21 - Schwarzblau

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▷ Placebo - Running Up That Hill ◁

Noah sitzt auf Amadeus, den ich an der langen Leine halte und durch die riesige Halle führe. Langsam gehe ich durch die Reithalle und lausche auf die gedämpften Schritte des Pferdes hinter mir. Andere Patienten aus der Klinik reiten selbstständig und schneller. Ich warte darauf, dass Noah etwas zum Tempo sagt und mich wegscheucht, damit auch er alleine reiten kann - aber er tut es nicht.

"Herr Eisold, wenn Sie möchten, schließen Sie doch mal die Augen und konzentrieren sich voll und ganz auf die Verbindung zwischen Ihnen und Amadeus."

Ich werfe ihm einen kurzen Blick zu. Noah krallt sich in das Zaumzeug des Pferdes und ist inzwischen kreideweiß. Alle Farbe ist gänzlich aus seinem Gesicht gewichen. Langsam schüttelt er den Kopf und sieht mich fast ängstlich an. Von dem sonst so selbstsicheren und mutigen jungen Mann ist gerade absolut nichts mehr zu sehen. Es gibt also doch Dinge, vor denen er Angst hat. Aber gut, er hat mit Sicherheit auch sein Päckchen zu tragen - und das ist vermutlich gar nicht so ohne.

"Schon gut, du musst das nicht machen, Noah", versuche ich ihn zu beruhigen.

Er lacht kurz auf und schluckt hart. "Passt du auf, dass nichts passiert?" Fast glaube ich, ein Zittern in seiner Stimme zu hören.

Meine Augenbrauen wandern wie von selbst hoch und ein sanftes Lächeln umspielt meine Lippen. "Natürlich, Noah."

Noah nickt und schluckt erneut. Er atmet tief ein, lässt sich Zeit, und schließt schließlich seine Augen. Ich führe Amadeus an den Rand der Halle, damit uns niemand entgegenkommt und wir somit nicht ausweichen müssen. Langsam schreiten wir an der Wand entlang, immer wieder werfe ich Noah einen vorsichtigen Blick zu. Zuerst sind seine Gesichtszüge verbissen, ängstlich, hart und stur, aber mit der Zeit scheint er sich immer mehr zu entspannen. Es ist schön, diese Veränderung in seinem Gesicht zu sehen.

Schließlich gibt Frau Kadera das Ende der Stunde bekannt und Noah schlägt die Augen langsam wieder auf. Er blinzelt ein paar Mal und fährt sich dann mit einer Hand durch seine dunklen Haare, die ihm jetzt noch viel wilder vom Kopf stehen. Sein Blick fällt schließlich auf mich und sein Blick ist intensiv. Ich bin wie gefangen und so gar nicht in der Lage, wegzusehen. Wir starren uns an und niemand von uns spricht ein einziges Wort. Es macht mich wahnsinnig, nicht zu wissen, was in seinem Kopf vorgeht. Fast erwarte ich einen seiner verletzenden Sprüche. Denn immer wenn es eigentlich gut lief und wir uns zurück auf neutralen Boden begeben haben, ist er zurückgewichen und hat wieder um sich geschossen, mir wehgetan.

"Herr Eisold, Frau Großmann, kommen Sie?" Frau Kadera steht am Eingang der Reithalle. Erstaunt stelle ich fest, dass die anderen die Halle bereits verlassen haben.

Wir machen uns auf den Weg zum Ausgang.

"Lia." Keine Schärfe ist in seinem Ton, wie sonst. Mein Name klingt sanft, wenn er ihn ausspricht. Wie Seide.

Ich drehe mich um und sehe ihn abwartend an.

Noah schluckt und räuspert sich. "Da... Danke."

Ein Lächeln stiehlt sich in mein Gesicht. "Gerne."

Bevor er die Situation mit einem seiner Sprüche zerstören kann, drehe mich um und führe Amadeus aus der Halle.

Wir striegeln die Pferde und frühstücken. Die Fahrt zur Klinik vergeht wie im Flug und so vergeht auch der restliche Vormittag sowie das Mittagessen.



Es ist früher Nachmittag, als ich vor der Klinik auf die anderen aus der Schwimmgruppe warte. Ich habe mich dazu entschlossen, mich dem Wasser zu nähern. Ich weiß nicht, wie es laufen wird und ich weiß nicht, wie ich reagieren soll, wenn mich die Angst überrollt. Bis jetzt weiß niemand in der Klinik von meiner Angst vor dem Wasser und dem damit verbundenen Erlebnis. Natürlich weiß ich, dass ich darüber sprechen sollte, aber es fällt mir schwer. Schon allein wenn ich nur daran denke, wird mir schlecht und ich habe das Gefühl, Wasser in den Lungen zu haben. Es ist waghalsig und dumm, sich meiner Angst vollkommen ohne irgendwelche Hilfe zu stellen. Aber was soll's. Anders kann sich nichts ändern. Und so weiß ich wenigstens, wie weit ich bin. Welche Schritte ich noch gehen muss. Dass ich mich absolut unwohl in Bademode fühle, das muss ich hier wohl kaum noch erwähnen. Bei meinem Glück rechne ich damit, dass auch Noah mit von der Partie ist.

NOAH | ✓Where stories live. Discover now