu ihm um und bemerken erst jetzt, dass er auf den Boden hockt und die Zähne zusammen beißt.

„Alles in Ordnung?" Ben sieht ihn besorgt an, wobei er schon die ganze Zeit Probleme hat, durch den Sand vorzukommen, und sich Kilian deswegen nicht nährt. Vorsichtig gehe ich auf ihn zu und lege beruhigend meine Hand auf seine Schulter, ehe auch ich mich auf dem Boden niederlasse.

„Was ist los?" Meine Stimme klingt erstaunlich ruhig und beherrscht, als würde ich so etwas täglich machen.

„Es tut weh. Adriana. Sie ist in Gefahr. Sie ... Ich ... . Ich bin nicht bei ihr. Ich bin ihr Mate." Ich nicke betrübt, obwohl ich nicht mal im Entferntesten verstehen kann, was er wahrscheinlich gerade durchmacht.

Doch allein aus Kate's Erfahrung weiß ich, dass es anscheinend die Hölle ist, nicht bei seiner Mate zu sein, wenn dieser in Gefahr ist. Einmal ist Terence, Kate's Mate, in eine Prügelei geraten und sie hat sich noch tagelang danach schuldig gefühlt, nicht bei ihm gewesen zu sein.

„Ich bin mir sicher, dass Adriana aus dem Ganzen heil rauskommen wird und danach werden wir sie finden und ihr werdet für immer und ewig zusammen bleiben, so wie in den Märchen."

„Du meinst ein Happy End?" Zum ersten Mal blickt Kilian wieder auf und in seinen Augen kann ich Hoffnung erkennen. Ich nicke einfach nur und reiche ihm meine Hand. Erst als er diese annimmt, erhebe ich mich langsam wieder und Kilian folgt meinen Bewegungen.

„Dann sollten wir uns so schnell wie möglich auf den Weg machen", durchbricht Ben die unangenehme Stille und während Kilian schon vorausgeht, zeigt er mir einen Daumen nach oben, was wohl bedeutet, dass ich meinen Job gut gemacht habe.

„Wusste gar nicht, dass du so etwas draufhast", fügt er später noch hinzu, als wir nebeneinander die Ebene durchqueren. Überall findet man immer wieder Bäume und die Erde wird immer wieder von kleinen Flüssen und Bächen geteilt.

Doch immer wieder geraten wir ins Stocken, weil Ben mit den Rädern seines Rollstuhls im Schlamm stecken geblieben ist und durch das Gehen ist irgendwann der Teil meiner Hose ab den Knien völlig verdreckt und ich kann es kaum erwarten, endlich auf Menschen zu treffen, die neue Kleidung besitzen.

„Glaubt ihr, sie hat jemand anderen?" Kilian's Frage kommt so plötzlich, dass ich einfach nur verwirrt stehen bleibe und ihn anstarre.

„Was?" Auch Ben scheint ziemlich verwirrt und wirft mir nur einen kurzen fragenden Blick zu, den ich mit einem Schulterzucken quittiere.

„Ich meine, ob Adriana jemand anderen hat, jemand, der besser zu ihr passt. Na ja, ... jemand, der sie glücklicher macht."

„Kilian! Ich habe dich noch nie so viel Sch ..., Blödsinn an einem Stück reden hören." Ich fange an, Kilian wütend anzustarren, wobei ich keine Ahnung habe, wie er auf diese Idee gekommen ist. „Wie kommst du darauf?"

„Na ja, es geht die ganze Zeit so ein Gefühl von ihr aus, so, als würde sie mich gar nicht vermissen und ich dachte, es könnte vielleicht daran liegen, dass sie jemand anderen hat. Vielleicht ist sie ja deswegen wieder nach Kanada zurück und das mit Scott ist nur eine Lüge gewesen." Mittlerweile wirkt er mehr als verzweifelt und rauft sich die Haare.

„Ich denke, du hast dich da in etwas hinein geredet", mischt sich Ben mal wieder in das Gespräch ein und beobachtet Kilian mit dem Anflug eines Lächelns.

„Ach ja?" Kilian wirft ihm einen fragenden Blick zu und klingt dabei mehr als verzweifelt. „Aber was ist, wenn ich recht habe? Ich habe einfach keine Ahnung, wie ich reagieren würde. Mittlerweile kann ich mir ein Leben ohne sie einfach nicht mehr vorstellen." Ich mache ein paar Schritte auf ihn zu und lege meinen Arm auf seine Schulter.

Scheinbar nimmt ihn das Ganze wirklich mit und selbst Ben scheint keine Idee mehr zu haben, was wir noch sagen könnten, um ihn vom Gegenteil zu überzeugen.

„Am besten setzen wir unseren Weg jetzt fort und so schnell wir bei Adriana ankommen, desto schneller können wir dieses Missverständnis klären." In diesem Moment bin ich so erleichtert, als Ben die Stille durchbricht und werfe ihm einen dankbaren Blick zu. Kilian nickt einfach nur und setzt seinen Weg fort, wahrscheinlich immer noch in Gedanken über Adriana vertieft.

Nach einigen Sekunden folgen Ben und ich ihm, wobei ich Ben kurz helfe, von der Stelle zu kommen.

„Wieso hast du eben gelächelt?" Ich werfe ihm einen kurzen fragenden Blick zu, ehe ich meine Aufmerksamkeit wieder auf den Weg vor uns richte.

„Er ist so süß gewesen. Wie er sich über Sachen Gedanken macht, die eigentlich total unsinnig sind, aber weil es um seine Mate geht, werden sie auf einmal total wichtig." Während er spricht, sieht er verträumt auf den Boden, als gäbe es nichts Schöneres auf der Welt.

„Aber stell dir doch mal vor, sie wären nicht Mates, dann hätte er diese ganzen Probleme nicht. Oder Scott würde nicht um seine Mate trauern."

„Trotzdem ist die Liebe deines Mates das stärkste Gefühl, dass es gibt. Meine Mutter hat mir immer erzählt, wie es für sie gewesen ist, als sie meinen Vater kennen gelernt hat." Ich beobachte dabei, wie er laut vor sich herschwärmt und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.

„Scheint so, als könntest du es kaum erwarten, deine Mate zu treffen." Ich werfe ihm ein kurzes Lächeln zu, ehe ich ihm dabei helfe, aus einem Schlammloch herauszukommen und wir unseren Weg fortsetzen.

„Natürlich. Du etwa nicht? Wer will nicht seine Seelenverwandte treffen? Die Person, mit der du dich auch ohne Worte verstehst und die sowohl in guten, als auch schlechten Zeiten zu dir steht." Verwirrt mustert er mich und ich seufze auf.

„Aber gleichzeitig kann es schmerzhaft sein. Sieh dir doch nur Kilian oder Scott an. Sie haben zwar ihre Mate gefunden, sind bei weitem aber nicht glücklich mit ihr." Ben schüttelt den Kopf und scheint nach den richtigen Worten zu suchen, als ich mich umsehe. Unsere Umgebung hat sich zwar nicht sonderlich geändert, dafür fehlt jemand Besonderes.

„Ben! Wo ist Kilian?" Meine panische Stimme durchbricht das Schweigen und jetzt blickt auch Ben auf und sieht sich suchend um. „Kilian!", rufe ich und forme meine Hände zu einem Trichter. Doch ich bekomme auch nach einigen Sekunden keine Antwort und fange an, mir ziemliche Sorgen zu machen.

Der schwarze BetaWhere stories live. Discover now