44 - Brombeerlila

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▷ The Cinematic Orchestra - To Build a Home ◁

Es klopft sachte an der Tür und Leonie steht grinsend im Türrahmen. "Na endlich. Ich will euch ja nur ungern stören, aber wir sollten jetzt die Möbel auseinanderbauen und einladen. Ansonsten wird es noch später und das wollen wir ja nicht. Die beiden haben nachher noch was vor und ich muss Mama helfen."

Noah sieht mich noch einen kurzen Moment an, ehe er sich langsam von mir löst und das inzwischen fast leergeräumte Zimmer verlässt. Durch den ganzen Stress und die Umstellung von Klinik auf Schlafen bei Oma, bis zum Umzug hatte ich gar keine Möglichkeit, darüber nachzudenken, was mit Noah ist. Ich habe mir Sorgen gemacht, natürlich - aber all der Stress hat meine Sorgen überrollt, bis ich nichts mehr davon sehen konnte. Aber er hat mir gefehlt und meine Freude ihn wiederzusehen war größer als all der Unmut den ich verspürt habe, als er sich nicht mehr gemeldet hat. Sicherlich, ich war wütend und verletzt, weswegen er auf meine Blacklist geschoben wurde - aber seine Erklärung war plausibel. Und ich wäre nicht ich, würde ich ihm nicht verzeihen, nicht an das Gute in ihm glauben - und nicht meinen Stolz zur Seite schieben.

Als Noah weg ist habe ich sofort das Gefühl, dass etwas fehlt. Ich seufze. Für ihn bin mich mit Sicherheit nicht das was er für mich ist. Ich bin mir sicher, dass ich mehr für ihn empfinde, als er für mich. Er mag mich, das steht außer Frage. Aber mehr wird er nie für mich empfinden. Vermutlich sieht er das Ganze nur als Abenteuer, etwas, das er ausprobieren kann. Niedergeschlagen drücke ich das Schäfchen wieder an mich. Verärgert grummle ich und sehe aus dem Fenster. Der Vorgarten ist perfekt in Szene gesetzt, mit all den hübschen Blumen und Büschen. Es wirkt alles so steril und fremd. Es fühlt sich an, als wäre ich seit Jahren nicht mehr wirklich hier gewesen. Irgendwie war ich das auch nicht. Alles was ich am Ende wollte war, hier zu entfliehen. Und ich sah keinen anderen Ausweg, als den endgültigen zu wählen. Ich seufze und lehne mich an das Fenster. Draußen kann ich die Jungs beim Tragen sehen und ich beobachte sie eine Weile. Ich kann nicht leugnen, dass ich müde bin.

"Was hast du, Lia?" Leonie kommt zu mir ans Fenster und sieht mich besorgt an.

Ich zucke nur mit den Schultern und drehe mich von ihr weg weg. Schweigend knie ich mich vor mein Bett und hebe die schwere Tagesdecke hoch.

"Komm schon, sprich mit mir, bitte." Sie stockt und sieht aus dem Fenster. "Du bist in ihn verliebt, nicht wahr?, möchte sie wissen.

Wieder seufze ich und gebe mich schließlich geschlagen. "Ja, okay, ich bin in ihn verliebt. Aber ich habe es nicht verdient, dass er mich gut behandelt. Ich bin nicht gut genug, Leonie. Ich verdiene sein Herz nicht."

Meine Freundin schnaubt. "Ich hoffe, das meinst du nicht ernst. Diesen Scheiß kannst du nicht ernsthaft glauben, Lia. Ich sehe, wie er dich ansieht. Das sieht sogar ein Blinder."

"Blinde können nichts sehen", entgegne ich nur und konzentriere mich weiter auf die restlichen Bücher unter meinem Bett. Mir fällt der Abend unseres Kusses ein, als wir im Dunkeln standen. Und Betty - ihr Geschenk habe ich noch gar nicht ausgepackt. Lustig, wie sehr alles in den Hintergrund rückt, wenn man mit dem Kopf im Sog gefangen ist.

"Du bist echt unmöglich." Sie lächelt vorsichtig und sieht mich abwartend an.

"Ich weiß. Ich habe dich auch lieb."

Leonie schnaubt und kniet sich neben mich. Inzwischen haben wir alles andere ausgeräumt und in die Kisten gepackt. Es klopft und Leonie springt auf.

"Hey Babe, das ist Lia." Sie zeigt auf mich und ich stehe, so schnell es eben mit meinem Gewicht geht, auf. Leise ächzend stütze ich mich auf mein Knie und erhebe mich. Ich fühle mich augenblicklich wie ein Wal am Strand und erwarte einen angeekelten Blick von Nico. Aber er sieht mich ganz normal an, als wäre ich niemand, über den man sich lustig machen müsste.

NOAH | ✓Where stories live. Discover now